83. Objektiv „gewiss“ ist unsere Erlösung erst am Ende unseres Lebens bzw. bei der Wiederkunft.

Mit „objektiv gewiss“ meine ich: endgültig, faktisch unumkehrbar. Eine genauere Formulierung des Zeitpunkts, an dem diese Unumkehrbarkeit eintritt, wäre: „erst, wenn sie im Untersuchungsgericht bestätigt worden ist“. Es steht allein in der Autorität des himmlischen Gerichts und damit des Sohnes Gottes, dem der Vater „das ganze Gericht gegeben hat“ (Joh 5,22), das endgültige Urteil über jedes einzelne menschliche Schicksal festzustellen und auszusprechen. Wenn jemand sein Heil für eine bereits entschiedene „Gewissheit“ hält, weiß er nicht nur mehr als der Himmel, sondern verletzt ungewollt auch das göttliche Privileg des Richtens.

Jak 4,12 Einer ist Gesetzgeber und Richter, der zu erretten und zu verderben vermag. Du aber, wer bist du, der du den Nächsten richtest?

Das biblische Verbot zu richten schließt das eigene Schicksal mit ein. Obwohl Paulus dazu auffordert: „Prüft euch selbst, ob ihr im Glauben seid“ (2Kor 13,5) – ein Feststellen des gegenwärtigen Zustands –, distanziert er sich vom „Urteilen“ oder „Richten“ – dem Feststellen des endgültigen Zustands:

1Kor 4,3 Mir aber ist es das Geringste, dass ich von euch oder von einem menschlichen Gerichtstag beurteilt werde; auch beurteile ich mich nicht selbst.

4 Denn ich bin mir nichts bewusst; aber damit bin ich nicht gerechtfertigt, sondern der Herr ist es, der mich beurteilt.

5 Darum richtet nichts vor der Zeit, bis der Herr kommt, der auch das im Finstern Verborgene ans Licht bringen und die Absichten der Herzen offenbar machen wird; und dann wird jedem das Lob von Gott zuteil werden.

Vers 4 scheint mir hier besonders wichtig. Sogar dann, wenn wir vor uns selbst mit reinem Gewissen dastehen („ich bin mir nichts bewusst“), was an sich ein wunderbarer und zweifellos erstrebenswerter Zustand ist, birgt dies nicht die Gewissheit, dass Gott uns ebenso beurteilt. Paulus’ Feststellung entspringt dem tiefen Bewusstsein der Grenzen und Fehlbarkeit menschlichen Urteilsvermögens. In Bezug auf Gottes Treue und Barmherzigkeit dürfen wir in der Tat von absoluter Sicherheit sprechen; mit Blick auf unsere angeborene Untreue ist es jedoch mehr als angemessen, eine äußerst demütige und bescheidene Haltung einzunehmen und das letzte Urteil Gott zu überlassen. Es gibt hier eine feine Trennlinie zwischen friedvollem Gottvertrauen, was das eigene Schicksal anbelangt, und einer Anmaßung, die die eigene Nichtigkeit übersieht.

Ist uns bewusst, dass der Geist der Weissagung, der generell zu unglaublich viel Mut, Freude und Zuversicht im Christenleben inspiriert, ausdrücklich davor warnt, sich als „gerettet“ im Sinne einer endgültigen Tatsache anzusehen? Ellen White schreibt:

1SM 314f. Wir dürfen niemals die Hände zufrieden in den Schoß legen und keine Fortschritte mehr machen, indem wir sagen: „Ich bin gerettet.“ Wer so denkt, verliert seine Motivation für Wachsamkeit, Gebet und den ernsthaften Vorwärtsdrang hin zu höheren Zielen. Keine geheiligte Zunge wird diese Worte je aussprechen, bis Christus kommt und wir durch die Tore der Stadt Gottes einziehen. Dann können wir mit vollstem Recht Gott und das Lamm für unsere ewige Erlösung verherrlichen. Solange der Mensch voller Schwachheit ist – denn er selbst kann seine Seele nicht retten –, sollte er es niemals wagen zu sagen: „Ich bin gerettet.“

Die Propagierung einer unbiblischen „Heilsgewissheit“ verleitet Geschwister dazu, diese klare Warnung zu missachten, oder verunsichert sie mit dem Eindruck, ihr Glaubensleben sei nicht in Ordnung oder zumindest weniger fortgeschritten, wenn diese Sicherheit fehle.

