64. Statt des Gerichtes sollten Adventisten lieber den Unglauben fürchten, denn „wegen des Unglaubens“ konnte das alte Israel das verheißene Land nicht betreten (Heb 3,19).

Wenn ein Sünder von Gottes Gericht erfährt, fürchtet er sich. Das ist eine völlig normale und zu erwartende Reaktion für jemanden, der im Bewusstsein seiner Schuldigkeit damit konfrontiert wird, dass er Rechenschaft ablegen muss. Gottes Gesetz ist sogar dazu da, den verlorenen Menschen in genau diese Situation hineinzuführen und ihm seine unausweichliche Verlorenheit nachdrücklich vor Augen zu halten. Die Absicht dahinter erklärt der Apostel Paulus so: Die Erkenntnis, dass er unter Gottes gerechter Verdammung steht, soll den Menschen zu Christus treiben, der ihm als Einziger Erlösung von dem drohenden Schicksal bringen kann.

Röm 7,7 Was wollen wir nun sagen? Ist das Gesetz Sünde? Das sei ferne! Aber ich hätte die Sünde nicht erkannt, außer durch das Gesetz

Gal 3,19 Was soll nun das Gesetz? Es wurde der Übertretungen wegen hinzugefügt …

22 Die Schrift hat alles unter die Sünde eingeschlossen

24 Also ist das Gesetz unser Zuchtmeister auf Christus hin geworden, damit wir aus Glauben gerechtfertigt würden.

Gott hat in Seiner unendlichen Liebe einen Weg gefunden, uns im Gericht nicht verurteilen zu müssen, sondern mit Fug und Recht gänzlich freisprechen – „rechtfertigen“ – zu können, und es ist der „Glaube“, der die Füße des Menschen auf diesen Weg setzt. Christus selbst ist dieser Weg, weil jeder einzelne Schritt nur im Vertrauen auf Ihn und in enger Lebensgemeinschaft mit Ihm geschehen kann. So ist Gottes Sohn zum Brückenbauer und Wegbereiter zurück zum Vater geworden, und das Gericht hat für den Gläubigen allen Schrecken verloren. Ja, im festen Glauben an Jesu Gerechtigkeit „auf ihm“, die ihn unverklagbar macht, kann er sogar mit David den Wunsch aussprechen:

Ps 7,9 Richte mich, HERR, nach meiner Gerechtigkeit und nach meiner Lauterkeit, die auf mir ist.

Ps 54,1 Gott, durch deinen Namen rette mich, und schaffe mir Recht durch deine Macht!

Der Gläubige weiß, dass „der HERR, unsere Gerechtigkeit“ eine lebendige Wirklichkeit ist, dass Jesu Gerechtigkeit eine schöpferische Kraft ist, die ihm vollständig zugerechnet und verliehen wird, und dass der Freispruch im himmlischen Gericht jedem sicher ist, der ebendiese Verheißungen bis zum Ende standhaft festhält – in Vertrauen und williger Nachfolge.

Off 14,12 Hier ist das standhafte Ausharren der Heiligen, hier sind die, welche die Gebote Gottes und den Glauben an Jesus bewahren!

Unsere Rettung verwirklicht sich „aus Glauben“. Das alte Israel scheiterte nicht an der Supermacht Ägypten, den lebensfeindlichen Umständen der Wüste, den Riesen Kanaans oder den stark befestigten Städten. Es scheiterte an der einzigen Instanz, die Gottes Siegeszug mit seinem Volk tatsächlich verhindern konnte: an sich selbst. Es war die Entscheidung für den Zweifel und gegen das Vertrauen, die das Schicksal einer ganzen Generation besiegelte, „deren Leiber in der Wüste fielen“ (Heb 3,17). Sie wiederholten die Sünde des ersten Menschenpaares am Baum der Erkenntnis, mit nicht weniger fatalen Folgen.

1Kor 10,11 Alles dies aber widerfuhr jenen als Vorbild und ist geschrieben worden zur Ermahnung für uns, über die das Ende der Zeitalter gekommen ist.

