94. Wollen wir „Babylons Fall“ verkünden und andere aus diesem System der Rebellion und Götzenanbetung herausrufen (Off 14,8; 18,4), muss zuerst unsere eigene Rebellion gegen Gott beendet werden, die sich in Unglauben und Ungehorsam gegenüber seinem Erlösungsweg zeigt.

Unser Unglaube zeigt sich darin, dass wir vollkommenen Gehorsam und einen vollkommenen Charakter diesseits der Ewigkeit für unmöglich halten. Gefühle der Rebellion und Auflehnung sind die Folge, weil wir Vollkommenheit als Forderung für ungerecht und lieblos halten.

Das Problem dahinter ist dasselbe wie bei unseren Ureltern: ein Missverständnis von Gottes Wesen. Satan „überzeugte“ sie von Charakterzügen Gottes, die Er in Wahrheit nicht besaß. Adam und Eva rebellierten mit ihrer Tat gegen einen Gott, den es gar nicht gab. Auch wir würden nicht rebellieren, würden wir Gottes Liebe und Gerechtigkeit in allem Seinem Handeln klar erkennen. Satans Versuchungen haben in dem Maße Erfolg, wie er den wahren Gott vor uns verzerren und verbergen kann.

Das schlichte, aber sehr mächtige Gegenmittel gegen Unglauben und Rebellion ist darum die Wahrheit über Gott, offenbart in der Schrift. Jeder Grund zur Auflehnung schwindet, wenn wir erkennen und im Glauben annehmen,

a) dass Gottes Gerechtigkeit weder kleine noch große Übertretungen Seines Gesetzes hinnehmen kann, ohne das ewige Glück des Menschen, des Himmels sowie des gesamten Universums zu gefährden, und dass Er deshalb nur heilige Wesen in den Himmel aufnehmen kann, die innen und außen mit Seinen Geboten übereinstimmen, also sittliche Vollkommenheit besitzen;

b) dass Gottes Liebe und Seine vollständige Kenntnis (und in Christus Selbsterleben!) all unserer Schwachheiten die größte überhaupt vorstellbare Zusicherung und Garantie dafür sind, dass Sein Plan der Erlösung all diese weitreichenden Forderungen umfasst und verwirklicht und ein Scheitern selbst des schwächsten Gläubigen ausgeschlossen ist, solange er sich an seinen Erlöser hält.

Kurz gefasst: Gottes Gerechtigkeit macht Vollkommenheit nötig, Gottes Liebe macht Vollkommenheit möglich. Darin besteht das „ewige Evangelium“, das wir eigentlich weltweit verkündigen sollen, aber selbst aus den Augen verloren haben. Erfassen wir es aber als Wahrheit und Tatsache, wird sich jede Rebellion in überströmende Freude und tiefe Liebe verwandeln. Warum sollten wir diesen Gott nicht von ganzem Herzen bewundern und verehren? Seine Gerechtigkeit ist ein unerschütterlicher, zuverlässiger, nie trügender Fels, und Seine Liebe ist ein mächtiger, mitfühlender, alle nur denkbaren Wege der Barmherzigkeit ausschöpfender Retter.

64. Statt des Gerichtes sollten Adventisten lieber den Unglauben fürchten, denn „wegen des Unglaubens“ konnte das alte Israel das verheißene Land nicht betreten (Heb 3,19).

Wenn ein Sünder von Gottes Gericht erfährt, fürchtet er sich. Das ist eine völlig normale und zu erwartende Reaktion für jemanden, der im Bewusstsein seiner Schuldigkeit damit konfrontiert wird, dass er Rechenschaft ablegen muss. Gottes Gesetz ist sogar dazu da, den verlorenen Menschen in genau diese Situation hineinzuführen und ihm seine unausweichliche Verlorenheit nachdrücklich vor Augen zu halten. Die Absicht dahinter erklärt der Apostel Paulus so: Die Erkenntnis, dass er unter Gottes gerechter Verdammung steht, soll den Menschen zu Christus treiben, der ihm als Einziger Erlösung von dem drohenden Schicksal bringen kann.