Ein abschließender Gedanke: Es scheint, dass selbst die Auferstandenen bei der Wiederkunft einschließlich der lebendig verwandelten 144 000 ein Problem mit der heute verbreiteten „Heilsgewissheit“ haben – oder wie sonst sollen wir uns das bange Schweigen aller nach dem Ausruf erklären: „Wer wird bestehen? Ist mein Kleid fleckenlos?“

EW 15f. [Jesu] Augen glichen einer Feuerflamme, sein prüfender Blick las alles in seinen Kindern. Da wurden alle Gesichter blass, und die Gesichter der von Gott Verworfenen wurden finster. „Wer wird bestehen?“, riefen wir alle aus. „Ist mein Kleid fleckenlos?“ Die Engel hörten auf zu singen, und eine furchtbare Stille trat ein. Dann sagte Jesus: „Wer saubere Hände und ein reines Herz hat, wird bestehen. Meine Gnade ist für euch ausreichend.“ Da hellten sich unsere Gesichter auf, und Freude erfüllte jedes Herz. (vgl. EG 13)

61. Unzählige Adventisten können nicht glauben, dass Gott ihren Charakter während ihrer Lebenszeit vervollkommnen will, haben aber keinen Zweifel, dass er dasselbe bei der Versiegelung bzw. Wiederkunft in einem Augenblick tun wird, obwohl die Schrift dies an keiner Stelle lehrt.

Ich kenne viele tiefgläubige, treue Adventisten, vor denen ich großen Respekt habe, die mit dem Thema Vollkommenheit jedoch ihre liebe Mühe haben. Ich erinnere mich an ein Gespräch darüber mit einem Prediger, der für mich in vieler Hinsicht ein Vorbild war. Eine Zeitlang wehrte er meine Argumente ab, doch an einem bestimmten Punkt drehte er sich um 180 Grad (so kam es mir vor) und sagte: „Wir sind ja schon vollkommen.“ Und dann kam der Vergleich mit der Pflanze oder dem Baby, das in allen Wachstumsstadien vollkommen sein kann, auch wenn es noch nicht ausgewachsen ist. (Hier geht es um zwei verschiedene Arten von Vollkommenheit, aber davon soll an dieser Stelle nicht die Rede sein; Studienhinweis Phil 3,12-15.)

Ich nenne die beiden Pole dieses 180-Grad-Phänomens „soteriologischen Präterismus und Futurismus“. Präterismus und Futurismus sind zwei Auslegungsmethoden, die Jesuiten nach der Reformation erfanden, um den Papst von dem Vorwurf reinzuwaschen, er sei der prophetisch vorausgesagte Antichristus. Beide Methoden dienten demselben Zweck: Die unangenehme Wahrheit möglichst weit von der realen Kirche der Gegenwart wegzuschieben – entweder in die ferne Vergangenheit (Präterismus = „hat sich alles schon längst erfüllt“) oder in die ferne Zukunft (Futurismus = „das kommt erst noch irgendwann“).

Oft kommt es mir vor, als würden wir mit der Erlösung das Gleiche machen: möglichst weit wegrücken von unserem realen Leben mit seinen konkreten Gedanken, Worten und Taten – entweder in die Vergangenheit („wir sind schon vollkommen“) oder in die Zukunft („das macht Jesus dann bei der Wiederkunft“). Ist das Evangelium wirklich so schwach, dass es vor dem Anspruch moralischer Vollkommenheit in die Knie gehen muss? Kann ein Christ kein ehrliches Resümee seiner Nachfolge wagen, keinen ungeschminkten Blick auf seine Lebensrealität und den Vergleich mit Gottes Maßstab der Gerechtigkeit – dem ewigen Gesetz selbstloser Liebe? Je abstrakter, je sachgebundener, je losgelöster von unserer Person Rechtfertigung und Erlösung geschehen – irgendwo weit weg im Himmel –, desto tiefer können wir durchatmen und desto größer ist unsere „Heilsgewissheit“? Das scheint mir doch ein sehr zerbrechlicher „Seelenfriede“ zu sein.

Und es vermittelt ein sehr fragliches Gottesbild – von einem Gott, der uns mit großartigen Zusicherungen aufmuntert, der Seine befreiende und heilende Macht aber bis ganz zum Schluss aufbewahrt; von einem Gott, der uns zum Gehorsam ermutigt und gleichzeitig schon weiß, dass das so richtig gar nicht klappen kann; von einem Gott, der offenbar „interessiert zuschaut“, wie wir uns abmühen, unseren bösen Neigungen gegenzusteuern, um dann nach 50, 60, 70 Jahren mit einer einzigen Berührung seines „Zauberstabs“ herbeizuführen, was Er eigentlich von Anfang hätte tun können – wenn Er nur gewollt hätte …? Welchen Sinn hätte so ein Vorgehen? In welches Licht würde es die mitfühlende Liebe und herzliche Fürsorge unseres himmlischen Vaters stellen? Ich für meinen Teil würde mich von einem solchen Gott im Stich gelassen, gequält und betrogen fühlen. Er wäre für mich weder vertrauens- noch liebenswürdig.

