77. Die entscheidende Frage lautet: „Liebst du Jesus?“, wobei damit die Liebe gemeint ist, von der Jesus sagt: „Liebt ihr mich, so haltet meine Gebote!“ (Joh 14,15)

Diese These hängt eng zusammen mit Nr. 80, daher kommentiere ich sie hier gemeinsam. Beide Thesen versuchen, etwas zum Ausdruck zu bringen, was sehr oft mein Empfinden bei dieser Thematik ist: „Heilsgewissheit“ soll objektiv zusprechen, was unsere subjektive Beziehung mit Jesus scheinbar nicht leisten kann: Sicherheit über unseren geistlichen Status vor Gott und daraus folgend inneren Frieden. Das zugrunde liegende Problem – mangelnde Nähe zu Christus und daraus folgend schwankende Treue in der alltäglichen Nachfolge – bleibt aber unverändert bestehen. „Heilsgewissheit“ versucht, ein Symptom zu kurieren (Angst vor den Folgen eines zu wenig geistlichen Lebensstils), das gar nicht da wäre, würde eine enge, liebevolle Vertrautheit mit Jesus bestehen.

Auch wenn das niemand so benennen würde, wird so letztlich das „Heil“ vom „Heiland“ abgekoppelt. Eine rettende Beziehung wird auf rettende Tatsachen reduziert: Jesus starb für mich, daher betrachtet Gott mich als gerecht und mein Name steht im Buch des Lebens – unabhängig davon, wie mein Glaubensleben real aussieht. Es ist wie das Bemühen, eine Ehe zu retten, indem man sich vom Partner schriftlich zusichern lässt, dass er sich nie scheiden lassen wird. Es ist der falsche Ansatz! Es mag die Angst vor dem Verlassenwerden und den Anwaltskosten nehmen, doch Frieden und Glück erlebt man damit kein bisschen mehr als vorher. Warum sind wir in unserem Glaubensleben trotzdem so schnell zufrieden mit diesem Weg? Ich möchte niemandem zu nahe treten oder wehtun, doch die traurige Antwort scheint mir zu sein, dass wir mit einem lauen Glauben oft weitaus besser leben können als mit einer diffusen Angst vor dem Gericht. Doch wenn eine schlechte Beziehung akzeptabel ist, solange ich keine Trennung zu fürchten brauche – was sagt das über meine Liebe zum anderen …?

Womit wir beim Kern der beiden Thesen wären: Mein „Heil“ ist genauso sicher oder unsicher wie meine Beziehung zum „Heiland“. Wenn es einen Anhaltspunkt für „Heilsgewissheit“ gibt, dann ist es die Liebe zu Jesus. Meine Liebe zu Ihm entsteht aus dem Betrachten Seiner Liebe zu mir – für mich Sein Leben zu geben, als ich noch „Feind“, „Sünder“ und „Gottloser“ war, wie Paulus sagt (Röm 5,6.8.10). Wenn ich diese Liebe erwidere, entsteht eine innige, existenzielle Lebensgemeinschaft mit Jesus – dann „habe“ ich „den Sohn Gottes“ (1Joh 5,12; These 80). Und mit „Christus in mir“ wohnt auch Seine Gerechtigkeit in mir und offenbart sich in einem neuen Leben des „Haltens Seiner Gebote“ (Joh 14,15). Die Liebe zu Jesus öffnet Ihm die Herzenstür, und indem Er mir nahekommt, bringt Er mich in Übereinstimmung mit Seinem Wesen (= Seinem Gesetz). Daher kann Johannes sagen:

1Joh 5,3 Dies ist die Liebe Gottes [o. Liebe zu Gott], dass wir seine Gebote halten, und seine Gebote sind nicht schwer.

Ein geistliches Leben im Gehorsam ist die natürliche Folge, wenn Christus mit Seiner Liebe ins Herz einzieht. Das heißt nicht, dass wir nicht auch angegriffen werden vom Versucher und unseren sündigen Neigungen Widerstand leisten müssen – ganz sicher werden wir das! Dennoch ist unser Reden und Handeln grundsätzlich ein unwillkürliches Ausleben der Gemeinschaft mit Gott. Es ist diese Harmonie mit dem Gesetz der Liebe zu Gott und den Mitmenschen, die der Heilige Geist in uns wirkt, als Beweis der Vergebung unserer Sünden, die unseren neugewonnenen Frieden mit Gott auf ein dauerhaftes Fundament stellt. Es ist das stärkste Zeugnis, dass wir Gottes Kinder sind.

1Joh 4,16 … Gott ist Liebe, und wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott und Gott bleibt in ihm.

Fazit: Wenn wir in Angst und Sorge um unseren geistlichen Zustand sind, weil uns die Kraft zum Gehorsam und der innere Friede fehlen, nützen weder eigene Anstrengungen, sich zu bessern, noch Versicherungen, aufgrund der zugerechneten Gerechtigkeit Jesu sei trotzdem alles in Ordnung. Stattdessen dürfen wir vor Gottes Angesicht kommen und uns Ihm von ganzem Herzen zuwenden, Seine Nähe und Gemeinschaft suchen, um Seine vergebende Gnade und die Erfüllung mit dem Heiligen Geist bitten. Wir müssen zu dem gehen, der die Quelle allen geistlichen Lebens ist – Jesus, unser Heiland, der uns so innig liebt! Hier ist die wahre Heilung eines kränkelnden Glaubenslebens – „den Sohn zu haben“, und zwar tief in Herz und Sinn „wohnend“, nicht nur als zeitweisen Gast. Wenn Jesu Gnade die Wurzel unseres Baumes heilt, wird Sein Leben in Stamm, Äste und Zweige vordringen und Knospen, Blüten und Früchte hervorbringen, als ein lebendiges Zeugnis Seiner erlösenden Liebe.