Röm 7,7 Was wollen wir nun sagen? Ist das Gesetz Sünde? Das sei ferne! Aber ich hätte die Sünde nicht erkannt, außer durch das Gesetz

Gal 3,19 Was soll nun das Gesetz? Es wurde der Übertretungen wegen hinzugefügt …

22 Die Schrift hat alles unter die Sünde eingeschlossen

24 Also ist das Gesetz unser Zuchtmeister auf Christus hin geworden, damit wir aus Glauben gerechtfertigt würden.

Gott hat in Seiner unendlichen Liebe einen Weg gefunden, uns im Gericht nicht verurteilen zu müssen, sondern mit Fug und Recht gänzlich freisprechen – „rechtfertigen“ – zu können, und es ist der „Glaube“, der die Füße des Menschen auf diesen Weg setzt. Christus selbst ist dieser Weg, weil jeder einzelne Schritt nur im Vertrauen auf Ihn und in enger Lebensgemeinschaft mit Ihm geschehen kann. So ist Gottes Sohn zum Brückenbauer und Wegbereiter zurück zum Vater geworden, und das Gericht hat für den Gläubigen allen Schrecken verloren. Ja, im festen Glauben an Jesu Gerechtigkeit „auf ihm“, die ihn unverklagbar macht, kann er sogar mit David den Wunsch aussprechen:

Ps 7,9 Richte mich, HERR, nach meiner Gerechtigkeit und nach meiner Lauterkeit, die auf mir ist.

Ps 54,1 Gott, durch deinen Namen rette mich, und schaffe mir Recht durch deine Macht!

Der Gläubige weiß, dass „der HERR, unsere Gerechtigkeit“ eine lebendige Wirklichkeit ist, dass Jesu Gerechtigkeit eine schöpferische Kraft ist, die ihm vollständig zugerechnet und verliehen wird, und dass der Freispruch im himmlischen Gericht jedem sicher ist, der ebendiese Verheißungen bis zum Ende standhaft festhält – in Vertrauen und williger Nachfolge.

Off 14,12 Hier ist das standhafte Ausharren der Heiligen, hier sind die, welche die Gebote Gottes und den Glauben an Jesus bewahren!

Unsere Rettung verwirklicht sich „aus Glauben“. Das alte Israel scheiterte nicht an der Supermacht Ägypten, den lebensfeindlichen Umständen der Wüste, den Riesen Kanaans oder den stark befestigten Städten. Es scheiterte an der einzigen Instanz, die Gottes Siegeszug mit seinem Volk tatsächlich verhindern konnte: an sich selbst. Es war die Entscheidung für den Zweifel und gegen das Vertrauen, die das Schicksal einer ganzen Generation besiegelte, „deren Leiber in der Wüste fielen“ (Heb 3,17). Sie wiederholten die Sünde des ersten Menschenpaares am Baum der Erkenntnis, mit nicht weniger fatalen Folgen.

1Kor 10,11 Alles dies aber widerfuhr jenen als Vorbild und ist geschrieben worden zur Ermahnung für uns, über die das Ende der Zeitalter gekommen ist.

Kein einziger Gläubiger, auch nicht der schwächste und zitterndste, wird scheitern, weil die Latte christlicher Vollkommenheit für ihn angeblich zu hoch liegt. Es gibt nur eine Möglichkeit, das himmlische Kanaan zu verpassen: durch Unglauben – durch Zweifel am Wort Gottes, die zu Ungehorsam führen. Es gibt da ein sehr wahres Wort: „Wenn ich auf mich schaue, wüsste ich nicht, wie ich gerettet werden könnte. Wenn ich auf Jesus schaue, wüsste ich nicht, wie ich verloren gehen könnte.

HP 186 Alles, was den Glauben und das Vertrauen in unseren Erlöser schwächt, müssen wir als wertlos ansehen

Wenn du in der Liebe Christi ruhst und dem Heiland und Lebensgeber vertraust, dass er die Rettung deiner Seele für dich bewirkt, wirst du Ihm näher und immer näher kommen und verstehen, was es heißt, den Anblick des Unsichtbaren zu ertragen. Gott möchte, dass wir in Seiner Liebe ganz zur Ruhe kommen. Der innere Friede, den Christus schenkt, ist unendlich wertvoller als Gold, Silber und Edelsteine …

61. Unzählige Adventisten können nicht glauben, dass Gott ihren Charakter während ihrer Lebenszeit vervollkommnen will, haben aber keinen Zweifel, dass er dasselbe bei der Versiegelung bzw. Wiederkunft in einem Augenblick tun wird, obwohl die Schrift dies an keiner Stelle lehrt.

