83. Objektiv „gewiss“ ist unsere Erlösung erst am Ende unseres Lebens bzw. bei der Wiederkunft.

Mit „objektiv gewiss“ meine ich: endgültig, faktisch unumkehrbar. Eine genauere Formulierung des Zeitpunkts, an dem diese Unumkehrbarkeit eintritt, wäre: „erst, wenn sie im Untersuchungsgericht bestätigt worden ist“. Es steht allein in der Autorität des himmlischen Gerichts und damit des Sohnes Gottes, dem der Vater „das ganze Gericht gegeben hat“ (Joh 5,22), das endgültige Urteil über jedes einzelne menschliche Schicksal festzustellen und auszusprechen. Wenn jemand sein Heil für eine bereits entschiedene „Gewissheit“ hält, weiß er nicht nur mehr als der Himmel, sondern verletzt ungewollt auch das göttliche Privileg des Richtens.

Jak 4,12 Einer ist Gesetzgeber und Richter, der zu erretten und zu verderben vermag. Du aber, wer bist du, der du den Nächsten richtest?

Das biblische Verbot zu richten schließt das eigene Schicksal mit ein. Obwohl Paulus dazu auffordert: „Prüft euch selbst, ob ihr im Glauben seid“ (2Kor 13,5) – ein Feststellen des gegenwärtigen Zustands –, distanziert er sich vom „Urteilen“ oder „Richten“ – dem Feststellen des endgültigen Zustands:

1Kor 4,3 Mir aber ist es das Geringste, dass ich von euch oder von einem menschlichen Gerichtstag beurteilt werde; auch beurteile ich mich nicht selbst.

4 Denn ich bin mir nichts bewusst; aber damit bin ich nicht gerechtfertigt, sondern der Herr ist es, der mich beurteilt.

5 Darum richtet nichts vor der Zeit, bis der Herr kommt, der auch das im Finstern Verborgene ans Licht bringen und die Absichten der Herzen offenbar machen wird; und dann wird jedem das Lob von Gott zuteil werden.

Vers 4 scheint mir hier besonders wichtig. Sogar dann, wenn wir vor uns selbst mit reinem Gewissen dastehen („ich bin mir nichts bewusst“), was an sich ein wunderbarer und zweifellos erstrebenswerter Zustand ist, birgt dies nicht die Gewissheit, dass Gott uns ebenso beurteilt. Paulus’ Feststellung entspringt dem tiefen Bewusstsein der Grenzen und Fehlbarkeit menschlichen Urteilsvermögens. In Bezug auf Gottes Treue und Barmherzigkeit dürfen wir in der Tat von absoluter Sicherheit sprechen; mit Blick auf unsere angeborene Untreue ist es jedoch mehr als angemessen, eine äußerst demütige und bescheidene Haltung einzunehmen und das letzte Urteil Gott zu überlassen. Es gibt hier eine feine Trennlinie zwischen friedvollem Gottvertrauen, was das eigene Schicksal anbelangt, und einer Anmaßung, die die eigene Nichtigkeit übersieht.

Ist uns bewusst, dass der Geist der Weissagung, der generell zu unglaublich viel Mut, Freude und Zuversicht im Christenleben inspiriert, ausdrücklich davor warnt, sich als „gerettet“ im Sinne einer endgültigen Tatsache anzusehen? Ellen White schreibt:

1SM 314f. Wir dürfen niemals die Hände zufrieden in den Schoß legen und keine Fortschritte mehr machen, indem wir sagen: „Ich bin gerettet.“ Wer so denkt, verliert seine Motivation für Wachsamkeit, Gebet und den ernsthaften Vorwärtsdrang hin zu höheren Zielen. Keine geheiligte Zunge wird diese Worte je aussprechen, bis Christus kommt und wir durch die Tore der Stadt Gottes einziehen. Dann können wir mit vollstem Recht Gott und das Lamm für unsere ewige Erlösung verherrlichen. Solange der Mensch voller Schwachheit ist – denn er selbst kann seine Seele nicht retten –, sollte er es niemals wagen zu sagen: „Ich bin gerettet.“

Die Propagierung einer unbiblischen „Heilsgewissheit“ verleitet Geschwister dazu, diese klare Warnung zu missachten, oder verunsichert sie mit dem Eindruck, ihr Glaubensleben sei nicht in Ordnung oder zumindest weniger fortgeschritten, wenn diese Sicherheit fehle.

Ein abschließender Gedanke: Es scheint, dass selbst die Auferstandenen bei der Wiederkunft einschließlich der lebendig verwandelten 144 000 ein Problem mit der heute verbreiteten „Heilsgewissheit“ haben – oder wie sonst sollen wir uns das bange Schweigen aller nach dem Ausruf erklären: „Wer wird bestehen? Ist mein Kleid fleckenlos?“

EW 15f. [Jesu] Augen glichen einer Feuerflamme, sein prüfender Blick las alles in seinen Kindern. Da wurden alle Gesichter blass, und die Gesichter der von Gott Verworfenen wurden finster. „Wer wird bestehen?“, riefen wir alle aus. „Ist mein Kleid fleckenlos?“ Die Engel hörten auf zu singen, und eine furchtbare Stille trat ein. Dann sagte Jesus: „Wer saubere Hände und ein reines Herz hat, wird bestehen. Meine Gnade ist für euch ausreichend.“ Da hellten sich unsere Gesichter auf, und Freude erfüllte jedes Herz. (vgl. EG 13)