65. Statt sich vom eigenen Unvermögen entmutigen zu lassen, sollten Adventisten vielmehr auf ihren Vater Abraham schauen, der seinem und Saras hohem Alter zum Trotz „Gott die Ehre gab“, indem er „der vollen Gewissheit (war), dass er, was er verheißen habe, auch zu tun vermöge“ (Röm 4,20.21).

Sein eigenes Unvermögen zu erleben, ist eine Erfahrung, die jeder Mensch durchmacht und für die wir Gott eigentlich dankbar sein können. Sie ist ein unverzichtbarer Schritt, um das Herz für das Evangelium zu öffnen – Vergebung und Neuschöpfung durch den Glauben an Jesus Christus als persönlichen Erlöser. Wäre Gottes Gesetz nicht ein so ungeschönter Spiegel, würden wir unseren wahren Zustand niemals erkennen und mehr oder weniger immer auf unsere eigenen „Stärken“ und Taten vertrauen. Wir brauchen das „Römer-7-Erlebnis“, damit unsere Selbstgerechtigkeit bedingungslos kapituliert – damit wir nichts mehr von uns erwarten, dafür aber alles von Jesus.

Nicht weniger wesentlich ist aber, dass wir aus unserer „elenden“ Situation (Röm 7,24) die richtigen Konsequenzen ziehen, d. h., das tun, wozu der Herr uns an dieser Stelle einlädt: uns völlig Ihm zu übergeben, damit Er in uns ein neues Leben im Einklang mit Gott beginnen kann. Ein wichtiges Bild für diesen radikalen Wechsel ist Tod und Auferstehung, symbolisiert in der Taufe. Der Römerbrief beschreibt an vielen Stellen, worin „das neue Leben“, zu dem wir dann auferstehen, besteht:

Röm 6,4 So sind wir nun mit ihm begraben worden durch die Taufe in den Tod, damit, wie Christus aus den Toten auferweckt worden ist durch die Herrlichkeit des Vaters, so auch wir in Neuheit des Lebens wandeln

6 da wir dies erkennen, dass unser alter Mensch mitgekreuzigt worden ist, damit der Leib der Sünde abgetan sei, dass wir der Sünde nicht mehr dienen.

Röm 6,17 Gott aber sei Dank, dass ihr Sklaven der Sünde wart, aber von Herzen gehorsam geworden seid dem Bild der Lehre, dem ihr übergeben worden seid!

18 Frei gemacht aber von der Sünde, seid ihr Sklaven der Gerechtigkeit geworden …

22 Jetzt aber, von der Sünde frei gemacht und Gottes Sklaven geworden, habt ihr eure Frucht zur Heiligkeit, als das Ende aber ewiges Leben.

Röm 7,11 Die Sünde ergriff durch das Gebot die Gelegenheit, täuschte mich und tötete mich durch dasselbe …

4 So seid auch ihr, meine Brüder, dem Gesetz getötet worden durch den Leib des Christus, um eines anderen zu werden, des aus den Toten Auferweckten, damit wir Gott Frucht bringen

6 Jetzt aber sind wir von dem Gesetz losgemacht, da wir dem gestorben sind, worin wir festgehalten wurden, sodass wir in dem Neuen des Geistes dienen und nicht in dem Alten des Buchstabens …

8,4 damit die Rechtsforderung des Gesetzes erfüllt wird in uns, die wir nicht nach dem Fleisch, sondern nach dem Geist wandeln

Das neue Leben heißt demnach: durch den Geist Gottes nicht mehr der Sünde dienen, sondern Gott und der Gerechtigkeit; von Herzen gehorchen; das Gesetz erfüllen und so für Gott Frucht tragen, nämlich Heiligkeit, was am Ende zu ewigem Leben führt. Das Geheimnis dieses neuen Lebens ist die Gegenwart des Geistes in uns, doch der Geist kann nur dann das Neue hervorbringen, wenn das Alte gestorben ist. Diese zwei Dinge sind untrennbar miteinander verbunden. Wer im Glauben mit Christus stirbt, steht auch mit Ihm zu einem neuen Leben auf. Wer nicht stirbt, erlebt auch keine Auferstehung.

Anders gesagt: Wir können nur dann in den Genuss der Vergebung gelangen, wenn wir zu einer grundlegenden Abkehr von unserem alten Leben und zu einer völligen Übergabe an den Heiligen Geist bereit sind. Das ist nichts anderes als biblische Buße. Wenn wir in dieser inneren Verfassung und im Vertrauen auf die Verdienste unseres Erlösers zu Gott kommen, empfangen wir Vergebung und die Gerechtigkeit, die der Heilige Geist hervorbringt, indem Er uns zu einem neuen Leben auferweckt.

Es gibt hier eine leicht erkennbare, aber sehr bedeutungsvolle Abfolge von zwei Schritten: 1) Tod durch das Gesetz, 2) Auferstehung durch den Geist. Das meint Paulus, wenn er sagt:

2Kor 3,6 Der Buchstabe tötet, der Geist aber macht lebendig.

Gal 2,19 Ich bin durchs Gesetz dem Gesetz gestorben …  20 … Christus lebt in mir.

Der Tod zeigt sich darin, dass ich „der Sünde nicht mehr diene“ (Röm 6,6); die Auferstehung zeigt sich darin, dass ich nun „der Gerechtigkeit“ diene (6,18), also Gottes Gesetz erfülle. Damit weist uns der Römerbrief auf einen wesentlichen Grund dafür hin, warum unsere Versuche, das neue Leben zu führen, so oft scheitern: Wir sind gegenüber unserem alten Leben mit seinen Sünden nicht „gestorben“, daher kann uns der Geist nicht zu dem neuen Leben „auferwecken“.

Neues Leben kommt nur aus dem Tod. Der alte Mensch (= unsere Selbstgerechtigkeit) muss tot sein, dann wird Gott ein neues Leben (= Seine Glaubensgerechtigkeit) schaffen. Das ist die große Lektion aus dem Leben Abrahams. Beachten wir, mit welchen Worten Paulus die Situation bei der Zeugung Isaaks beschreibt: Abraham hatte einen „schon erstorbenen Leib“, Sara einen „erstorbenen Mutterleib“ (Röm 4,19 SCH), bevor Isaak, der Sohn der Verheißung, entstand. Doch Abraham glaubte an einen Gott, „der die Toten lebendig macht und das Nichtseiende ruft, wie wenn es da wäre“ (V. 17). Er gab dadurch „Gott die Ehre“, dass er „der vollen Gewissheit war, dass er, was er verheißen habe, auch zu tun vermöge“ (V. 20.21). „Darum ist es ihm auch zur Gerechtigkeit gerechnet worden.“ Es war der Glaube „eines Toten“ an den „Gott, der Tote auferweckt“, der zu Abrahams Rechtfertigung führte. Dieser Punkt ist von entscheidender Wichtigkeit, denn:

Röm 4,23 Es ist aber nicht allein seinetwegen geschrieben, dass es ihm zugerechnet worden ist,

24 sondern auch unsertwegen, denen es zugerechnet werden soll, die wir an den glauben, der Jesus, unseren Herrn, aus den Toten auferweckt hat.

Es gibt für alle Menschen nur einen Weg, Rechtfertigung zu erlangen, und das ist der Weg Abrahams. Aber Laodizea ist noch nicht an diesem Punkt. Es gibt eine Menge „Ismaels“ in unserer Zeit – scheinbare Abkürzungen zur Erfüllung des verheißenen Segens. Wir haben unsere Versuche der Selbstrettung noch nicht konsequent aufgegeben, ebenso wenig wie unser altes Leben mit seinen Lieblingssünden, in die wir gerne mal zurückfallen und dafür auch schnell eine „Entschuldigung“ parat haben. Wir sind noch nicht an dem Punkt des Todes, wie Abraham und Sara es waren, und oft haben wir Angst davor, unser Lebensruder vollständig in Gottes Hand zu geben – dem eigenwilligen Ich „zu sterben“. Als Folge herrschen Lauheit und ein Mangel am Heiligen Geist. Also wartet Jesus auf die Bereitschaft zur Selbsterkenntnis, wirbt um „eifrige Buße“ und bietet uns das Gold völligen Vertrauens an, damit das neue Leben im Kleid Seiner Gerechtigkeit Wirklichkeit werden kann.

Gott alles zuzutrauen einschließlich unserer sittlichen Vervollkommnung, vor allem, wenn Er dies in zahlreichen Bibelversen doch ausdrücklich versprochen hat, „gibt Ihm die Ehre“ (Röm 4,20). Abraham traute Gott alles zu, und in diesem Vertrauen lernte er wahre „Gottesfurcht“ (1Mo 22,12), als er seinen einzigen Sohn Isaak auf dem Berg Morija darbrachte. Das hat uns viel zu sagen, die wir unter der Botschaft des ersten Engels leben: „Fürchtet Gott und gebt ihm die Ehre“ (Off 14,7).

64. Statt des Gerichtes sollten Adventisten lieber den Unglauben fürchten, denn „wegen des Unglaubens“ konnte das alte Israel das verheißene Land nicht betreten (Heb 3,19).