Die gesamte irdische Mission Jesu spricht eine völlig andere Sprache. Er ist den Menschen nahe gekommen, ganz nahe, so nahe, wie es irgend möglich war. Er war unter ihnen hörbar, fühlbar, sichtbar. Seine Hilfe war konkret, Seine Worte lebenstauglich, Seine Heilungen (Sinnbilder für Erlösung!) vollständig und vollkommen. Darin steckt eine mächtige Botschaft: Gott ist kein Theoretiker. Wir missverstehen Sein Wesen, wenn wir meinen, Er könne uns aus irgendwelchen mysteriösen Gründen momentan nur eingeschränkt Hilfe senden, und wir müssten uns mit unseren Schwächen eben irgendwie arrangieren, bis Er eines Tages dann in einem gewaltigen Handstreich alles einschließlich unserer Herzen neu und vollkommen machen würde.

Nein, Gott ist jetzt schon da! Als der Sohn Gottes Mensch wurde, erhielt er den Namen Immanuel: „Gott ist mit uns“! Es war die ungeteilte, mächtige, liebende Gegenwart des souveränen Schöpfers des Universums, die, verhüllt in eine menschliche Gestalt, auf diese Erde gekommen war. Und seit Christus wieder in den Himmel aufgefahren ist, hat der Heilige Geist Seine Stelle eingenommen und bringt uns ebenfalls die ganze Fülle der Göttlichkeit in greifbare Nähe – sogar noch näher und umfassender, als es zuvor Jesus in menschlicher Gestalt möglich gewesen war.

Auf den Punkt gebracht: Gottes Heil ist da – jetzt, hier, unmittelbar! Ja, der Weg mit Gott ist eine lebenslange Schule der Heiligung, und Anfechtungen und Kämpfe warten auf jeden einzelnen Nachfolger. Doch Gottes rettende und befreiende Gegenwart – darauf brauchen wir nicht einen Moment länger zu warten, denn sie ist nur ein Gebet weit entfernt. Im Glauben dürfen wir sie erbitten und erfahren.

LJ 252 Bitten wir um irdische Segnungen, so mag die Erhörung unseres Gebets verzögert werden oder Gott mag uns etwas anderes geben als das Erbetene. Wenn wir aber um Befreiung von der Sünde bitten, hilft er sofort. Es ist sein Wille, uns von der Sünde zu befreien, uns zu seinen Kindern zu machen und uns zu befähigen, ein gerechtes Leben zu führen.

COL 332f. Die himmlischen Wesen werden dem Menschen beistehen, der mit entschlossenem Glauben jene Vollkommenheit des Charakters anstrebt, die sich bis zur Vollkommenheit des Handelns ausstreckt. Jedem, der diese Aufgabe anpackt, sagt Christus: Ich bin zu deiner rechten Hand, um dir zu helfen.

Vergessen wir nicht: Gott hasst Sünde. Wäre es möglich, sie unverzüglich auszurotten, würde Er es tun. Wäre Gott fähig, uns in einem Moment zu heiligen, würde Er es tun – und zwar sofort bei der Bekehrung. Aber es geht eben nicht. Wir haben etwas zu lernen, wir müssen wachsen, reifen und fest werden. 6 000 Jahre Sünde lassen sich nicht auf Knopfdruck aus unserem Kopf und dieser Welt entfernen, sonst wäre doch die millionenfache Frage gerechtfertigt, warum denn Gott nichts gegen das unsägliche Leid auf der Erde unternehme. Er muss Zeit geben, damit jeder Mensch seine Chance erhält und lernt, seinen freien Willen wieder zu gebrauchen, und damit andererseits auch das Böse voll ausreift und dann nie wieder auftauchen kann.

Der Prozess von Entscheidung, Wachstum und Reife eines jeden Menschen geschieht auf dieser Erde, in diesem Leben. Bibel und Geist der Weissagung lehren einmütig und eindeutig, dass es über das Grab hinaus keine Möglichkeit einer moralischen Läuterung gibt. Jeder wird einmal ernten, was er zu Lebzeiten gesät und gepflegt hat.

Heb 9,27 Und wie es den Menschen bestimmt ist, einmal zu sterben, danach aber das Gericht,

28 so wird auch der Christus, nachdem er einmal geopfert worden ist, um vieler Sünden zu tragen, zum zweiten Male ohne Beziehung zur Sünde denen zum Heil erscheinen, die ihn erwarten.

Off 22,11 Wer unrecht tut, tue noch unrecht, und wer unrein ist, verunreinige sich noch, und wer gerecht ist, übe noch Gerechtigkeit, und wer heilig ist, sei noch geheiligt.