Kein einziger Gläubiger, auch nicht der schwächste und zitterndste, wird scheitern, weil die Latte christlicher Vollkommenheit für ihn angeblich zu hoch liegt. Es gibt nur eine Möglichkeit, das himmlische Kanaan zu verpassen: durch Unglauben – durch Zweifel am Wort Gottes, die zu Ungehorsam führen. Es gibt da ein sehr wahres Wort: „Wenn ich auf mich schaue, wüsste ich nicht, wie ich gerettet werden könnte. Wenn ich auf Jesus schaue, wüsste ich nicht, wie ich verloren gehen könnte.

HP 186 Alles, was den Glauben und das Vertrauen in unseren Erlöser schwächt, müssen wir als wertlos ansehen

Wenn du in der Liebe Christi ruhst und dem Heiland und Lebensgeber vertraust, dass er die Rettung deiner Seele für dich bewirkt, wirst du Ihm näher und immer näher kommen und verstehen, was es heißt, den Anblick des Unsichtbaren zu ertragen. Gott möchte, dass wir in Seiner Liebe ganz zur Ruhe kommen. Der innere Friede, den Christus schenkt, ist unendlich wertvoller als Gold, Silber und Edelsteine …

63. Unzählige Adventisten sind aufgrund ihrer geistlichen Schwachheit so verzagt, dass sie begierig nach einer „Heilsgewissheit“ greifen, die sich im Gericht allein auf eine zugerechnete Heiligkeit stützt, obwohl schon der gesunde Menschenverstand sagt, dass dies nicht alles sein kann, wenn ich eines Tages in der Gegenwart eines heiligen Gottes stehen will.

Diese These beschreibt meine Beobachtung. Ich kann die Situation der Verzagtheit aus eigener Erfahrung sehr gut nachvollziehen und verstehe menschlich betrachtet, wie anziehend eine Rechtfertigungslehre wirkt, die allein auf die zugerechnete Gerechtigkeit Jesu setzt. Das „Problem Gericht“ scheint damit konsequent gelöst, und auch ins eigene Leben kommt die Leichtigkeit einer Glaubenspraxis, wo wir uns zwar (mehr oder weniger) um ein christliches Leben bemühen, Versagen und hartnäckige Schwächen aber in der tröstlichen Gewissheit „gut ertragen“ können, dass sie kein Hindernis für unser Heil darstellen.

Rein subjektiv empfinde ich durchaus Sympathie für so einen Lebensstil und habe ihn phasenweise auch selbst praktiziert. Biblisch betrachtet, muss ich ihn jedoch als illegitime Verbindung von geistlichen Wahrheiten und fleischlichen Praktiken ablehnen. Diese Theologie versucht eine Unmöglichkeit: Christ zu sein, ohne sich zu bekehren. Menschen auf diesem Weg beanspruchen zwar, mit Christus gestorben zu sein, und reden häufig vom Kreuz, Rechtfertigung, Gottes Gnade und Seiner Liebe; sie versäumen aber, mit Christus auch aufzuerstehen und ein ganz neues Leben im Geist zu beginnen – rein, selbstlos und voller guter Werke. Sie haben eine diffuse Überzeugung, dass alle ihre Sünden, schlechten Gewohnheiten und Charakterschwächen einmal schlagartig beseitigt werden, wenn sie auferstehen oder bei der Wiederkunft verwandelt werden. Gott wird das dann schon „irgendwie machen“, und dieses Sich-voll-auf-Gott-Verlassen missverstehen sie als rettenden Glauben.