Ich kenne viele tiefgläubige, treue Adventisten, vor denen ich großen Respekt habe, die mit dem Thema Vollkommenheit jedoch ihre liebe Mühe haben. Ich erinnere mich an ein Gespräch darüber mit einem Prediger, der für mich in vieler Hinsicht ein Vorbild war. Eine Zeitlang wehrte er meine Argumente ab, doch an einem bestimmten Punkt drehte er sich um 180 Grad (so kam es mir vor) und sagte: „Wir sind ja schon vollkommen.“ Und dann kam der Vergleich mit der Pflanze oder dem Baby, das in allen Wachstumsstadien vollkommen sein kann, auch wenn es noch nicht ausgewachsen ist. (Hier geht es um zwei verschiedene Arten von Vollkommenheit, aber davon soll an dieser Stelle nicht die Rede sein; Studienhinweis Phil 3,12-15.)

Ich nenne die beiden Pole dieses 180-Grad-Phänomens „soteriologischen Präterismus und Futurismus“. Präterismus und Futurismus sind zwei Auslegungsmethoden, die Jesuiten nach der Reformation erfanden, um den Papst von dem Vorwurf reinzuwaschen, er sei der prophetisch vorausgesagte Antichristus. Beide Methoden dienten demselben Zweck: Die unangenehme Wahrheit möglichst weit von der realen Kirche der Gegenwart wegzuschieben – entweder in die ferne Vergangenheit (Präterismus = „hat sich alles schon längst erfüllt“) oder in die ferne Zukunft (Futurismus = „das kommt erst noch irgendwann“).

Oft kommt es mir vor, als würden wir mit der Erlösung das Gleiche machen: möglichst weit wegrücken von unserem realen Leben mit seinen konkreten Gedanken, Worten und Taten – entweder in die Vergangenheit („wir sind schon vollkommen“) oder in die Zukunft („das macht Jesus dann bei der Wiederkunft“). Ist das Evangelium wirklich so schwach, dass es vor dem Anspruch moralischer Vollkommenheit in die Knie gehen muss? Kann ein Christ kein ehrliches Resümee seiner Nachfolge wagen, keinen ungeschminkten Blick auf seine Lebensrealität und den Vergleich mit Gottes Maßstab der Gerechtigkeit – dem ewigen Gesetz selbstloser Liebe? Je abstrakter, je sachgebundener, je losgelöster von unserer Person Rechtfertigung und Erlösung geschehen – irgendwo weit weg im Himmel –, desto tiefer können wir durchatmen und desto größer ist unsere „Heilsgewissheit“? Das scheint mir doch ein sehr zerbrechlicher „Seelenfriede“ zu sein.

Und es vermittelt ein sehr fragliches Gottesbild – von einem Gott, der uns mit großartigen Zusicherungen aufmuntert, der Seine befreiende und heilende Macht aber bis ganz zum Schluss aufbewahrt; von einem Gott, der uns zum Gehorsam ermutigt und gleichzeitig schon weiß, dass das so richtig gar nicht klappen kann; von einem Gott, der offenbar „interessiert zuschaut“, wie wir uns abmühen, unseren bösen Neigungen gegenzusteuern, um dann nach 50, 60, 70 Jahren mit einer einzigen Berührung seines „Zauberstabs“ herbeizuführen, was Er eigentlich von Anfang hätte tun können – wenn Er nur gewollt hätte …? Welchen Sinn hätte so ein Vorgehen? In welches Licht würde es die mitfühlende Liebe und herzliche Fürsorge unseres himmlischen Vaters stellen? Ich für meinen Teil würde mich von einem solchen Gott im Stich gelassen, gequält und betrogen fühlen. Er wäre für mich weder vertrauens- noch liebenswürdig.

Die gesamte irdische Mission Jesu spricht eine völlig andere Sprache. Er ist den Menschen nahe gekommen, ganz nahe, so nahe, wie es irgend möglich war. Er war unter ihnen hörbar, fühlbar, sichtbar. Seine Hilfe war konkret, Seine Worte lebenstauglich, Seine Heilungen (Sinnbilder für Erlösung!) vollständig und vollkommen. Darin steckt eine mächtige Botschaft: Gott ist kein Theoretiker. Wir missverstehen Sein Wesen, wenn wir meinen, Er könne uns aus irgendwelchen mysteriösen Gründen momentan nur eingeschränkt Hilfe senden, und wir müssten uns mit unseren Schwächen eben irgendwie arrangieren, bis Er eines Tages dann in einem gewaltigen Handstreich alles einschließlich unserer Herzen neu und vollkommen machen würde.