Wenn ein Sünder von Gottes Gericht erfährt, fürchtet er sich. Das ist eine völlig normale und zu erwartende Reaktion für jemanden, der im Bewusstsein seiner Schuldigkeit damit konfrontiert wird, dass er Rechenschaft ablegen muss. Gottes Gesetz ist sogar dazu da, den verlorenen Menschen in genau diese Situation hineinzuführen und ihm seine unausweichliche Verlorenheit nachdrücklich vor Augen zu halten. Die Absicht dahinter erklärt der Apostel Paulus so: Die Erkenntnis, dass er unter Gottes gerechter Verdammung steht, soll den Menschen zu Christus treiben, der ihm als Einziger Erlösung von dem drohenden Schicksal bringen kann.

Röm 7,7 Was wollen wir nun sagen? Ist das Gesetz Sünde? Das sei ferne! Aber ich hätte die Sünde nicht erkannt, außer durch das Gesetz

Gal 3,19 Was soll nun das Gesetz? Es wurde der Übertretungen wegen hinzugefügt …

22 Die Schrift hat alles unter die Sünde eingeschlossen

24 Also ist das Gesetz unser Zuchtmeister auf Christus hin geworden, damit wir aus Glauben gerechtfertigt würden.

Gott hat in Seiner unendlichen Liebe einen Weg gefunden, uns im Gericht nicht verurteilen zu müssen, sondern mit Fug und Recht gänzlich freisprechen – „rechtfertigen“ – zu können, und es ist der „Glaube“, der die Füße des Menschen auf diesen Weg setzt. Christus selbst ist dieser Weg, weil jeder einzelne Schritt nur im Vertrauen auf Ihn und in enger Lebensgemeinschaft mit Ihm geschehen kann. So ist Gottes Sohn zum Brückenbauer und Wegbereiter zurück zum Vater geworden, und das Gericht hat für den Gläubigen allen Schrecken verloren. Ja, im festen Glauben an Jesu Gerechtigkeit „auf ihm“, die ihn unverklagbar macht, kann er sogar mit David den Wunsch aussprechen:

Ps 7,9 Richte mich, HERR, nach meiner Gerechtigkeit und nach meiner Lauterkeit, die auf mir ist.

Ps 54,1 Gott, durch deinen Namen rette mich, und schaffe mir Recht durch deine Macht!

Der Gläubige weiß, dass „der HERR, unsere Gerechtigkeit“ eine lebendige Wirklichkeit ist, dass Jesu Gerechtigkeit eine schöpferische Kraft ist, die ihm vollständig zugerechnet und verliehen wird, und dass der Freispruch im himmlischen Gericht jedem sicher ist, der ebendiese Verheißungen bis zum Ende standhaft festhält – in Vertrauen und williger Nachfolge.

Off 14,12 Hier ist das standhafte Ausharren der Heiligen, hier sind die, welche die Gebote Gottes und den Glauben an Jesus bewahren!

Unsere Rettung verwirklicht sich „aus Glauben“. Das alte Israel scheiterte nicht an der Supermacht Ägypten, den lebensfeindlichen Umständen der Wüste, den Riesen Kanaans oder den stark befestigten Städten. Es scheiterte an der einzigen Instanz, die Gottes Siegeszug mit seinem Volk tatsächlich verhindern konnte: an sich selbst. Es war die Entscheidung für den Zweifel und gegen das Vertrauen, die das Schicksal einer ganzen Generation besiegelte, „deren Leiber in der Wüste fielen“ (Heb 3,17). Sie wiederholten die Sünde des ersten Menschenpaares am Baum der Erkenntnis, mit nicht weniger fatalen Folgen.

1Kor 10,11 Alles dies aber widerfuhr jenen als Vorbild und ist geschrieben worden zur Ermahnung für uns, über die das Ende der Zeitalter gekommen ist.

Kein einziger Gläubiger, auch nicht der schwächste und zitterndste, wird scheitern, weil die Latte christlicher Vollkommenheit für ihn angeblich zu hoch liegt. Es gibt nur eine Möglichkeit, das himmlische Kanaan zu verpassen: durch Unglauben – durch Zweifel am Wort Gottes, die zu Ungehorsam führen. Es gibt da ein sehr wahres Wort: „Wenn ich auf mich schaue, wüsste ich nicht, wie ich gerettet werden könnte. Wenn ich auf Jesus schaue, wüsste ich nicht, wie ich verloren gehen könnte.

HP 186 Alles, was den Glauben und das Vertrauen in unseren Erlöser schwächt, müssen wir als wertlos ansehen

Wenn du in der Liebe Christi ruhst und dem Heiland und Lebensgeber vertraust, dass er die Rettung deiner Seele für dich bewirkt, wirst du Ihm näher und immer näher kommen und verstehen, was es heißt, den Anblick des Unsichtbaren zu ertragen. Gott möchte, dass wir in Seiner Liebe ganz zur Ruhe kommen. Der innere Friede, den Christus schenkt, ist unendlich wertvoller als Gold, Silber und Edelsteine …

63. Unzählige Adventisten sind aufgrund ihrer geistlichen Schwachheit so verzagt, dass sie begierig nach einer „Heilsgewissheit“ greifen, die sich im Gericht allein auf eine zugerechnete Heiligkeit stützt, obwohl schon der gesunde Menschenverstand sagt, dass dies nicht alles sein kann, wenn ich eines Tages in der Gegenwart eines heiligen Gottes stehen will.

Diese These beschreibt meine Beobachtung. Ich kann die Situation der Verzagtheit aus eigener Erfahrung sehr gut nachvollziehen und verstehe menschlich betrachtet, wie anziehend eine Rechtfertigungslehre wirkt, die allein auf die zugerechnete Gerechtigkeit Jesu setzt. Das „Problem Gericht“ scheint damit konsequent gelöst, und auch ins eigene Leben kommt die Leichtigkeit einer Glaubenspraxis, wo wir uns zwar (mehr oder weniger) um ein christliches Leben bemühen, Versagen und hartnäckige Schwächen aber in der tröstlichen Gewissheit „gut ertragen“ können, dass sie kein Hindernis für unser Heil darstellen.

Rein subjektiv empfinde ich durchaus Sympathie für so einen Lebensstil und habe ihn phasenweise auch selbst praktiziert. Biblisch betrachtet, muss ich ihn jedoch als illegitime Verbindung von geistlichen Wahrheiten und fleischlichen Praktiken ablehnen. Diese Theologie versucht eine Unmöglichkeit: Christ zu sein, ohne sich zu bekehren. Menschen auf diesem Weg beanspruchen zwar, mit Christus gestorben zu sein, und reden häufig vom Kreuz, Rechtfertigung, Gottes Gnade und Seiner Liebe; sie versäumen aber, mit Christus auch aufzuerstehen und ein ganz neues Leben im Geist zu beginnen – rein, selbstlos und voller guter Werke. Sie haben eine diffuse Überzeugung, dass alle ihre Sünden, schlechten Gewohnheiten und Charakterschwächen einmal schlagartig beseitigt werden, wenn sie auferstehen oder bei der Wiederkunft verwandelt werden. Gott wird das dann schon „irgendwie machen“, und dieses Sich-voll-auf-Gott-Verlassen missverstehen sie als rettenden Glauben.

1SM 313f. Viele bekennen sich zu Christus, werden aber nie zu reifen Christen. Sie gestehen ein, dass der Mensch gefallen ist und seine Fähigkeiten geschwächt sind, dass er aus sich nichts Sittliches hervorbringen kann. Doch dann sagen sie, Christus habe alle Lasten, alle Leiden und alle Selbstverleugnung auf sich genommen, und sie haben nichts dagegen, ihn alles tragen zu lassen. Sie sagen, sie hätten nichts weiter zu tun, als zu glauben. Aber Christus hat gesagt: „Wenn jemand mir nachkommen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf und folge mir nach!“ (Mt 16,24)

Gott wird das in der Tat „irgendwie machen“, aber Er tut es in diesem Leben und unter Bedingungen, die in Seinem Wort sowie im Geist der Weissagung ausführlich beschrieben sind: Reue, Sündenbekenntnis, Hingabe, Liebe, Gehorsam, Selbstverleugnung, Dienst, Zeugnis, Mission.

FW 52 Gott erwartet heute nichts anderes als von dem heiligen Paar in Eden: vollkommenen Gehorsam gegenüber seinen Forderungen. Sein Gesetz bleibt durch alle Zeitalter hindurch dasselbe. Der große Standard für Gerechtigkeit, wie das Alte Testament ihn beschreibt, wird im Neuen nicht abgeschwächt. Das Evangelium ist nicht dazu da, den Maßstab von Gottes heiligem Gesetz zu erniedrigen, sondern den Menschen so zu erhöhen, dass er dessen Vorschriften halten kann.

Der rettende Glaube an Christus ist nicht so, wie er von vielen dargestellt wird. „Glaube, glaube“, rufen sie, „glaube nur an Christus, und du wirst errettet. Mehr musst du nicht tun.“ Zwar verlässt sich wahrer Glaube tatsächlich ganz auf Christus, was die Erlösung angeht, doch führt er auch zu vollkommener Übereinstimmung mit Gottes Gesetz. (vgl. GW 50)

Wiederholen wir die Aussage in diesem Zitat noch einmal, damit sie glasklar heraussteht:

  • Falscher Glaube verlässt sich ganz auf Christus, um vollkommene Vergebung zu erlangen, jedoch nicht vollkommenen Gehorsam, und missversteht dies als Rettung.
  • Wahrer Glaube verlässt sich ganz auf Christus, um vollkommene Vergebung und vollkommenen Gehorsam zu erlangen.