AH 16 Den Charakter, den du während der Gnadenzeit hast, wirst du auch bei der Wiederkunft Christi haben. Willst du ein Heiliger im Himmel sein, musst du zuerst ein Heiliger auf der Erde sein. Die Charaktermerkmale, die du im Leben entwickelst, werden nicht durch den Tod oder bei der Auferstehung geändert. Du wirst mit demselben Wesen aus dem Grab auferstehen, das du zuhause und in der Gesellschaft offenbart hast. Jesus verändert den Charakter bei seiner Wiederkunft nicht. Das Werk der Umwandlung muss jetzt getan werden. Unser tägliches Leben bestimmt unser Schicksal.

AH 319 Viele täuschen sich, wenn sie denken, dass der Charakter bei Christi Kommen umgewandelt wird, denn bei seinem Erscheinen wird es keine Herzensänderung geben. Unsere Charakterfehler müssen hier bereut werden, und durch die Gnade Christi müssen wir sie überwinden, solange noch Gnadenzeit ist.

44. Die Verkündigung auf der Generalkonferenz von 1888 war ein Vorstoß Gottes, die Gemeinde zur vollen Erkenntnis des Erlösungsplanes zu führen und so den Weg für den Spätregen und die Wiederkunft zu bahnen.

Die Botschaft von 1888 durch die jungen Verkündiger A. T. Jones und E. J. Waggoner war weder der erste göttliche Vorstoß zur Beendigung der Weltgeschichte noch der letzte, wohl aber der bedeutsamste – und mit Abstand auch der umstrittenste. Diese unglückliche Paarung ist kein Zufall: Der Streit um die Deutungshoheit von Minneapolis (wo die Generalkonferenz von 1888 stattfand) entspricht in seiner Intensität der Bedeutung, die Satan selbst – als Urheber des Streites – diesem Stück Adventgeschichte beimisst.

Nachdem ich mich gründlicher mit 1888 beschäftigt habe, muss ich bekennen, dass ich schockiert und tief traurig darüber bin, wie viele Hindernisse der Feind über die Jahre aufgetürmt hat, um die von Gott beabsichtigte Wirkung jener Botschaft – Vorbereitung der Gemeinde auf Spätregen, Lauten Ruf und die Wiederkunft Jesu – bis heute zunichte zu machen.

  • Eine Waffe in seinem Repertoire ist die Behauptung, die 1888 gepredigte Botschaft sei zwar „von Gott gesandt“ und „überaus kostbar“ gewesen (TM 91), doch könne heute niemand mehr sagen, was genau ihr Inhalt war, da keine wörtlichen Mitschriften existierten und Jones und Waggoner angeblich bereits kurz nach der Konferenz theologisch auf Abwege gerieten, was auch die Ursache dafür gewesen sei, dass sie in den 1900er Jahren die Gemeinde verließen.
  • Eine andere ist die Versicherung, Jones und Waggoner hätten kein speziell adventistisches Erlösungsverständnis verkündet, sondern die Gemeinde lediglich zu den auch in protestantischen Kreisen anerkannten Grundlagen der Rechtfertigung allein durch Glauben an Christus zurückgeführt – eine Behauptung, die zur Folge hat, dass 1888 eigentlich nur für Historiker und Theologen von Interesse ist, aber kaum für das normale Gemeindeglied, für das Rechtfertigung aus Glauben ja zum geistlichen ABC gehört.
  • Ein drittes Störfeuer ist die Frage, in welchem Ausmaß Ellen White als inspirierte Botin Gottes die Darstellungen von Jones und Waggoner befürwortet oder auch kritisiert hat.
  • Eine vierte Barrikade ist das seit den 1950er Jahren gewandelte adventistische Mehrheitsverständnis von der Natur der Sünde und des Menschen und daraus folgend der menschlichen Natur Jesu.
  • Eine fünfte Attacke gegen 1888 ist die Ablehnung der in diesen Thesen erläuterten „vollkommenen Gerechtigkeit aus Glauben“ als unbiblischen Extremismus.
  • Ein sechstes Hindernis ist der Standpunkt, die Lehren aus den Konflikten von 1888 beträfen gar nicht die Theologie, sondern einfach den liebevollen Umgang unter Geschwistern trotz Meinungsverschiedenheiten.

Die Liste ließe sich fortsetzen …

Meine Beobachtung ist, dass 1888 und die Botschaft von Jones und Waggoner im heutigen adventistischen Mainstream praktisch bedeutungslos sind. Ich selbst hatte lange Zeit kaum mehr als eine diffuse Vorstellung dieser Konferenz von „gegen Gesetzlichkeit, für die Gnade, christozentrisch“. Der allergrößte Teil unserer Gemeindeglieder weiß wenig bis nichts über Minneapolis, und wenn darüber mal geredet wird, dann meistens über Begleitumstände und auf der Basis von Ausführungen adventistischer Historiker. So gut wie niemand kennt Jones’ und Waggoners Schriften und Predigten aus erster Hand.