1SM 313f. Viele bekennen sich zu Christus, werden aber nie zu reifen Christen. Sie gestehen ein, dass der Mensch gefallen ist und seine Fähigkeiten geschwächt sind, dass er aus sich nichts Sittliches hervorbringen kann. Doch dann sagen sie, Christus habe alle Lasten, alle Leiden und alle Selbstverleugnung auf sich genommen, und sie haben nichts dagegen, ihn alles tragen zu lassen. Sie sagen, sie hätten nichts weiter zu tun, als zu glauben. Aber Christus hat gesagt: „Wenn jemand mir nachkommen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf und folge mir nach!“ (Mt 16,24)

Gott wird das in der Tat „irgendwie machen“, aber Er tut es in diesem Leben und unter Bedingungen, die in Seinem Wort sowie im Geist der Weissagung ausführlich beschrieben sind: Reue, Sündenbekenntnis, Hingabe, Liebe, Gehorsam, Selbstverleugnung, Dienst, Zeugnis, Mission.

FW 52 Gott erwartet heute nichts anderes als von dem heiligen Paar in Eden: vollkommenen Gehorsam gegenüber seinen Forderungen. Sein Gesetz bleibt durch alle Zeitalter hindurch dasselbe. Der große Standard für Gerechtigkeit, wie das Alte Testament ihn beschreibt, wird im Neuen nicht abgeschwächt. Das Evangelium ist nicht dazu da, den Maßstab von Gottes heiligem Gesetz zu erniedrigen, sondern den Menschen so zu erhöhen, dass er dessen Vorschriften halten kann.

Der rettende Glaube an Christus ist nicht so, wie er von vielen dargestellt wird. „Glaube, glaube“, rufen sie, „glaube nur an Christus, und du wirst errettet. Mehr musst du nicht tun.“ Zwar verlässt sich wahrer Glaube tatsächlich ganz auf Christus, was die Erlösung angeht, doch führt er auch zu vollkommener Übereinstimmung mit Gottes Gesetz. (vgl. GW 50)

Wiederholen wir die Aussage in diesem Zitat noch einmal, damit sie glasklar heraussteht:

  • Falscher Glaube verlässt sich ganz auf Christus, um vollkommene Vergebung zu erlangen, jedoch nicht vollkommenen Gehorsam, und missversteht dies als Rettung.
  • Wahrer Glaube verlässt sich ganz auf Christus, um vollkommene Vergebung und vollkommenen Gehorsam zu erlangen.

Können wir sehen, dass wir in der Adventgemeinde „ein Problem“ haben …? Betrachten wir die gleiche Sache von einer etwas anderen Seite und stellen dem inspirierten Wort die Frage: Wer wird einmal in Gottes Gegenwart stehen?

Ps 15,1 HERR, wer darf in deinem Zelt weilen? Wer darf wohnen auf deinem heiligen Berg?

2 Der rechtschaffen wandelt und Gerechtigkeit übt

Ps 24,3 Wer darf hinaufsteigen auf den Berg des HERRN und wer darf stehen an seiner heiligen Stätte?

4 Der unschuldige Hände und ein reines Herz hat

EW 15f. Bald wurde unser Blick nach Osten gewendet, denn eine kleine, schwarze Wolke war erschienen, etwa halb so groß wie eine Männerhand. Wir alle wussten, dass es das Zeichen des Menschensohnes war. In feierlichem Schweigen schaute jeder von uns zu, wie die Wolke näherkam und heller und immer noch herrlicher wurde, bis es eine große, weiße Wolke war. Ihr Grund sah aus wie Feuer, und ein Regenbogen war über ihr. Zehntausende Engel umgaben sie und sangen ein wunderschönes Lied. Auf ihr saß der Menschensohn. Sein weißes, lockiges Haar lag auf seinen Schultern, und auf seinem Kopf waren viele Kronen. Seine Füße sahen wie Feuer aus. In der rechten Hand hatte er eine scharfe Sichel, in der linken eine silberne Trompete. Seine Augen glichen einer Feuerflamme, sein prüfender Blick las alles in Seinen Kindern. Da wurden alle Gesichter blass, und die Gesichter der von Gott Verworfenen wurden finster. „Wer wird bestehen?“, riefen wir alle aus. „Ist mein Kleid fleckenlos?“ Die Engel hörten auf zu singen, und eine furchtbare Stille trat ein. Dann sagte Jesus: „Wer saubere Hände und ein reines Herz hat, wird bestehen. Meine Gnade ist für euch ausreichend.“ Da hellten sich unsere Gesichter auf, und Freude erfüllte jedes Herz. Die Engel nahmen ihren Gesang wieder auf, diesmal einen Ton höher, und die Wolke bewegte sich weiter auf die Erde zu. (vgl. EG 13)