Können wir sehen, dass wir in der Adventgemeinde „ein Problem“ haben …? Betrachten wir die gleiche Sache von einer etwas anderen Seite und stellen dem inspirierten Wort die Frage: Wer wird einmal in Gottes Gegenwart stehen?

Ps 15,1 HERR, wer darf in deinem Zelt weilen? Wer darf wohnen auf deinem heiligen Berg?

2 Der rechtschaffen wandelt und Gerechtigkeit übt

Ps 24,3 Wer darf hinaufsteigen auf den Berg des HERRN und wer darf stehen an seiner heiligen Stätte?

4 Der unschuldige Hände und ein reines Herz hat

EW 15f. Bald wurde unser Blick nach Osten gewendet, denn eine kleine, schwarze Wolke war erschienen, etwa halb so groß wie eine Männerhand. Wir alle wussten, dass es das Zeichen des Menschensohnes war. In feierlichem Schweigen schaute jeder von uns zu, wie die Wolke näherkam und heller und immer noch herrlicher wurde, bis es eine große, weiße Wolke war. Ihr Grund sah aus wie Feuer, und ein Regenbogen war über ihr. Zehntausende Engel umgaben sie und sangen ein wunderschönes Lied. Auf ihr saß der Menschensohn. Sein weißes, lockiges Haar lag auf seinen Schultern, und auf seinem Kopf waren viele Kronen. Seine Füße sahen wie Feuer aus. In der rechten Hand hatte er eine scharfe Sichel, in der linken eine silberne Trompete. Seine Augen glichen einer Feuerflamme, sein prüfender Blick las alles in Seinen Kindern. Da wurden alle Gesichter blass, und die Gesichter der von Gott Verworfenen wurden finster. „Wer wird bestehen?“, riefen wir alle aus. „Ist mein Kleid fleckenlos?“ Die Engel hörten auf zu singen, und eine furchtbare Stille trat ein. Dann sagte Jesus: „Wer saubere Hände und ein reines Herz hat, wird bestehen. Meine Gnade ist für euch ausreichend.“ Da hellten sich unsere Gesichter auf, und Freude erfüllte jedes Herz. Die Engel nahmen ihren Gesang wieder auf, diesmal einen Ton höher, und die Wolke bewegte sich weiter auf die Erde zu. (vgl. EG 13)

PUR, 9.2.1905 Ich sage euch im Namen Jesu von Nazareth, dass wir als Volk unbedingt eine Reformation brauchen. Wenn jemand nicht in jeder Hinsicht christusähnlich mit seinem Nächsten umgeht und die Gesetze des Himmels in allen Einzelheiten befolgt, wird er die Stadt Gottes niemals betreten. Es gibt für niemanden eine Entschuldigung zu scheitern. Wir haben alle Christi Charakter vor uns, um ihn zu studieren und nachzuahmen …

Was meint Gottes Wort, wenn es erklärt, dass Christus die Gemeinde sich selbst ohne Flecken oder Runzel oder etwas dergleichen darstellt? Es meint, dass Gottes Volk das Ziel christlicher Vollkommenheit erreichen kann und muss. Doch dazu muss es erst von Christus Sanftmut und Demut lernen.

Durch das Opfer Christi ist vollständig dafür gesorgt, dass Gläubige alles [Hervorhebung original] zum Leben und zur Gottseligkeit erhalten. Die Vollkommenheit seines Charakters macht es uns möglich, Vollkommenheit zu erlangen.

Eine persönliche Bemerkung am Rande: Ich überlege oft, was ich anstreichen soll und was nicht, um die Aussagen in einem Zitat bzw. meine Intention beim Zitieren etwas übersichtlicher darzustellen. Die Entscheidung ist nicht einfach. In vielen Zitaten (wie in dem letzten) steckt dermaßen viel drin, dass man es eigentlich immer wieder lesen und in allen Einzelheiten bedenken und verinnerlichen müsste. Oft würde ich am liebsten fast alles hervorheben, aber das wäre natürlich kontraproduktiv. Wenn ich also etwas nicht anstreiche, heißt das keineswegs, dass ich es für unwichtig erachte. Es hängt vom jeweiligen Gedankengang der These ab: Manchmal hebe ich mehr das „Muss“ (die Anforderung) hervor, manchmal mehr das „Wird“ (die Verheißung); manchmal mehr die göttliche Retterliebe und Gnade, manchmal mehr die menschliche Verantwortung als Gnadenempfänger. Ob so oder so: Insgesamt ist mein Bemühen, obwohl mein Schwerpunkt in diesen Thesen auf sittlicher Vollkommenheit liegt, ein ausgewogenes Bild zu vermitteln.

62. Unzählige Adventisten haben Angst vor dem Gericht und glauben deshalb bereitwillig der Behauptung, im Untersuchungsgericht ständen nicht ihre Werke auf dem Prüfstand, sondern allein die ihres Stellvertreters Jesus Christus, obwohl die Schrift dem deutlich widerspricht.

Die Bibel lehrt, dass jeder Mensch – Gläubige wie Ungläubige – nach seinen Werken gerichtet werden wird:

Pred 12,14 Gott wird jedes Werk, es sei gut oder böse, in ein Gericht über alles Verborgene bringen.

1Pe 1,17 [Gott] richtet ohne Ansehen der Person nach eines jeden Werk

Mt 12,36 Ich sage euch aber, dass die Menschen von jedem unnützen Wort, das sie reden werden, Rechenschaft geben müssen am Tag des Gerichts;

37 denn aus deinen Worten wirst du gerechtfertigt werden, und aus deinen Worten wirst du verdammt werden.

Röm 2,12 Denn so viele ohne Gesetz gesündigt haben, werden auch ohne Gesetz verlorengehen; und so viele unter Gesetz gesündigt haben, werden durch Gesetz gerichtet werden

13 – es sind nämlich nicht die Hörer des Gesetzes gerecht vor Gott, sondern die Täter des Gesetzes werden gerechtfertigt werden.

2Kor 5,10 Wir müssen alle vor dem Richterstuhl Christi offenbar werden, damit jeder empfange, was er durch den Leib vollbracht, dementsprechend, was er getan hat, es sei Gutes oder Böses.

Angst vor dem letzten Gericht entsteht, wenn ich das Gefühl habe, mit einem Maßstab konfrontiert zu werden, dem ich unmöglich gerecht werden kann. Für dieses weit verbreitete Gefühl gibt es Gründe – teils im persönlichen Leben, teils in der Geschichte unserer Gemeinde. Wird das Gesetz hochgehalten (was richtig ist), aber nicht im selben Maß Christus als das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt wegnimmt, entstehen natürlich Angst und Beklemmung. Das Gesetz verurteilt uns ja zum Tode! Seine unbestechliche Gerechtigkeit kann uns keine Hoffnung auf irgendeinen Ausweg machen. Doch Jesus, unser Stellvertreter, Bürge und treuer Beistand, kann es! Er kann und wird uns zu mehr als Überwindern machen, weil dies keine Frage unserer Kraft und Tugend ist, sondern eine Frage Seiner Kraft und Tugend.

Eph 3,20 [Gott] vermag über alles hinaus zu tun, über die Maßen mehr, als wir erbitten oder erdenken, gemäß der Kraft, die in uns wirkt …

Röm 8,37 In diesem allen sind wir mehr als Überwinder durch den, der uns geliebt hat.

Röm 5,5 Die Hoffnung lässt nicht zuschanden werden, denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben worden ist.

Wenn wir Gottes Willigkeit verstehen, uns zu vergeben, Seine Macht, uns von jeder Gebundenheit freizumachen, Seine unbeschreibliche Liebe zum Sünder, die Ihn dazu brachte, Seinen einzigen Sohn für uns zu geben, als wir Ihm ganz feindlich gegenüberstanden, und wenn wir uns für diese Liebe öffnen – dann wird jede Angst weichen. Die Güte, Freundlichkeit und tiefe Zärtlichkeit, die uns im Leben und im Angesicht Christi begegnen, können nicht anders, als die Wogen der Furcht auf unserem Seelenmeer zur Ruhe zu bringen, weil hier kein zorniger Tyrann vor uns steht, sondern ein liebender Vater, der sich nach Seinen verlorenen Kindern sehnt.

1Joh 4,18 Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus.

Gleichzeitig ist Gottes Liebe kein Ersatz oder Konkurrent für Sein Gesetz. Seine Gerechtigkeit bleibt ohne Einschränkung bestehen, denn sie ist ja in jeder Hinsicht „heilig, gerecht und gut“ (Röm 7,12), ein Ausdruck göttlicher Vollkommenheit. Die Liebe kann die Furcht daher nicht auf einem Weg austreiben, der das Gericht umgeht, weil ausnahmslos jeder Mensch einmal vor Gottes Richterstuhl treten muss. Stattdessen hat die Liebe einen Weg gefunden, unseren Prozess mit einem vollständigen Freispruch enden zu lassen, ohne Gottes Gerechtigkeit zu kompromittieren. Es ist die perfekte Lösung, und selbst der große Chefankläger alias Satan kann bei diesem Vorgehen nicht den kleinsten Kritikpunkt finden.