Das ist ein wahres Armutszeugnis, wenn wir bedenken, wie entscheidend dieser Abschnitt der Adventgeschichte war, sollte er doch nach Gottes Willen die letzte Erweckung und Reformation unter seinem Volk bewirken, den Spätregen bringen und das ewige Evangelium um die ganze Welt tragen. Es ist ein Mysterium, dass wir zwar viel von der baldigen und erhofften Wiederkunft Jesu reden, das Naheliegendste aber versäumen, nämlich aus den Jahren und Geschehnissen zu lernen, durch die Gott explizit genau dies herbeiführen wollte.

Persönlich glaube ich nicht, dass die letzten Ereignisse stattfinden werden, wenn wir als Gemeinde nicht zuvor das göttliche Handeln sowie das menschliche Versagen in der Zeit von 1888 und den Folgejahren erkennen, unsere sowie die Schuld unserer Väter bekennen und aufrichtig umkehren – was konkret beinhaltet, die damals gesandte Botschaft zu verstehen, zu glauben und zu leben. Der Punkt dabei ist nicht die Jahreszahl oder die Namen der Botschafter, sondern die Botschaft selbst, die immer dieselbe bleibt, weil sie göttlichen Ursprungs ist und tatsächlich identisch mit „dem ewigen Evangelium“ aus Offenbarung 14. Israel wurde nach der Rebellion am Jordan und anschließenden 38 Wüstenjahren erneut an den Ort geführt, an dem die vergangene Generation versagt hatte (Kadesch-Barnea). In gleicher Weise erwarte ich, dass der Herr Sein heutiges Volk wieder an den Punkt bringen wird, an dem es sich vor über 130 Jahren in Minneapolis schon einmal befand. Wir brauchen eine Generation, die aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt hat und diesmal unseren himmlischen Heerführer nicht enttäuscht. Das wunderbare Resultat wird Erweckung und Reformation, die Ausgießung des Spätregens, die weltweite Verkündigung des Evangeliums und Christi Kommen mit den Wolken des Himmels sein – kurz: die Erfüllung aller unserer Sehnsüchte!

Ich empfehle zum Studium der Geschichte von 1888 und den Nachwirkungen die beiden exzellent recherchierten Bücher The Return of the Latter Rain (Band 1; die deutsche Ausgabe Die Rückkehr des Spätregens ist im Newstartcenter erhältlich) und Wounded in the House of his Friends von Ron Duffield (auf thereturnofthelatterrain.net sind kostenlose PDF-Ausgaben auf Englisch, Rumänisch und Russisch erhältlich, Englisch auch als Audiobuch). Bitte bei dieser Thematik sich möglichst breit informieren – weil sie so umstritten und gleichzeitig so wichtig ist, reicht es nicht, dazu das Buch eines bekannten Adventgeschichtlers zu lesen oder ein Symposium zu besuchen und dann zu meinen, man wisse jetzt Bescheid! In diesem Fall ist ein tieferes Schürfen unverzichtbar. Doch der Einsatz ist mehr als lohnend!

17. Dass Christus auch 2017 noch nicht wiedergekommen ist, beweist seine außerordentliche Liebe und Langmut für die Gemeinde, weil „er nicht will, dass irgendwelche verloren gehen, sondern dass alle zur Buße kommen.“ (2Pe 3,9)

2T 194 Die lange Nacht der Finsternis ist nicht einfach, doch der Morgen wird aus Gnade aufgeschoben, weil so viele gar nicht bereit wären, sollte der Meister kommen. Der Grund für die lange Verzögerung ist, dass Gott nicht willens ist, sein Volk umkommen zu lassen.

Verfasst 1868, vor über 150 Jahren (siehe These 3).

3. Christus kann nicht wiederkommen, solange sein Erlösungswerk im Himmel und auf der Erde nicht abgeschlossen ist.

Das Erlösungswerk im Himmel ist die am 22. Oktober 1844 begonnene Reinigung des Heiligtums von den Sünden der Gläubigen, wie sie im alttestamentlichen Versöhnungstag vorgeschattet war. Der Abschluss dieser Reinigung ist zugleich das Ende von Jesu Mittlerdienst und der Gnadenzeit für die Menschheit. Weil Vergebung dann nicht mehr möglich ist, sorgt Gott vorher dafür, dass sie auch nicht mehr nötig ist: Er reinigt das Herz der Gläubigen so vollständig von Sünde, dass sie lieber sterben würden, als Gottes Gesetz zu übertreten. Dies ist nichts anderes als die Erfüllung des Neuen Bundes:

Hes 36,25 Und ich werde reines Wasser auf euch sprengen, und ihr werdet rein sein; von all euren Unreinheiten und von all euren Götzen werde ich euch reinigen …

27 … und ich werde machen, dass ihr in meinen Ordnungen lebt und meine Rechtsbestimmungen bewahrt und tut.