Nein, Gott ist jetzt schon da! Als der Sohn Gottes Mensch wurde, erhielt er den Namen Immanuel: „Gott ist mit uns“! Es war die ungeteilte, mächtige, liebende Gegenwart des souveränen Schöpfers des Universums, die, verhüllt in eine menschliche Gestalt, auf diese Erde gekommen war. Und seit Christus wieder in den Himmel aufgefahren ist, hat der Heilige Geist Seine Stelle eingenommen und bringt uns ebenfalls die ganze Fülle der Göttlichkeit in greifbare Nähe – sogar noch näher und umfassender, als es zuvor Jesus in menschlicher Gestalt möglich gewesen war.

Auf den Punkt gebracht: Gottes Heil ist da – jetzt, hier, unmittelbar! Ja, der Weg mit Gott ist eine lebenslange Schule der Heiligung, und Anfechtungen und Kämpfe warten auf jeden einzelnen Nachfolger. Doch Gottes rettende und befreiende Gegenwart – darauf brauchen wir nicht einen Moment länger zu warten, denn sie ist nur ein Gebet weit entfernt. Im Glauben dürfen wir sie erbitten und erfahren.

LJ 252 Bitten wir um irdische Segnungen, so mag die Erhörung unseres Gebets verzögert werden oder Gott mag uns etwas anderes geben als das Erbetene. Wenn wir aber um Befreiung von der Sünde bitten, hilft er sofort. Es ist sein Wille, uns von der Sünde zu befreien, uns zu seinen Kindern zu machen und uns zu befähigen, ein gerechtes Leben zu führen.

COL 332f. Die himmlischen Wesen werden dem Menschen beistehen, der mit entschlossenem Glauben jene Vollkommenheit des Charakters anstrebt, die sich bis zur Vollkommenheit des Handelns ausstreckt. Jedem, der diese Aufgabe anpackt, sagt Christus: Ich bin zu deiner rechten Hand, um dir zu helfen.

Vergessen wir nicht: Gott hasst Sünde. Wäre es möglich, sie unverzüglich auszurotten, würde Er es tun. Wäre Gott fähig, uns in einem Moment zu heiligen, würde Er es tun – und zwar sofort bei der Bekehrung. Aber es geht eben nicht. Wir haben etwas zu lernen, wir müssen wachsen, reifen und fest werden. 6 000 Jahre Sünde lassen sich nicht auf Knopfdruck aus unserem Kopf und dieser Welt entfernen, sonst wäre doch die millionenfache Frage gerechtfertigt, warum denn Gott nichts gegen das unsägliche Leid auf der Erde unternehme. Er muss Zeit geben, damit jeder Mensch seine Chance erhält und lernt, seinen freien Willen wieder zu gebrauchen, und damit andererseits auch das Böse voll ausreift und dann nie wieder auftauchen kann.

Der Prozess von Entscheidung, Wachstum und Reife eines jeden Menschen geschieht auf dieser Erde, in diesem Leben. Bibel und Geist der Weissagung lehren einmütig und eindeutig, dass es über das Grab hinaus keine Möglichkeit einer moralischen Läuterung gibt. Jeder wird einmal ernten, was er zu Lebzeiten gesät und gepflegt hat.

Heb 9,27 Und wie es den Menschen bestimmt ist, einmal zu sterben, danach aber das Gericht,

28 so wird auch der Christus, nachdem er einmal geopfert worden ist, um vieler Sünden zu tragen, zum zweiten Male ohne Beziehung zur Sünde denen zum Heil erscheinen, die ihn erwarten.

Off 22,11 Wer unrecht tut, tue noch unrecht, und wer unrein ist, verunreinige sich noch, und wer gerecht ist, übe noch Gerechtigkeit, und wer heilig ist, sei noch geheiligt.

AH 16 Den Charakter, den du während der Gnadenzeit hast, wirst du auch bei der Wiederkunft Christi haben. Willst du ein Heiliger im Himmel sein, musst du zuerst ein Heiliger auf der Erde sein. Die Charaktermerkmale, die du im Leben entwickelst, werden nicht durch den Tod oder bei der Auferstehung geändert. Du wirst mit demselben Wesen aus dem Grab auferstehen, das du zuhause und in der Gesellschaft offenbart hast. Jesus verändert den Charakter bei seiner Wiederkunft nicht. Das Werk der Umwandlung muss jetzt getan werden. Unser tägliches Leben bestimmt unser Schicksal.

AH 319 Viele täuschen sich, wenn sie denken, dass der Charakter bei Christi Kommen umgewandelt wird, denn bei seinem Erscheinen wird es keine Herzensänderung geben. Unsere Charakterfehler müssen hier bereut werden, und durch die Gnade Christi müssen wir sie überwinden, solange noch Gnadenzeit ist.