Gottes Lösung lässt sich so beschreiben: Der Mensch muss einwilligen, eine neue Identität anzunehmen und eine neue Existenz zu beginnen. Die neue Identität entsteht, wenn er bereit ist, seine Autonomie (wörtl. „Eigengesetzlichkeit“) aufzugeben und eine dauerhafte Symbiose mit Gott einzugehen. Göttliches und Menschliches verschmelzen nun zu einer neuen „Lebensform“, die so radikal anders ist, als wäre gerade ein völlig neuer Mensch auf die Welt gekommen. Der alte Mensch muss für seine vielen Sünden „sterben“, und er tut das, indem er sich im Glauben mit dem sterbenden Erlöser am Kreuz vereint und mit Ihm gemeinsam das Leben aushaucht. Doch auf den vereinten Tod folgt die vereinte Auferstehung: Der neue Mensch erhält Anteil an einer Macht, die die Ketten des Todes sprengt. Die Sünde zwang ihn ins Grab – so forderte es das vollkommene Gesetz –, doch die unverdiente Gnade göttlichen Lebens ruft ihn wieder aus dem Grab hervor und schenkt ihm ein neues Leben jenseits des verdienten Todes, einen neuen Anfang, ein neues Sein.

Die „neue Kreatur“, die so entstanden ist, ist göttlichen Ursprungs. Sie ist rein, heilig und vollkommen und „kann nicht sündigen“ (1Joh 3,9; Sünde ist immer eine „Auferstehung“ des alten Menschen oder Folge davon, dass der alte Mensch nie ganz gestorben ist). Sie besitzt vollkommene Gerechtigkeit – es ist die Gerechtigkeit Jesu, die zum Vorschein kommt, weil Er in dem neuen Menschen lebt und ihn füllt und bewegt und nährt. In dieser Gemeinschaft wächst und erstarkt der neue Mensch immer weiter. Er gewinnt mehr und mehr Profil, Charakter. Sein Denken, Wollen und Handeln verfestigen sich, je mehr er Saft und Kraft aus der Lebenseinheit mit Christus zieht – als würde eine Rebe am Weinstock hängen. Und der Tag kommt, an dem Gottes Plan erfüllt und die Trauben zur Reife gelangt sind. Es ist die Zeit der Ernte und die Zeit der letzten „Zurechtbringung“ (= des „Richtens“). Zwar ist es Aufgabe der Rebe (des Menschen), durch die ihr verliehene Gnade die Lebensverbindung mit dem Weinstock zu suchen und zu erhalten, doch darüber hinaus liegt es allein in der Verantwortung des Weinstocks (Jesus) und des Weingärtners (Gott), die Frucht (Gerechtigkeit) in der Rebe hervor- und zur Reife zu bringen (zu vervollkommnen).

COL 312 Wenn wir uns Christus ausliefern, wird das Herz mit seinem Herzen vereint, der Wille geht in seinem Willen auf, die Gesinnung wird eins mit seiner Gesinnung, die Gedanken werden gefangen genommen unter ihn – wir leben sein Leben. Das bedeutet es, mit dem Kleid seiner Gerechtigkeit bekleidet zu sein. Wenn der Herr uns dann anschaut, sieht er keinen Schurz aus Feigenblättern, nicht die Nacktheit und Entstelltheit der Sünde, sondern sein eigenes Gewand der Gerechtigkeit, nämlich vollkommenen Gehorsam gegenüber dem Gesetz Jehovas.

Das Gericht kann an dieser neuen Kreatur nichts finden, was zu beanstanden wäre, selbst nicht vor dem Maßstab der vollkommenen Gerechtigkeit der Zehn Gebote, des Gesetzes von Liebe und Freiheit. Alles, was diesen Menschen ausmacht, hat er von Christus erhalten, wurde von Christus geprägt, ist eine Kopie Seiner Eigenschaften. Alles, was an diesem Menschen zu sehen ist, ist eine Reflektion göttlicher Schönheit, makellos und herrlich. Für seine Sünden hat Christus bereits bezahlt, und durch die existenzielle Einheit mit Jesus gilt der Mensch als mitgestorben und wegen seiner Sünden nicht mehr anklagbar. Das, was war, ist beglichen; das, was ist, ist rein und untadelig. Kein Mensch, kein Engel, ja nicht einmal der Erzrebell kann dem widersprechen, was für alle offen vor Augen liegt: „Gerechtigkeit und Frieden haben sich geküsst.“ (Ps 85,11) Nur ein Urteil ist möglich – Freispruch in allen Anklagepunkten.

Röm 8,29 Die er vorher erkannt hat, die hat er auch vorherbestimmt, dem Bilde seines Sohnes gleichförmig zu sein, damit er der Erstgeborene sei unter vielen Brüdern.

30 Die er aber vorherbestimmt hat, diese hat er auch berufen; und die er berufen hat, diese hat er auch gerechtfertigt; die er aber gerechtfertigt hat, diese hat er auch verherrlicht.

31 Was sollen wir nun hierzu sagen? Wenn Gott für uns ist, wer gegen uns?

32 Er, der doch seinen eigenen Sohn nicht verschont, sondern ihn für uns alle hingegeben hat: wie wird er uns mit ihm nicht auch alles schenken?

33 Wer wird gegen Gottes Auserwählte Anklage erheben? Gott ist es, der rechtfertigt.

34 Wer ist, der verdamme? Christus Jesus ist es, der gestorben, ja noch mehr, der auferweckt, der auch zur Rechten Gottes ist, der sich auch für uns verwendet.

Schon vor aller Ewigkeit hat Gott uns dazu bestimmt, das „Bild seines Sohnes“ widerzustrahlen. Vor aller Ewigkeit hat er beschlossen, uns Jesu vollkommene Gerechtigkeit aufs Herz zu schreiben. Heute – kurz vor der Wiederkunft – ist wie nie zuvor die Zeit dafür, dass der Heilige Geist genau dies an Gottes Volk tut. Alles, was wir brauchen, ist Vertrauen in diesen ewigen Plan Gottes und die Einladung an Jesus, durch Seinen Geist in uns wohnen und wirken zu dürfen. Mit dem Geist wird Gottes Liebe in das Herz ausgeschüttet, und diese Liebe, wenn wir sie ausleben, ist gleichbedeutend mit der vollkommenen Erfüllung aller Gebote. Daher dürfen wir dem Gericht, statt mit Angst, mit der Freimütigkeit von Begnadigten und als geistliche Brüder und Schwestern Jesu entgegensehen.

1Joh 4,17 Hierin ist die Liebe bei uns vollendet worden, dass wir Freimütigkeit haben am Tag des Gerichts, denn wie er ist, sind auch wir in dieser Welt.

61. Unzählige Adventisten können nicht glauben, dass Gott ihren Charakter während ihrer Lebenszeit vervollkommnen will, haben aber keinen Zweifel, dass er dasselbe bei der Versiegelung bzw. Wiederkunft in einem Augenblick tun wird, obwohl die Schrift dies an keiner Stelle lehrt.

Ich kenne viele tiefgläubige, treue Adventisten, vor denen ich großen Respekt habe, die mit dem Thema Vollkommenheit jedoch ihre liebe Mühe haben. Ich erinnere mich an ein Gespräch darüber mit einem Prediger, der für mich in vieler Hinsicht ein Vorbild war. Eine Zeitlang wehrte er meine Argumente ab, doch an einem bestimmten Punkt drehte er sich um 180 Grad (so kam es mir vor) und sagte: „Wir sind ja schon vollkommen.“ Und dann kam der Vergleich mit der Pflanze oder dem Baby, das in allen Wachstumsstadien vollkommen sein kann, auch wenn es noch nicht ausgewachsen ist. (Hier geht es um zwei verschiedene Arten von Vollkommenheit, aber davon soll an dieser Stelle nicht die Rede sein; Studienhinweis Phil 3,12-15.)

Ich nenne die beiden Pole dieses 180-Grad-Phänomens „soteriologischen Präterismus und Futurismus“. Präterismus und Futurismus sind zwei Auslegungsmethoden, die Jesuiten nach der Reformation erfanden, um den Papst von dem Vorwurf reinzuwaschen, er sei der prophetisch vorausgesagte Antichristus. Beide Methoden dienten demselben Zweck: Die unangenehme Wahrheit möglichst weit von der realen Kirche der Gegenwart wegzuschieben – entweder in die ferne Vergangenheit (Präterismus = „hat sich alles schon längst erfüllt“) oder in die ferne Zukunft (Futurismus = „das kommt erst noch irgendwann“).

Oft kommt es mir vor, als würden wir mit der Erlösung das Gleiche machen: möglichst weit wegrücken von unserem realen Leben mit seinen konkreten Gedanken, Worten und Taten – entweder in die Vergangenheit („wir sind schon vollkommen“) oder in die Zukunft („das macht Jesus dann bei der Wiederkunft“). Ist das Evangelium wirklich so schwach, dass es vor dem Anspruch moralischer Vollkommenheit in die Knie gehen muss? Kann ein Christ kein ehrliches Resümee seiner Nachfolge wagen, keinen ungeschminkten Blick auf seine Lebensrealität und den Vergleich mit Gottes Maßstab der Gerechtigkeit – dem ewigen Gesetz selbstloser Liebe? Je abstrakter, je sachgebundener, je losgelöster von unserer Person Rechtfertigung und Erlösung geschehen – irgendwo weit weg im Himmel –, desto tiefer können wir durchatmen und desto größer ist unsere „Heilsgewissheit“? Das scheint mir doch ein sehr zerbrechlicher „Seelenfriede“ zu sein.