PUR, 9.2.1905 Ich sage euch im Namen Jesu von Nazareth, dass wir als Volk unbedingt eine Reformation brauchen. Wenn jemand nicht in jeder Hinsicht christusähnlich mit seinem Nächsten umgeht und die Gesetze des Himmels in allen Einzelheiten befolgt, wird er die Stadt Gottes niemals betreten. Es gibt für niemanden eine Entschuldigung zu scheitern. Wir haben alle Christi Charakter vor uns, um ihn zu studieren und nachzuahmen …

Was meint Gottes Wort, wenn es erklärt, dass Christus die Gemeinde sich selbst ohne Flecken oder Runzel oder etwas dergleichen darstellt? Es meint, dass Gottes Volk das Ziel christlicher Vollkommenheit erreichen kann und muss. Doch dazu muss es erst von Christus Sanftmut und Demut lernen.

Durch das Opfer Christi ist vollständig dafür gesorgt, dass Gläubige alles [Hervorhebung original] zum Leben und zur Gottseligkeit erhalten. Die Vollkommenheit seines Charakters macht es uns möglich, Vollkommenheit zu erlangen.

Eine persönliche Bemerkung am Rande: Ich überlege oft, was ich anstreichen soll und was nicht, um die Aussagen in einem Zitat bzw. meine Intention beim Zitieren etwas übersichtlicher darzustellen. Die Entscheidung ist nicht einfach. In vielen Zitaten (wie in dem letzten) steckt dermaßen viel drin, dass man es eigentlich immer wieder lesen und in allen Einzelheiten bedenken und verinnerlichen müsste. Oft würde ich am liebsten fast alles hervorheben, aber das wäre natürlich kontraproduktiv. Wenn ich also etwas nicht anstreiche, heißt das keineswegs, dass ich es für unwichtig erachte. Es hängt vom jeweiligen Gedankengang der These ab: Manchmal hebe ich mehr das „Muss“ (die Anforderung) hervor, manchmal mehr das „Wird“ (die Verheißung); manchmal mehr die göttliche Retterliebe und Gnade, manchmal mehr die menschliche Verantwortung als Gnadenempfänger. Ob so oder so: Insgesamt ist mein Bemühen, obwohl mein Schwerpunkt in diesen Thesen auf sittlicher Vollkommenheit liegt, ein ausgewogenes Bild zu vermitteln.

62. Unzählige Adventisten haben Angst vor dem Gericht und glauben deshalb bereitwillig der Behauptung, im Untersuchungsgericht ständen nicht ihre Werke auf dem Prüfstand, sondern allein die ihres Stellvertreters Jesus Christus, obwohl die Schrift dem deutlich widerspricht.

Die Bibel lehrt, dass jeder Mensch – Gläubige wie Ungläubige – nach seinen Werken gerichtet werden wird:

Pred 12,14 Gott wird jedes Werk, es sei gut oder böse, in ein Gericht über alles Verborgene bringen.

1Pe 1,17 [Gott] richtet ohne Ansehen der Person nach eines jeden Werk

Mt 12,36 Ich sage euch aber, dass die Menschen von jedem unnützen Wort, das sie reden werden, Rechenschaft geben müssen am Tag des Gerichts;

37 denn aus deinen Worten wirst du gerechtfertigt werden, und aus deinen Worten wirst du verdammt werden.

Röm 2,12 Denn so viele ohne Gesetz gesündigt haben, werden auch ohne Gesetz verlorengehen; und so viele unter Gesetz gesündigt haben, werden durch Gesetz gerichtet werden

13 – es sind nämlich nicht die Hörer des Gesetzes gerecht vor Gott, sondern die Täter des Gesetzes werden gerechtfertigt werden.

