3. Christus kann nicht wiederkommen, solange sein Erlösungswerk im Himmel und auf der Erde nicht abgeschlossen ist.

Das Erlösungswerk im Himmel ist die am 22. Oktober 1844 begonnene Reinigung des Heiligtums von den Sünden der Gläubigen, wie sie im alttestamentlichen Versöhnungstag vorgeschattet war. Der Abschluss dieser Reinigung ist zugleich das Ende von Jesu Mittlerdienst und der Gnadenzeit für die Menschheit. Weil Vergebung dann nicht mehr möglich ist, sorgt Gott vorher dafür, dass sie auch nicht mehr nötig ist: Er reinigt das Herz der Gläubigen so vollständig von Sünde, dass sie lieber sterben würden, als Gottes Gesetz zu übertreten. Dies ist nichts anderes als die Erfüllung des Neuen Bundes:

Hes 36,25 Und ich werde reines Wasser auf euch sprengen, und ihr werdet rein sein; von all euren Unreinheiten und von all euren Götzen werde ich euch reinigen …

27 … und ich werde machen, dass ihr in meinen Ordnungen lebt und meine Rechtsbestimmungen bewahrt und tut.

Die Reinigung des himmlischen Heiligtums kann erst dann abgeschlossen werden, wenn die Ursache für seine Verunreinigung – die Sünden der Gläubigen – beseitigt worden ist. W. D. Frazee drückte es einmal so aus: Die Wäscherei kann erst schließen, wenn wir gelernt haben, unsere Kleider reinzuhalten. Wie wird Gott das erreichen?

Maleachi schreibt über eine Zeit, wo „der Herr plötzlich [= unerwartet] zu seinem Tempel kommt“ (Mal 3,1). Dies erfüllte sich in der Enttäuschung von 1844, als Christus unerwartet das Allerheiligste betrat, statt auf die Erde zu kommen. Seine Aufgabe in dieser abschließenden Phase des Heiligtumsdienstes seit 1844 betrifft auch die Gemeinde auf der Erde (die „Söhne Levi“):

Mal 3,3 Und er wird sitzen und das Silber schmelzen und reinigen, und er wird die Söhne Levi reinigen und sie läutern wie Gold und wie Silber, sodass sie Männer werden, die dem HERRN Opfergaben in Gerechtigkeit darbringen.

Wie schon in Hesekiel 36 führt die hier geschilderte Reinigung zur „Gerechtigkeit“, also zum Gehorsam gegen Gottes Gebote. Ellen White beschreibt den gleichen Zusammenhang im Großen Kampf. Sie zitiert zuerst denselben Vers (Mal 3,3) und schreibt dann über die Gläubigen in der Endzeit:

GK 427 Während das Untersuchungsgericht im Himmel vor sich geht, während die Sünden reumütiger Gläubiger aus dem Heiligtum entfernt werden, muss sich das Volk Gottes auf Erden in besonderer Weise läutern, d. h. seine Sünden ablegen … Dann wird die Gemeinde, die der Herr bei seinem Kommen zu sich nehmen wird, herrlich sein, eine Gemeinde, „die nicht habe einen Flecken oder Runzel oder des etwas“ (Eph 5,27).

Das Erlösungswerk im Himmel und auf der Erde geht also Hand in Hand. Erst wenn Gottes Gemeinde auf der Erde vollständig gereinigt ist – ohne „einen Flecken oder Runzel“ auf dem Kleid ihres Charakters –, wird Jesus seinen Dienst im Himmel beenden. Und dann erst kann er wiederkommen.

Ich möchte hinzufügen, dass es niemals die ganze Gemeinde sein wird, die am Ende vollständig gereinigt und dann versiegelt wird, ebenso wie auch im Alten Israel „nur ein Überrest“ gerettet wurde (Röm 9,27). Die Bibel lehrt klar, dass in der Gemeinde Unkraut und Weizen nebeneinander wachsen und es erst kurz vor der Wiederkunft zu einer Sichtung der Gläubigen kommen wird, wo zuerst das Unkraut zur Verbrennung zusammengelesen und dann der Weizen in Gottes Scheune gesammelt wird (Mt 13,30).