Und es vermittelt ein sehr fragliches Gottesbild – von einem Gott, der uns mit großartigen Zusicherungen aufmuntert, der Seine befreiende und heilende Macht aber bis ganz zum Schluss aufbewahrt; von einem Gott, der uns zum Gehorsam ermutigt und gleichzeitig schon weiß, dass das so richtig gar nicht klappen kann; von einem Gott, der offenbar „interessiert zuschaut“, wie wir uns abmühen, unseren bösen Neigungen gegenzusteuern, um dann nach 50, 60, 70 Jahren mit einer einzigen Berührung seines „Zauberstabs“ herbeizuführen, was Er eigentlich von Anfang hätte tun können – wenn Er nur gewollt hätte …? Welchen Sinn hätte so ein Vorgehen? In welches Licht würde es die mitfühlende Liebe und herzliche Fürsorge unseres himmlischen Vaters stellen? Ich für meinen Teil würde mich von einem solchen Gott im Stich gelassen, gequält und betrogen fühlen. Er wäre für mich weder vertrauens- noch liebenswürdig.

Die gesamte irdische Mission Jesu spricht eine völlig andere Sprache. Er ist den Menschen nahe gekommen, ganz nahe, so nahe, wie es irgend möglich war. Er war unter ihnen hörbar, fühlbar, sichtbar. Seine Hilfe war konkret, Seine Worte lebenstauglich, Seine Heilungen (Sinnbilder für Erlösung!) vollständig und vollkommen. Darin steckt eine mächtige Botschaft: Gott ist kein Theoretiker. Wir missverstehen Sein Wesen, wenn wir meinen, Er könne uns aus irgendwelchen mysteriösen Gründen momentan nur eingeschränkt Hilfe senden, und wir müssten uns mit unseren Schwächen eben irgendwie arrangieren, bis Er eines Tages dann in einem gewaltigen Handstreich alles einschließlich unserer Herzen neu und vollkommen machen würde.

Nein, Gott ist jetzt schon da! Als der Sohn Gottes Mensch wurde, erhielt er den Namen Immanuel: „Gott ist mit uns“! Es war die ungeteilte, mächtige, liebende Gegenwart des souveränen Schöpfers des Universums, die, verhüllt in eine menschliche Gestalt, auf diese Erde gekommen war. Und seit Christus wieder in den Himmel aufgefahren ist, hat der Heilige Geist Seine Stelle eingenommen und bringt uns ebenfalls die ganze Fülle der Göttlichkeit in greifbare Nähe – sogar noch näher und umfassender, als es zuvor Jesus in menschlicher Gestalt möglich gewesen war.

Auf den Punkt gebracht: Gottes Heil ist da – jetzt, hier, unmittelbar! Ja, der Weg mit Gott ist eine lebenslange Schule der Heiligung, und Anfechtungen und Kämpfe warten auf jeden einzelnen Nachfolger. Doch Gottes rettende und befreiende Gegenwart – darauf brauchen wir nicht einen Moment länger zu warten, denn sie ist nur ein Gebet weit entfernt. Im Glauben dürfen wir sie erbitten und erfahren.

LJ 252 Bitten wir um irdische Segnungen, so mag die Erhörung unseres Gebets verzögert werden oder Gott mag uns etwas anderes geben als das Erbetene. Wenn wir aber um Befreiung von der Sünde bitten, hilft er sofort. Es ist sein Wille, uns von der Sünde zu befreien, uns zu seinen Kindern zu machen und uns zu befähigen, ein gerechtes Leben zu führen.

COL 332f. Die himmlischen Wesen werden dem Menschen beistehen, der mit entschlossenem Glauben jene Vollkommenheit des Charakters anstrebt, die sich bis zur Vollkommenheit des Handelns ausstreckt. Jedem, der diese Aufgabe anpackt, sagt Christus: Ich bin zu deiner rechten Hand, um dir zu helfen.

Vergessen wir nicht: Gott hasst Sünde. Wäre es möglich, sie unverzüglich auszurotten, würde Er es tun. Wäre Gott fähig, uns in einem Moment zu heiligen, würde Er es tun – und zwar sofort bei der Bekehrung. Aber es geht eben nicht. Wir haben etwas zu lernen, wir müssen wachsen, reifen und fest werden. 6 000 Jahre Sünde lassen sich nicht auf Knopfdruck aus unserem Kopf und dieser Welt entfernen, sonst wäre doch die millionenfache Frage gerechtfertigt, warum denn Gott nichts gegen das unsägliche Leid auf der Erde unternehme. Er muss Zeit geben, damit jeder Mensch seine Chance erhält und lernt, seinen freien Willen wieder zu gebrauchen, und damit andererseits auch das Böse voll ausreift und dann nie wieder auftauchen kann.

Der Prozess von Entscheidung, Wachstum und Reife eines jeden Menschen geschieht auf dieser Erde, in diesem Leben. Bibel und Geist der Weissagung lehren einmütig und eindeutig, dass es über das Grab hinaus keine Möglichkeit einer moralischen Läuterung gibt. Jeder wird einmal ernten, was er zu Lebzeiten gesät und gepflegt hat.

Heb 9,27 Und wie es den Menschen bestimmt ist, einmal zu sterben, danach aber das Gericht,

28 so wird auch der Christus, nachdem er einmal geopfert worden ist, um vieler Sünden zu tragen, zum zweiten Male ohne Beziehung zur Sünde denen zum Heil erscheinen, die ihn erwarten.

Off 22,11 Wer unrecht tut, tue noch unrecht, und wer unrein ist, verunreinige sich noch, und wer gerecht ist, übe noch Gerechtigkeit, und wer heilig ist, sei noch geheiligt.

AH 16 Den Charakter, den du während der Gnadenzeit hast, wirst du auch bei der Wiederkunft Christi haben. Willst du ein Heiliger im Himmel sein, musst du zuerst ein Heiliger auf der Erde sein. Die Charaktermerkmale, die du im Leben entwickelst, werden nicht durch den Tod oder bei der Auferstehung geändert. Du wirst mit demselben Wesen aus dem Grab auferstehen, das du zuhause und in der Gesellschaft offenbart hast. Jesus verändert den Charakter bei seiner Wiederkunft nicht. Das Werk der Umwandlung muss jetzt getan werden. Unser tägliches Leben bestimmt unser Schicksal.

AH 319 Viele täuschen sich, wenn sie denken, dass der Charakter bei Christi Kommen umgewandelt wird, denn bei seinem Erscheinen wird es keine Herzensänderung geben. Unsere Charakterfehler müssen hier bereut werden, und durch die Gnade Christi müssen wir sie überwinden, solange noch Gnadenzeit ist.

60. Die Lehre der Charaktervervollkommnung ist nicht extrem, sondern die konsequente Weiterführung der reformatorischen Glaubensgerechtigkeit und unsere einzige Hoffnung auf ewiges Leben. Sie „gibt Gott die Ehre“ (Off 14,7) als Neuschöpfer und mächtigem Erlöser. Sie ist der einzige biblische und logische Weg zur endgültigen Beseitigung der Sünde und die großartigste Verheißung, die Gott Menschen je gemacht hat.

Vollkommenheit ist Heiligkeit, Reinheit, Wahrhaftigkeit, Liebe, Gerechtigkeit, Makellosigkeit, Untadeligkeit, Schönheit, Vollendung. Vollkommenheit vereint alles nur denkbar Positive in sich. Sie ist eine tiefgreifende Beschreibung des Wesens Gottes und in ihrer ultimativen Bedeutung Göttlichkeit par excellence. Wenn Vollkommenheit extrem ist, ist Gott extrem. Aber weil das natürlich nicht der Fall und Gott tatsächlich absolut und ohne jede Einschränkung gut ist, ist Vollkommenheit absolut und ohne jede Einschränkung gut.

Warum hat Vollkommenheit dann einen so schlechten Ruf in unseren Reihen? Warum schmeckt sie so anrüchig nach Fanatismus? Wieso schätzen, ehren und erstreben wir sie so wenig als eine unvergleichliche, erstaunliche und kostbarste Gabe Gottes? Weshalb lieben und ersehnen wir sie nicht als Ausdruck alles dessen, was unseren Vater im Himmel ausmacht und im Leben von Jesus Christus offenbar geworden ist? Wer oder was hat die Bedeutung dieses, ich möchte sagen, „heiligen“ Begriffes so getrübt und verdreht?

Christliche Vollkommenheit ist die Frucht wahrer Rechtfertigung. Ein Glaube, der uns in lebendige Gemeinschaft mit Christus bringt, führt immer zur inneren Vervollkommnung. Vollkommenheit ist die Verwirklichung und der Beweis echter Glaubensgerechtigkeit. Der Glaube ist das Alpha, Vollkommenheit das Omega und Christus, „das Alpha und das Omega“ in Person, ist auch das gesamte Alphabet, das diese beiden griechischen Buchstaben miteinander verbindet.

