Obwohl wir als Adventisten ein ganzheitliches Menschenbild haben, das sich z. B. in der Ablehnung einer unsterblichen Seele und in der Betonung eines gesunden Lebensstiles zeigt, nehmen viele von uns bei der Erlösung eine Aufspaltung in Theorie und Praxis, in Wort und Tat vor, um daraufhin dem Wort (der Rechtfertigung) den Vorrang vor der Tat (der Heiligung) zu geben und wortwörtlich in dieser isolierten Rechtfertigung „ihr Heil zu suchen“ bzw. ihre „Heilsgewissheit“.
Diese Unausgewogenheit, die in den unterschiedlichsten Graden vorliegen kann, widerspricht nicht nur dem biblischen Menschenbild, sondern – was schwerer wiegt – dem biblischen Gottesbild, in dessen Ähnlichkeit wir geschaffen sind. Es wäre eine wesentliche Beschädigung der göttlichen Integrität, die Satan umgehend anprangern würde, wenn Gott zwar vollständig gerecht sprechen, aber nur unvollständig gerecht machen würde. Es würde Gott selbst dem Vorwurf aussetzen, dem eigenen Wort mehr Gewicht zu geben als der eigenen Tat und keine vollkommene Einheit von Bekenntnis und Handeln zu verkörpern.
Gott ist „die Wahrheit“, wie Jesus sich selbst nennt, und dies bedeutet im biblischen Sprachgebrauch, dass Sein Reden und Handeln vollkommen deckungsgleich sind (ein besseres deutsches Wort dafür wäre „Wahrhaftigkeit“ oder moderner ausgedrückt „Integrität“). Wenn aber Gott so ist, dann war es auch der in Seinem Bild geschaffene Mensch, und dann muss Erlösung auch die Wiederherstellung dieser Wahrhaftigkeit beinhalten. Der biblische Begriff von „Gerechtigkeit“ ist aus diesen Gründen durchweg ganzheitlich – die Einheit zwischen Wort und Tat, Gerechtigkeit als innere Qualität, deren Echtheitsbeweis immer in einem gerechten Leben liegt. Deswegen ist es auch kein Problem, im Gericht nach Werken zu urteilen und nicht nach Glauben. Es ist effektiv ein und dasselbe, weil der Mensch wie Gott ein ganzheitliches Wesen ist, ein wahrhaftiges Wesen.
Auf den Punkt gebracht: Gerechtigkeit aus Glauben ist biblisch nichts anderes als die vollkommene Übereinstimmung von Gerechtsprechung und Gerechtmachung. Sie ist „Vollkommenheit aus Glauben“ – die Wiederherstellung des göttlichen Abbildes im Menschen, der sich zu einem Gott der Liebe nicht nur mit Worten bekennt, sondern diese Liebe in seinem menschlichen Wirkungskreis praktisch lebt und sie sogar seinen Feinden zukommen lässt. Diese Liebe umschließt alles, was Gott vom Menschen „fordert“. Sie ist vollkommener Gehorsam und vollkommene Gerechtigkeit im biblischen Sinn. Sie ist die unweigerliche Frucht des „Glaubens Jesu“ (Off 14,12).
Wenn uns das fremd vorkommt, sollten wir unser Heil nicht in einer Theologie suchen, die auch für Nichtüberwinder viel Platz im Himmel hat, sondern ohne Beschönigung, aber dennoch in kindlicher Zuversicht zu Jesus gehen, der uns liebt, und Ihn von ganzem Herzen um das geläuterte Gold bitten, das Laodizea so sehr braucht. Er ist langmütig, mitfühlend und kennt unsere menschliche Misere in jeder Einzelheit. An Ihn zu glauben, bringt eine Gerechtigkeit, die den ganzen Menschen in allen Aspekten umfasst, ihn in Körper, Seele und Geist radikal umgestaltet und sich in einem neuen, christusähnlichen Denken, Sprechen und Leben offenbart.
Ein Glaube, der diese Gerechtigkeit weder beansprucht noch hervorbringt, ist kein rettender Glaube.