Die Reinigung des himmlischen Heiligtums kann erst dann abgeschlossen werden, wenn die Ursache für seine Verunreinigung – die Sünden der Gläubigen – beseitigt worden ist. W. D. Frazee drückte es einmal so aus: Die Wäscherei kann erst schließen, wenn wir gelernt haben, unsere Kleider reinzuhalten. Wie wird Gott das erreichen?

Maleachi schreibt über eine Zeit, wo „der Herr plötzlich [= unerwartet] zu seinem Tempel kommt“ (Mal 3,1). Dies erfüllte sich in der Enttäuschung von 1844, als Christus unerwartet das Allerheiligste betrat, statt auf die Erde zu kommen. Seine Aufgabe in dieser abschließenden Phase des Heiligtumsdienstes seit 1844 betrifft auch die Gemeinde auf der Erde (die „Söhne Levi“):

Mal 3,3 Und er wird sitzen und das Silber schmelzen und reinigen, und er wird die Söhne Levi reinigen und sie läutern wie Gold und wie Silber, sodass sie Männer werden, die dem HERRN Opfergaben in Gerechtigkeit darbringen.

Wie schon in Hesekiel 36 führt die hier geschilderte Reinigung zur „Gerechtigkeit“, also zum Gehorsam gegen Gottes Gebote. Ellen White beschreibt den gleichen Zusammenhang im Großen Kampf. Sie zitiert zuerst denselben Vers (Mal 3,3) und schreibt dann über die Gläubigen in der Endzeit:

GK 427 Während das Untersuchungsgericht im Himmel vor sich geht, während die Sünden reumütiger Gläubiger aus dem Heiligtum entfernt werden, muss sich das Volk Gottes auf Erden in besonderer Weise läutern, d. h. seine Sünden ablegen … Dann wird die Gemeinde, die der Herr bei seinem Kommen zu sich nehmen wird, herrlich sein, eine Gemeinde, „die nicht habe einen Flecken oder Runzel oder des etwas“ (Eph 5,27).

Das Erlösungswerk im Himmel und auf der Erde geht also Hand in Hand. Erst wenn Gottes Gemeinde auf der Erde vollständig gereinigt ist – ohne „einen Flecken oder Runzel“ auf dem Kleid ihres Charakters –, wird Jesus seinen Dienst im Himmel beenden. Und dann erst kann er wiederkommen.

Ich möchte hinzufügen, dass es niemals die ganze Gemeinde sein wird, die am Ende vollständig gereinigt und dann versiegelt wird, ebenso wie auch im Alten Israel „nur ein Überrest“ gerettet wurde (Röm 9,27). Die Bibel lehrt klar, dass in der Gemeinde Unkraut und Weizen nebeneinander wachsen und es erst kurz vor der Wiederkunft zu einer Sichtung der Gläubigen kommen wird, wo zuerst das Unkraut zur Verbrennung zusammengelesen und dann der Weizen in Gottes Scheune gesammelt wird (Mt 13,30).

Dennoch sehnt sich Jesus danach, dass möglichst jeder Einzelne gerettet wird, und beweist daher außerordentliche Langmut im Warten auf Sein Adventvolk. Einen Eindruck vom Aufschub der letzten Entscheidung vermittelt das Kapitel „Die Versiegelung“ aus Erfahrungen und Gesichte:

EG 28f. (rev.) Ich sah vier Engel, die ein Werk auf der Erde zu tun hatten und im Begriff waren, es auszuführen. Jesus war mit priesterlichen Gewändern bekleidet. Er blickte in Mitleid auf die Übrigen, erhob dann seine Hand und rief mit einer Stimme tiefsten Erbarmens: „Mein Blut, Vater, mein Blut, mein Blut, mein Blut!“ Dann sah ich, wie von Gott, der auf dem großen, weißen Thron saß, ein helles Licht kam und über Jesus ausgegossen wurde. Hierauf sah ich einen Engel mit einem Auftrag von Jesus schnell zu den vier Engeln fliegen, die ein Werk auf der Erde zu tun hatten; er schwang etwas in seiner Hand auf und ab und rief mit lauter Stimme: „Halt! Halt! Halt! Halt! bis die Knechte Gottes versiegelt sind an ihren Stirnen.“