Ein geschätzter Prediger und Bibellehrer hielt einmal einen Vortrag über Rechtfertigung, bei dem ich anwesend war. Er stellte Heiligung als eine Kurve der Sittlichkeit dar, die ab der Bekehrung einen Aufwärtstrend mit Höhen und Tiefen erfuhr und dort, wo das Lebensende markiert war, bei etwa „70 % Heiligkeit“ auslief. In einem anschließenden Briefwechsel fragte ich ihn, was denn mit den fehlenden 30 % geschehe, da doch laut Bibel und Geist der Weissagung über den Tod hinaus keine Heiligung mehr stattfinde. Abgesehen davon, dass mir meine Argumentation das Prädikat eines „klassischen Perfektionisten“ einheimste, lautete seine Antwort: „Wir werden nicht aufgrund unserer Heiligung gerettet, sondern aufgrund des Todes Christi.“

Das ist eine leider häufig auftretende Du-fragst-nach-einem-Apfel-Hier-hast-du-eine-Birne-Antwort. Meine Nachfrage bezog sich nicht auf das Fundament, sondern auf das Gebäude, das darauf entsteht, und was denn passiert, wenn der Dachstuhl zwar steht, aber nie mit Ziegeln gedeckt wird. Ein Hinweis auf die tadellose Qualität des Fundamentes ist wenig hilfreich, wenn der Regen einsetzt.

Auf die Erlösung bezogen: Der Tod Christi ist in der Tat die Grundlage unserer Rettung, aber die Rettung selbst besteht in Vergebung und einem neuen Herzen – als Frucht und praktische Auswirkung von Christi Kreuzestod. Heiligung ist konkret gewordene Rettung, und deswegen lautete obige Antwort eigentlich: „Wir werden nicht aufgrund unserer Rettung gerettet, sondern aufgrund des Todes Christi.“ Nun steht es mir fern, diesem Bruder Böses zu unterstellen; doch tatsächlich gebrauchte er Golgatha als Begründung dafür, warum wir keine Rettung (in Gestalt völliger Heiligung) bräuchten.

Es stimmt: Wir werden nicht aufgrund unserer Heiligung gerettet – Heiligung ist die Rettung! Wir werden auch nicht aufgrund unserer Vollkommenheit erlöst – Vollkommenheit ist die Erlösung! Es geht hier schlicht um Ursache (Rechtfertigung) und Wirkung (Vervollkommnung), und ich kann eine mangelhafte Wirkung nicht damit beiseiteschieben, dass ich auf die wichtige Rolle der Ursache verweise.

Darum: Vollständige Heiligung ist der Zwillingsbruder von und die logische Konsequenz aus vollständiger Rechtfertigung, wie die Reformation sie entdeckt und verkündet hat. Und würde Gott uns Hoffnung auf ewiges Leben machen auch ohne sittliche Vollkommenheit, müsste er ein Plätzchen für Unvollkommenheit genannt „Sünde“ lassen und würde sie zwangsläufig mit verewigen.

„Aber so kleinlich wird Gott doch nicht sein …“ Kleinlich? Wenn das kleinlich ist, dann war es auch kleinlich, Adam und Eva wegen eines Apfels aus dem Paradies zu vertreiben und zum Tode zu verurteilen. Sind 6 000 Jahre auf einer Welt der Sünde immer noch nicht genug, um in furchtbarer Anschaulichkeit das Gegenteil zu beweisen? Eine „kleine Sünde“ war der Auslöser für das ganze grenzenlose Elend und Desaster auf diesem Planeten, ja für den unvorstellbar grausamen Tod des Sohnes Gottes – und wir wollen eine „kleine Sünde“ wieder in den Himmel importieren? Das Universum wird vor den katastrophalen Früchten der Rebellion erst sicher sein, wenn auch alle ihre Samenkörner – die kleinen Sünden, mit denen sie anfängt – vernichtet sind.

4T 578 Ein Schritt in die falsche Richtung ebnet den Weg für den nächsten. Ein einziges Glas Wein kann der Versuchung die Tür öffnen und einen Gewohnheitstrinker hervorbringen. Einen einzigen Moment Rachegefühlen nachzugeben, kann eine Kette von Emotionen in Gang setzen, die im Mord endet. Die kleinste Abweichung von Recht und Ordnung wird zur Trennung von Gott führen und kann im Glaubensabfall enden.

Mir ist bewusst, dass viele keinen Zweifel daran haben, dass die Neue Erde ein vollkommener Ort sein wird, nur finden sie viele Gründe, warum das angeblich auch ohne völlige Heiligung in diesem Leben funktioniert. Sie sagen, im Himmel werden wir nicht mehr sündigen, weil

  • wir vorher versiegelt worden sind,
  • wir durch die Verwandlung bei der Wiederkunft keine gefallene Natur mehr haben,
  • der Teufel nicht mehr da ist, um uns zu versuchen,
  • wir in dieser wunderbaren Umgebung gar nicht auf böse Gedanken kommen
  • usw.

Alle diese Begründungen verschieben die Ursache oder zumindest Verantwortung für meinen Ungehorsam nach außen: Ich sündige, weil Gott mich noch nicht versiegelt hat, weil ich meiner Natur nicht widerstehen kann, weil der Teufel mich anstachelt oder weil ich so wenig gute Vorbilder habe … Wenn wir solche Gedanken hegen, brauchen wir uns nicht zu wundern, dass wir nicht überwinden – wir verteidigen unsere Schwächen ja und verhindern damit, dass der Heilige Geist uns Reue und Vergebung schenkt, was wiederum die Grundvoraussetzung für ein geisterfülltes Leben als Überwinder ist.

Es gibt aber einen anderen, entscheidenden Grund, warum alle diese Überlegungen nichtig sind: Christus. Er war nicht versiegelt, Er hatte unsere gefallene Natur, der Teufel versuchte Ihn weit heftiger als jeden anderen Sterblichen, und Er war in derselben trostlosen Umgebung voller schlechter Vorbilder wie auch wir. Und dennoch war Sein Leben von makelloser Reinheit. Er ist unser Beispiel. Sein Weg führt zu vollkommener Gerechtigkeit. Christus in uns ist die „Hoffnung der Herrlichkeit“ (Kol 1,27; siehe auch These 62).

Zum Punkt, dass vollkommene Gerechtigkeit „unsere einzige Hoffnung auf ewiges Leben“ ist, sei kurz daran erinnert, was der Geist der Weissagung über Einwände gegen „Vollkommenheit“ und „Tadellosigkeit in Liebe und Heiligkeit“ zu sagen hat (siehe vorige These):

BE, 15.1.1892 Jemand mag sagen: „Diesem Anspruch kann ich unmöglich gerecht werden.“ Aber genau das musst du, sonst wirst du den Himmel niemals betreten.

Zum Punkt, dass Gott dadurch geehrt wird, dass er Menschen charakterlich vervollkommnet, noch einmal ein Zitat aus These 38:

DA 671 Die Vervollkommnung des Charakters seines Volkes ist eine Ehrensache für Gott, eine Ehrensache für Christus. (vgl. LJ 670)

Ja, wahrhaftig: Unsere Vervollkommnung ist „die großartigste Verheißung, die Gott Menschen je gemacht hat“ – so tief und groß und weit, dass sie uns fast überwältigt und wir unseren Kleinmut spüren, sie zuversichtlich und dankbar in Anspruch zu nehmen! Aber gehen wir doch wie einst die Jünger zum Herrn und bitten Ihn: „Mehre uns den Glauben!“ (Lk 17,5)

59. Der Gläubige ist im Untersuchungsgericht „heilig und tadellos und unverklagbar“ (Kol 1,22), weil Christi Blut seine vergangenen Sünden vollständig bedeckt und seinen gegenwärtigen Charakter vollständig gereinigt hat, sodass er in Ewigkeit ohne Sünde bleiben wird.

Diese These soll deutlich machen, dass der Erlösungsplan das Problem Sünde in allen zeitlichen Dimensionen vollständig löst: in Vergangenheit, in der Gegenwart und für alle Zukunft.

  • Vergangene Sünden sind nicht mehr zu ändern, daher ist die einzige Möglichkeit ihrer Tilgung, die entstandene Schuld zu begleichen und dem Sünder Vergebung zuzusprechen. Das tat Jesus durch sein Opfer am Kreuz und tut Er bis heute durch Seinen himmlischen Mittlerdienst.
  • Die Gegenwart der Sünde äußert sich in den Versuchungen, denen wir begegnen. Hier wird die Sünde „getilgt“, indem sie verhindert wird, weil wir in der Versuchung treu bleiben. Das geschieht ebenfalls durch Jesu Priesterdienst, indem wir bei Ihm „Gnade finden zur rechtzeitigen Hilfe“ (Heb 4,16), die Er uns zukommen lassen kann, weil Er selbst lebenslangen Widerstand gegen die Sünde praktiziert und vollkommenen Gehorsam gelernt hat (Heb 5,7-10).
  • Eine Zukunft ohne Sünde ist dann gewährleistet, wenn die Haltung entschlossenen Widerstands gegen Versuchungen (= die Gnade, die wir am Gnadenthron erhalten; Heb 4,16) so „in Fleisch und Blut übergegangen“ ist, dass sie unumkehrbar geworden ist. Der Heilige Geist hat damit den Charakter Christi „auf die Tafeln des Herzens“ geschrieben (2Kor 3,3), die innere Reinigung ist „vollendet“ (7,1), der Charakter „vervollkommnet“ (13,9). Liebe beherrscht jeden Gedanken, jedes Wort, jede Handlung. So lebt der Mensch vollkommenen Gehorsam und beweist vollkommene Gerechtigkeit. Gott wird geehrt und verherrlicht durch dieses nun ewig bestehende Wunder erlösender Liebe, das für alle Bewohner des Universums sichtbar und offenkundig geworden ist.