Dennoch sehnt sich Jesus danach, dass möglichst jeder Einzelne gerettet wird, und beweist daher außerordentliche Langmut im Warten auf Sein Adventvolk. Einen Eindruck vom Aufschub der letzten Entscheidung vermittelt das Kapitel „Die Versiegelung“ aus Erfahrungen und Gesichte:

EG 28f. (rev.) Ich sah vier Engel, die ein Werk auf der Erde zu tun hatten und im Begriff waren, es auszuführen. Jesus war mit priesterlichen Gewändern bekleidet. Er blickte in Mitleid auf die Übrigen, erhob dann seine Hand und rief mit einer Stimme tiefsten Erbarmens: „Mein Blut, Vater, mein Blut, mein Blut, mein Blut!“ Dann sah ich, wie von Gott, der auf dem großen, weißen Thron saß, ein helles Licht kam und über Jesus ausgegossen wurde. Hierauf sah ich einen Engel mit einem Auftrag von Jesus schnell zu den vier Engeln fliegen, die ein Werk auf der Erde zu tun hatten; er schwang etwas in seiner Hand auf und ab und rief mit lauter Stimme: „Halt! Halt! Halt! Halt! bis die Knechte Gottes versiegelt sind an ihren Stirnen.“

Ich fragte meinen begleitenden Engel nach der Bedeutung des Gehörten und was die vier Engel hätten tun wollen. Er sagte mir, dass Gott die Mächte zurückhalte und dass er den Engeln Befehle über Dinge auf der Erde gab; dass die vier Engel Macht hätten von Gott, die vier Winde der Erde zu halten, und dass sie diese hätten loslassen wollen. Aber während sie ihre Hände lösen und die Winde anfangen zu blasen wollten, blickte das gnädige Auge Jesu auf den Rest, der nicht versiegelt war, und er erhob seine Hände zu dem Vater und hielt ihm vor, dass er sein Blut für sie vergossen habe. Dann wurde ein anderer Engel beauftragt, schnell zu den vier Engeln zu fliegen und ihnen Halt zu gebieten, bis die Knechte Gottes an ihren Stirnen mit dem Siegel des lebendigen Gottes versiegelt wären.

Wie oft sich diese Szene im Himmel seit 1844 wohl schon wiederholt hat …? Und warum eigentlich werden die vier Engel losgeschickt, während einige der „Übrigen“ noch gar nicht versiegelt sind? Wenn die Versiegelung ganz unabhängig von unserem Glaubenswandel geschehen würde, ließe sich das nur mit fehlerhafter Koordination im Himmel erklären – was selbstverständlich ausgeschlossen ist. Dann aber kann die Aussendung der vier Engel, um die Winde loszulassen (und damit die Gnadenzeit zu beenden), nur bedeuten, dass alle Gläubigen bereits Gelegenheit gehabt haben, sich auf die Versiegelung vorzubereiten, aber nicht alle sie genutzt haben – und dann wäre Jesu Berufung auf Sein Blut nichts anderes als eine spontane, aus tiefstem Mitgefühl erwirkte Verlängerung der Gnadenzeit für uns als Gemeinde.

Ellen White hatte die oben beschriebene Vision im Jahr 1849. Unter These 2 hatten wir in Evangelisation, S. 695, gelesen, dass Christus eigentlich schon kurz nach 1844 wiederkommen wollte. Fast 25 Jahre später (1868) schrieb sie:

2T 194 Die lange Nacht der Finsternis ist nicht einfach, doch der Morgen wird aus Gnade aufgeschoben, weil so viele gar nicht bereit wären, sollte der Meister kommen. Der Grund für die lange Verzögerung ist, dass Gott nicht willens ist, sein Volk umkommen zu lassen.

Wenn rund 25 Jahre schon eine „lange Verzögerung“ waren, was sollen wir im Jahr 2019 sagen – 175 Jahre nach 1844, nachdem sich die „lange Verzögerung“ bereits sieben Mal wiederholt hat? Es ist wahrlich unglaublich, wie groß Gottes Mitleid mit Seiner wankelmütigen Gemeinde ist. Wer wollte es angesichts dieser Situation darauf anlegen, eine persönliche, „tiefe Buße“ weiter aufzuschieben oder es bei einer oberflächlichen Hinwendung zu Gott zu belassen?