Ich fragte meinen begleitenden Engel nach der Bedeutung des Gehörten und was die vier Engel hätten tun wollen. Er sagte mir, dass Gott die Mächte zurückhalte und dass er den Engeln Befehle über Dinge auf der Erde gab; dass die vier Engel Macht hätten von Gott, die vier Winde der Erde zu halten, und dass sie diese hätten loslassen wollen. Aber während sie ihre Hände lösen und die Winde anfangen zu blasen wollten, blickte das gnädige Auge Jesu auf den Rest, der nicht versiegelt war, und er erhob seine Hände zu dem Vater und hielt ihm vor, dass er sein Blut für sie vergossen habe. Dann wurde ein anderer Engel beauftragt, schnell zu den vier Engeln zu fliegen und ihnen Halt zu gebieten, bis die Knechte Gottes an ihren Stirnen mit dem Siegel des lebendigen Gottes versiegelt wären.

Wie oft sich diese Szene im Himmel seit 1844 wohl schon wiederholt hat …? Und warum eigentlich werden die vier Engel losgeschickt, während einige der „Übrigen“ noch gar nicht versiegelt sind? Wenn die Versiegelung ganz unabhängig von unserem Glaubenswandel geschehen würde, ließe sich das nur mit fehlerhafter Koordination im Himmel erklären – was selbstverständlich ausgeschlossen ist. Dann aber kann die Aussendung der vier Engel, um die Winde loszulassen (und damit die Gnadenzeit zu beenden), nur bedeuten, dass alle Gläubigen bereits Gelegenheit gehabt haben, sich auf die Versiegelung vorzubereiten, aber nicht alle sie genutzt haben – und dann wäre Jesu Berufung auf Sein Blut nichts anderes als eine spontane, aus tiefstem Mitgefühl erwirkte Verlängerung der Gnadenzeit für uns als Gemeinde.

Ellen White hatte die oben beschriebene Vision im Jahr 1849. Unter These 2 hatten wir in Evangelisation, S. 695, gelesen, dass Christus eigentlich schon kurz nach 1844 wiederkommen wollte. Fast 25 Jahre später (1868) schrieb sie:

2T 194 Die lange Nacht der Finsternis ist nicht einfach, doch der Morgen wird aus Gnade aufgeschoben, weil so viele gar nicht bereit wären, sollte der Meister kommen. Der Grund für die lange Verzögerung ist, dass Gott nicht willens ist, sein Volk umkommen zu lassen.

Wenn rund 25 Jahre schon eine „lange Verzögerung“ waren, was sollen wir im Jahr 2019 sagen – 175 Jahre nach 1844, nachdem sich die „lange Verzögerung“ bereits sieben Mal wiederholt hat? Es ist wahrlich unglaublich, wie groß Gottes Mitleid mit Seiner wankelmütigen Gemeinde ist. Wer wollte es angesichts dieser Situation darauf anlegen, eine persönliche, „tiefe Buße“ weiter aufzuschieben oder es bei einer oberflächlichen Hinwendung zu Gott zu belassen?

2. Weil die Buße bislang nicht vollständig gewesen ist, ist die Wiederkunft Jesu aufgehalten worden.

Die Adventgemeinde ist heute in dem dramatischen Zustand, dass viele nicht allein in Unkenntnis darüber sind, was die Wiederkunft Jesu beschleunigt oder verzögert, sondern generell bezweifeln, dass Menschen den Zeitpunkt des zweiten Kommens Jesu beeinflussen können. Dabei sagt die Bibel, dass die Gemeinde das Weltende sowohl beschleunigen als auch (durch Unbußfertigkeit) verzögern kann:

2Pe 3,9 Der Herr verzögert nicht die Verheißung, wie es einige für eine Verzögerung halten, sondern er ist langmütig euch gegenüber, da er nicht will, dass irgendwelche verloren gehen, sondern dass alle zur Buße kommen.

10 Es wird aber der Tag des Herrn kommen wie ein Dieb; an ihm werden die Himmel mit gewaltigem Geräusch vergehen, die Elemente aber werden im Brand aufgelöst und die Erde und die Werke auf ihr im Gericht erfunden werden.

11 Da dies alles so aufgelöst wird, was für Leute müsst ihr dann sein in heiligem Wandel und Gottseligkeit,

12 indem ihr die Ankunft des Tages Gottes erwartet und beschleunigt, um dessentwillen die Himmel in Feuer geraten und aufgelöst und die Elemente im Brand zerschmelzen werden!