Alle drei Schritte oder Aspekte der Erlösung werden verwirklicht durch Jesu Mittlerdienst auf Grundlage der Verdienste Seines völligen Gehorsams und Seines makellosen Sühneopfers. Johannes schreibt über die Menge der Erlösten vor Gottes Thron:

Off 7,13 Und einer von den Ältesten begann und sprach zu mir: Diese, die mit weißen Gewändern bekleidet sind – wer sind sie, und woher sind sie gekommen?

14 Und ich sprach zu ihm: Mein Herr, du weißt es. Und er sprach zu mir: Diese sind es, die aus der großen Bedrängnis kommen, und sie haben ihre Gewänder gewaschen und sie weiß gemacht im Blut des Lammes.

„Im Blut waschen“ ist ein Bild dafür, Jesu Priesterdienst im Heiligtum in Anspruch zu nehmen. Dieser Dienst entfaltet eine unvergleichliche Kraft und Macht im Leben dessen, der sich im Glauben dafür öffnet. Und diese göttliche Kraft ist auch notwendig, um das Herz von jedem Makel zu befreien! Sie ist kein „Extra“ für die besonders Frommen, sondern ein „Muss“ für jeden, dessen Hoffnung die Ewigkeit ist. Beachten wir folgende Erklärung über Gottes Absicht mit dem Erlösungsplan:

BE, 15.1.1892 Es ist Gottes Absicht, dass jeder von uns in [Christus] vollkommen ist, sodass wir der Welt die Vollkommenheit seines Charakters darstellen können. Er will, dass wir von der Sünde befreit werden, damit wir den Himmel nicht enttäuschen, damit wir unseren göttlichen Erlöser nicht betrüben. Er möchte nicht, dass wir uns zum Christentum bekennen, ohne uns die Gnade anzueignen, die uns zu vervollkommnen vermag, sodass kein Mangel an uns zu finden ist, sondern wir tadellos in Liebe und Heiligkeit vor ihm stehen.

Jemand mag sagen: „Diesem Anspruch kann ich unmöglich gerecht werden.“ Aber genau das musst du, sonst wirst du den Himmel niemals betreten … Hier [in diesem Leben] müssen wir [Christus] anschauen und in sein Bild verwandelt werden.

Dass sittliche Vollkommenheit ein Muss für jeden zukünftigen Himmelsbewohner ist, macht absolut Sinn, denn die Sünde muss restlos aus dem Weltall entfernt werden. Logisch ist das nicht schwer zu begreifen, und zahlreiche Bibelstellen bringen genau das zum Ausdruck, wie eben auch der in der These angeführte Kolossertext. Doch obwohl wir uns tief im Inneren nach jener Vollkommenheit sehnen, will unser Herz an dieser Stelle schnell verzagen, weil wir uns so äußerst schwach wissen und uns kaum vorstellen können, jemals ohne Sünde zu leben. Wer kennt diese Momente nicht?

Genau dann ist die Zeit, in all unserer Schwachheit, Entmutigung und Kleingläubigkeit zu unserem Heiland zu kommen, Ihm das ganze Herz auszuschütten und alles zu bekennen, was es zu bekennen gibt, um dann auch – freimütig und zuversichtlich! – alles zu erbitten, was wir brauchen und Er uns ja liebend gerne geben möchte: mehr Glauben, mehr Liebe, mehr Hoffnung, die Fülle des Geistes, die Gesinnung Christi, Hingabe und Entschlossenheit, Kraft und Geduld, Freude und Frieden.

Vergessen wir nicht, dass der Widersacher uns in genau diese Gefühle und Stimmungen hineinstoßen möchte, sobald wir dabei sind, zum wahren Kern des Evangeliums vorzudringen, nämlich völlige Vergebung und völlige Wiederherstellung zu beanspruchen, ewige Vollkommenheit durch Christus zu ergreifen. Er will uns den Glauben rauben und in Entmutigung und Verzweiflung stürzen – oder in der gefälligen Täuschung halten, dies sei unbiblischer, ja geradezu unmenschlicher Fanatismus und eine gefährliche Irrlehre. Allen diesen Einflüsterungen sollen wir auf dieselbe Weise begegnen:

1Pe 5,9 Dem widersteht standhaft durch den Glauben, da ihr wisst, dass dieselben Leiden sich an eurer Bruderschaft in der Welt vollziehen!

Im Großen Kampf lernen wir über Satans Strategie und Jesu Gegenstrategie:

VSL 443 Durch Schwächen im menschlichen Charakter verschafft sich Satan die Kontrolle über das ganze Denken, und er weiß, wenn solche Schwächen gehegt werden, dass er Erfolg haben wird. Deshalb gaukelt er den Nachfolgern Christi durch üble List ständig vor, Überwindung sei unmöglich. Aber Jesus bittet mit seinen verwundeten Händen und seinem zerschlagenen Leib und sagt allen, die ihm nachfolgen wollen: „Lass dir an meiner Gnade genügen.“ (2Kor 12,9) … Niemand soll glauben, dass seine Fehler unheilbar seien. Gott schenkt Glauben und Gnade, sie zu überwinden.

Wir leben nun in der Zeit des großen Versöhnungstags … Jeder muss geprüft und ohne Flecken, Runzel oder Ähnliches befunden werden.

Das Ziel der Gnade Jesu ist demnach, alle Charakterschwächen zu überwinden, sodass wir, wenn die Prüfung im Untersuchungsgericht kommt, „ohne Flecken“ (= sittlich vollkommen) vor Gott stehen. Doch beachten wir: Sowohl den Glauben an diese Verheißung als auch die Gnade, sie zu verwirklichen, schenkt Gott! Nichts davon bringen wir aus uns selbst hervor. Verschließen wir darum unsere Ohren vor den Einflüsterungen des Widersachers, und halten wir uns am Heiland und den Zusagen des Vaters fest!

Mt 19,26 Bei Menschen ist dies unmöglich, bei Gott aber sind alle Dinge möglich.

Heb 9,13 Wenn das Blut von Böcken und Stieren und die Asche einer jungen Kuh, auf die Unreinen gesprengt, zur Reinheit des Fleisches heiligt,

14 wie viel mehr wird das Blut des Christus, der sich selbst durch den ewigen Geist als Opfer ohne Fehler Gott dargebracht hat, euer Gewissen reinigen von toten Werken, damit ihr dem lebendigen Gott dient!

1Thess 5,23 Er selbst aber, der Gott des Friedens, heilige euch völlig; und vollständig möge euer Geist und Seele und Leib untadelig bewahrt werden bei der Ankunft unseres Herrn Jesus Christus!

24 Treu ist, der euch beruft; er wird es auch tun.

58. Alle Werke Gottes sind vollkommen. Da Rechtfertigung und Heiligung Gottes Werk sind, sind sie notwendigerweise auch vollkommen.

Ich erinnere an die Bibeltexte aus These 38 über Gottes Handeln:

5Mo 32,4 … vollkommen ist sein Tun …

2Sam 22,31 … sein Weg ist vollkommen …

Pred 3,14 … alles, was Gott tut, ist für ewig …

Jak 1,17 … jedes vollkommene Geschenk kommt … von dem Vater …

Eigenartigerweise betonen gerade diejenigen, die Erlösung als alleiniges Handeln Gottes (und nicht des Menschen) definieren, mit Nachdruck, dass eine völlige Heiligung der Gläubigen in diesem Leben eine Illusion sei, und verweisen als Grund für diese Unmöglichkeit auf die Schwachheit und Verdorbenheit unseren gefallenen Natur. Doch wenn Heiligung das Werk Gottes ist, wie kann sie dann von menschlicher Schwachheit behindert werden?

Das zweite Problem mit dem Verweis auf die menschliche Schwachheit ist, dass nach dieser Sichtweise ein mögliches Zusammenspiel eines vollkommenen Gottes und unvollkommener Menschen (in diesem Fall bei der Heiligung) zwangsweise zu einem unvollkommenen Resultat führt. Damit spricht sie der menschlichen Unvollkommenheit größeren Einfluss zu als der göttlichen Vollkommenheit. Sie sagt praktisch: Wenn Gott und Mensch zusammenarbeiten, wird unter dem Strich der Mensch diesem gemeinsamen Werk den Stempel der Unvollkommenheit aufdrücken, statt dass Gott ihm den Stempel der Vollkommenheit aufdrückt. Was letztlich dem Eingeständnis gleichkommt, das Böse sei mächtiger als das Gute.

Die Bibel sagt das Gegenteil.

Röm 5,20 Wo die Sünde überströmend geworden ist, ist die Gnade noch überschwänglicher geworden.

Röm 12,21 Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse durch das Gute!

Das Heiligtum lehrt uns, dass „hochheilige“ Gegenstände wie der Brandopferalter nicht entheiligt werden konnten, sondern im Gegenteil alles heiligten, was sie berührte:

2Mo 29,37 Sieben Tage sollst du Sühnung am Altar vollziehen und ihn dadurch heiligen. So wird der Altar hochheilig sein: alles, was den Altar berührt, ist geheiligt.

Diese hoffnungsvolle Symbolik findet im Messias ihre tiefste Erfüllung, denn wenn Christus in Gemeinschaft mit dem Sünder kommt, wird nicht Er verunreinigt, sondern der Sünder gereinigt! Ellen White illustriert diesen Punkt auf eindrückliche Weise anhand der Heilung des Aussätzigen:

LJ 252 Jesu Wundertat an dem Aussätzigen veranschaulicht sein Wirken, die Seele von Sünden zu reinigen. Der Mann, der zu Jesus kam, war „voll Aussatz“, dessen tödliches Gift seinen ganzen Körper durchdrang. Die Jünger suchten ihren Meister daran zu hindern, ihn anzurühren; denn wer einen Aussätzigen berührte, verunreinigte sich selbst. Jesus aber wurde dadurch, dass er seine Hand auf den Aussätzigen legte, nicht verunreinigt; seine Berührung übertrug lebenspendende Kräfte, und der Kranke wurde geheilt. So verhält es sich auch mit dem Aussatz der Sünde … Wenn der Herr im Herzen des Menschen wohnt, wird kein Makel ihn je erreichen [wörtl.: Jesus, coming to dwell in humanity, receives no pollution]; seine Gegenwart übt eine heilende Kraft auf den Sünder aus.

Jesu Gegenwart besitzt „heilende Kraft“! Selbst wenn Heiligung menschliche Mitarbeit einschließt (was biblisch zutrifft), gibt es daher keinen Grund, vollkommene Heiligung mit Hinweis auf die menschliche Schwachheit für unmöglich zu erklären. Wenn Gott da ist, wird selbst ein gewöhnlicher menschlicher Gegenstand wie Moses Hirtenstab so mächtig, dass er ein stolzes Imperium wie das alte Ägypten in die Knie zwingt.

57. Allein der Glaube an das nackte Wort Gottes, selbst gegen alle Erfahrung, verschafft dem Menschen Eingang ins Himmelreich. Das war der Glaube von Abraham, Jesus und Luther, und dies wird auch der Glaube „der Übrigen“ sein, „welche die Gebote Gottes halten“ (Off 12,17).

Es ist schon rätselhaft, dass wir so unbeirrt lieber unsere eigene Erfahrung rechtfertigen, statt Gottes Rechtfertigung zu erfahren. Das ist „empirische Theologie“ in direktem Gegensatz zum Glaubensvorbild Abrahams und die Essenz des „Menschen der Sünde“ (2Thess 2,3), der, statt sich selbst zu ändern, lieber Gottes Maßstab für Gerechtigkeit (= das Gesetz) ändert. In gewisser Hinsicht ist das Papsttum weit weg in Rom, was es leicht macht, Vorträge über Daniel 7 und 8 zu halten und etwa die katholische Veränderung der Zehn Gebote aufzudecken. Bei genauerer Betrachtung aber steckt in jedem von uns die gleiche Mentalität der Eigengesetzlichkeit, weil sie Teil unserer gefallenen Natur ist, die Gott und Seinen Ordnungen feindlich gegenübersteht. Die Frage ist daher: Rechtfertigen wir wirklich Gott und Sein Gesetz, oder rechtfertigen wir womöglich uns und unsere Gesetzlosigkeit?

In einem Lektionsgespräch stellte eine liebe Teilnehmerin mit Nachdruck fest, wir würden unser Leben lang Sünder bleiben. Als ich nachfragte, ob sie diese Überzeugung aus ihrer Erfahrung gewonnen habe oder aus dem Wort Gottes, wich sie aus. Das überraschte mich nicht, denn die Bibel lehrt gerade das Gegenteil: Befreiung aus der Macht der Sünde und Beherrschung aller zerstörerischen Neigungen durch ein Leben im Heiligen Geist.

Es ist zwar keine angenehme Schlussfolgerung, aber tatsächlich ist eine Theologie, die die eigene Erfahrung zum Maßstab für das Bibelverständnis macht, prinzipiell nicht besser als die sinnesbetonten Erlebnisse eines Charismatikers oder des Besuchers einer katholischen Messe. Sie alle setzen ihr eigenes Erleben höher an als das klare Wort Gottes. Beachten wir dagegen die Qualität des Glaubens Abrahams – gegen alle Erfahrung und menschliche Vernunft:

Röm 4,17 (Schlachter) … vor Gott, dem er [Abraham] glaubte, der die Toten lebendig macht und dem ruft, was nicht ist, als wäre es da.

18 Er hat da, wo nichts zu hoffen war, auf Hoffnung hin geglaubt, dass er ein Vater vieler Völker werde, gemäß der Zusage: “So soll dein Same sein!”

19 Und er wurde nicht schwach im Glauben und zog nicht seinen Leib in Betracht, der schon erstorben war, weil er fast hundertjährig war; auch nicht den erstorbenen Mutterleib der Sara.

20 Er zweifelte nicht an der Verheißung Gottes durch Unglauben, sondern wurde stark durch den Glauben, indem er Gott die Ehre gab

21 und völlig überzeugt war, dass Er das, was Er verheißen hat, auch zu tun vermag.

22 Darum wurde es ihm auch als Gerechtigkeit angerechnet.

Dieser Abschnitt ist so tief und deutlich, dass er allein schon das ewige Evangelium verständlich macht. Abrahams Glaube bestand darin, Gott alles zuzutrauen, was Er versprochen hatte, vollkommen unabhängig von äußeren Umständen und inneren Unmöglichkeiten. Es war bedingungsloses Vertrauen. Diese Art Glaube war die Grundlage seiner „angerechneten Gerechtigkeit“ (V. 22). Und die Bibel beschreibt Abrahams Glauben deshalb so ausführlich, weil er zeigt, von welcher Qualität unser Glaube sein muss, wenn uns die gleiche Gerechtigkeit angerechnet werden soll:

Röm 4,23 Es steht aber nicht allein um seinetwillen geschrieben, dass es ihm angerechnet worden ist,

24 sondern auch um unsertwillen, denen es angerechnet werden soll, wenn wir an den glauben, der unseren Herrn Jesus aus den Toten auferweckt hat …

Dieser Glaube anerkennt, dass Gott nichts unmöglich ist, weil Er sogar in der Lage ist, Tote aufzuerwecken und aus dem Nichts zu schaffen (V. 17.24). Das Thema der Totenauferweckung ist auch in anderen Bibelabschnitten zentral, weil sie Gottes unbegrenzte Macht demonstriert, alles in uns hervorzubringen, was Ihm gefällt, völlig unabhängig von der „Qualität des Ausgangsmaterials“ (unserem sündigen Wesen)!

Kol 2,11 In ihm seid ihr auch beschnitten worden mit einer Beschneidung, die nicht mit Händen geschehen ist, sondern im Ausziehen des fleischlichen Leibes, in der Beschneidung des Christus,

12 mit ihm begraben in der Taufe, in ihm auch mit auferweckt durch den Glauben an die wirksame Kraft Gottes, der ihn aus den Toten auferweckt hat.

13 Und euch, die ihr tot wart in den Vergehungen und in der Unbeschnittenheit eures Fleisches, hat er mit lebendig gemacht mit ihm, indem er uns alle Vergehungen vergeben hat.

Eph 1,18 Er erleuchte die Augen eures Herzens, damit ihr wisst, was die Hoffnung seiner Berufung, was der Reichtum der Herrlichkeit seines Erbes in den Heiligen

19 und was die überragende Größe seiner Kraft an uns, den Glaubenden, ist, nach der Wirksamkeit der Macht seiner Stärke.

20 Die hat er in Christus wirksam werden lassen, indem er ihn aus den Toten auferweckt und zu seiner Rechten in der Himmelswelt gesetzt hat …

Der Wunsch von Paulus nach „Erleuchtung“ für die Epheser in Vers 18 und 19 ist ungemein wichtig für uns heute – eine Gemeinde, die Jesus „blind“ nennt: Gott muss unsere inneren Augen erleuchten, damit wir erkennen, zu was für einer überreichen Hoffnung wir eigentlich berufen sind (zu einem vollkommenen, christusähnlichen Charakter = das weiße Kleid) und wie „überragend groß die Kraft“ ist, die in uns zum Wirken kommt, wenn wir glauben (= von Jesus Gold kaufen – den festen Glauben an Gottes unbegrenzte Möglichkeiten zu unserem Heil). Dies ist „der Glaube Jesu“, und er führt zum vollständigen „Halten der Gebote Gottes“ (Off 14,12). Erst wenn wir zu diesem Glauben finden, indem wir ihn von Christus empfangen, können wir die uns zugewiesene Rolle als Endzeitgemeinde einnehmen und das „ewige Evangelium“ um die ganze Welt tragen.

Ellen White schrieb 1893 sehnsüchtig klagend:

1888M 1099 O, warum erhebt sich Christi Gemeinde nicht und legt ihre wunderschönen Gewänder an? Warum leuchtet sie nicht? Der wesentliche Grund für so ein schwaches Christentum ist, dass diejenigen, die angeblich die Wahrheit glauben, Christus so wenig kennen und eine so geringe Vorstellung davon haben, was Er für sie sein möchte und was sie durch Ihn sein können. Wir haben die feierlichsten, bedeutsamsten Wahrheiten, die je Sterblichen anvertraut worden sind. Wären unsere Worte, unsere Gedanken, unsere Taten reiner und erhabener, mehr in Übereinstimmung mit dem heiligen Glauben, den wir bekennen, dann würden wir unsere Verantwortung in einem ganz anderen Licht sehen. Wie feierlich, wie heilig würde sie erscheinen! Wir hätten ein tieferes Bewusstsein unserer Pflichten und würden es zu unserem beständigen Ziel machen, die Heiligkeit in der Furcht Gottes zu vollenden.