Während mangelnde Buße Gott in seiner langmütigen Liebe dazu bringt, die Gnadenzeit für die Adventgemeinde zu verlängern, „da er nicht will, dass irgendwelche verloren gehen“, führt echte Buße dazu, dass Gott uns zu „heiligem Wandel und Gottseligkeit“ befähigt, wodurch wir am „Tag des Herrn“ bestehen können.

Es geht aber um weit mehr als die eigene Rettung: Ein heiliges Leben zur Ehre Gottes hat enormen Zeugnischarakter und befeuert den Missionsauftrag. Schwester White schreibt dazu:

BRG 51 Jeder Christ darf die Wiederkunft seines Herrn nicht nur freudig erwarten, sondern kann sie sogar beschleunigen (2Pe 3,12). Trügen alle, die seinen Namen bekennen, auch Frucht zu seiner Ehre, dann könnte auf der ganzen Welt in Windeseile der Same des Evangeliums ausgestreut werden. In Kürze wäre dann die große Ernte reif, und Christus käme, um den kostbaren Weizen einzubringen.

Wenn das Evangelium eigentlich „in Windeseile“ weltweit verkündet werden, „in Kürze“ die Welternte reif sein und Christus kommen könnte, dann kann es für die lange Verzögerung der Wiederkunft seit 1844 nur einen Grund geben: Die Gemeinde hat die erwähnte Voraussetzung – nämlich „Frucht zu Gottes Ehre“ zu tragen – bisher nicht (ausreichend) erfüllt. Die Frucht eines Christen ist „Gerechtigkeit“, ein christusähnlicher Charakter:

2Kor 9,10 Der aber Samen darreicht dem Sämann und Brot zur Speise, wird eure Saat darreichen und mehren und die Früchte eurer Gerechtigkeit wachsen lassen.

Diesen Mangel an praktischer Gerechtigkeit soll die Botschaft an Laodizea bewusst machen, indem sie unsere „Nacktheit“ ebenso aufzeigt wie die Quelle wahrer Gerechtigkeit: das „weiße Kleid“, das Christus gerne jedem gibt, der „eifrig Buße tut“ (die wiederum auch ein Geschenk von Ihm ist) und bereit ist, seinen Glauben „wie Gold läutern“ zu lassen (was Teil von Jesu gegenwärtigem Priesterdienst ist).

1883, fast 40 Jahre nach der großen Enttäuschung von 1844, aus der später die Siebenten-Tags-Adventisten entstanden, schrieb Ellen White:

Ev 695f. Hätten die Adventisten nach der großen Enttäuschung von 1844 an ihrem Glauben festgehalten und wären sie geeint Schritt für Schritt der Vorsehung Gottes gefolgt, indem sie die Botschaft des dritten Engels empfangen und sie in der Kraft des Heiligen Geistes der Welt verkünden, hätten sie das Heil Gottes gesehen. Er hätte ihre Bemühungen mit großer Macht begleitet, das Werk wäre zum Abschluss gekommen und Christus bereits wiedergekommen, um seinem Volk den Lohn auszuteilen …

40 Jahre lang schlossen Unglaube, Murren und Auflehnung das alte Israel vom Land Kanaan aus. Dieselben Sünden haben den Eintritt des heutigen Israel in das himmlische Kanaan verzögert. In beiden Fällen lag das Problem nicht bei Gottes Verheißungen. Es ist der Unglaube, die Weltlichkeit, mangelnde Hingabe und der Streit unter Gottes bekenntlichem Volk, die uns seit so vielen Jahren in dieser Welt von Sünde und Leid halten.

Im 1903 veröffentlichten Buch Erziehung schrieb sie über „Beschleunigung oder Behinderung“ unserer weltweiten Mission:

Erz 241f. Wer überlegt, was die Beschleunigung oder Behinderung der Evangeliumsverkündigung wohl für Folgen haben könnte, tut dies meist im Hinblick auf die Welt und sich selbst. Wenige denken dabei an Gott …

Unsere Welt ist ein großes Krankenlager, sie bietet ein Bild des Elends, das wir nicht in unsere Gedankenwelt aufzunehmen wagen. Sähen wir sie so, wie sie wirklich ist, dann wäre die Belastung zu schrecklich. Doch Gott fühlt bei allem mit. Um die Sünde und ihre Auswirkungen zu vernichten, gab er sein Liebstes dahin. Er hat uns die Macht gegeben, in Zusammenarbeit mit ihm dieses Trauerspiel zum Abschluss zu bringen.

Wenn Gott es in unsere Macht gelegt hat, als seine Mitarbeiter das Trauerspiel dieser Welt zu beenden, dann tragen wir und unsere Vorväter auch die Verantwortung für dessen unnötige Verlängerung und die damit verbundene Tragik. Diese Erkenntnis sollte für uns ein heilsamer Schock sein und uns zu „eifriger Buße“ aufrütteln!