2Kor 5,10 Wir müssen alle vor dem Richterstuhl Christi offenbar werden, damit jeder empfange, was er durch den Leib vollbracht, dementsprechend, was er getan hat, es sei Gutes oder Böses.

Angst vor dem letzten Gericht entsteht, wenn ich das Gefühl habe, mit einem Maßstab konfrontiert zu werden, dem ich unmöglich gerecht werden kann. Für dieses weit verbreitete Gefühl gibt es Gründe – teils im persönlichen Leben, teils in der Geschichte unserer Gemeinde. Wird das Gesetz hochgehalten (was richtig ist), aber nicht im selben Maß Christus als das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt wegnimmt, entstehen natürlich Angst und Beklemmung. Das Gesetz verurteilt uns ja zum Tode! Seine unbestechliche Gerechtigkeit kann uns keine Hoffnung auf irgendeinen Ausweg machen. Doch Jesus, unser Stellvertreter, Bürge und treuer Beistand, kann es! Er kann und wird uns zu mehr als Überwindern machen, weil dies keine Frage unserer Kraft und Tugend ist, sondern eine Frage Seiner Kraft und Tugend.

Eph 3,20 [Gott] vermag über alles hinaus zu tun, über die Maßen mehr, als wir erbitten oder erdenken, gemäß der Kraft, die in uns wirkt …

Röm 8,37 In diesem allen sind wir mehr als Überwinder durch den, der uns geliebt hat.

Röm 5,5 Die Hoffnung lässt nicht zuschanden werden, denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben worden ist.

Wenn wir Gottes Willigkeit verstehen, uns zu vergeben, Seine Macht, uns von jeder Gebundenheit freizumachen, Seine unbeschreibliche Liebe zum Sünder, die Ihn dazu brachte, Seinen einzigen Sohn für uns zu geben, als wir Ihm ganz feindlich gegenüberstanden, und wenn wir uns für diese Liebe öffnen – dann wird jede Angst weichen. Die Güte, Freundlichkeit und tiefe Zärtlichkeit, die uns im Leben und im Angesicht Christi begegnen, können nicht anders, als die Wogen der Furcht auf unserem Seelenmeer zur Ruhe zu bringen, weil hier kein zorniger Tyrann vor uns steht, sondern ein liebender Vater, der sich nach Seinen verlorenen Kindern sehnt.

1Joh 4,18 Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus.

Gleichzeitig ist Gottes Liebe kein Ersatz oder Konkurrent für Sein Gesetz. Seine Gerechtigkeit bleibt ohne Einschränkung bestehen, denn sie ist ja in jeder Hinsicht „heilig, gerecht und gut“ (Röm 7,12), ein Ausdruck göttlicher Vollkommenheit. Die Liebe kann die Furcht daher nicht auf einem Weg austreiben, der das Gericht umgeht, weil ausnahmslos jeder Mensch einmal vor Gottes Richterstuhl treten muss. Stattdessen hat die Liebe einen Weg gefunden, unseren Prozess mit einem vollständigen Freispruch enden zu lassen, ohne Gottes Gerechtigkeit zu kompromittieren. Es ist die perfekte Lösung, und selbst der große Chefankläger alias Satan kann bei diesem Vorgehen nicht den kleinsten Kritikpunkt finden.

Gottes Lösung lässt sich so beschreiben: Der Mensch muss einwilligen, eine neue Identität anzunehmen und eine neue Existenz zu beginnen. Die neue Identität entsteht, wenn er bereit ist, seine Autonomie (wörtl. „Eigengesetzlichkeit“) aufzugeben und eine dauerhafte Symbiose mit Gott einzugehen. Göttliches und Menschliches verschmelzen nun zu einer neuen „Lebensform“, die so radikal anders ist, als wäre gerade ein völlig neuer Mensch auf die Welt gekommen. Der alte Mensch muss für seine vielen Sünden „sterben“, und er tut das, indem er sich im Glauben mit dem sterbenden Erlöser am Kreuz vereint und mit Ihm gemeinsam das Leben aushaucht. Doch auf den vereinten Tod folgt die vereinte Auferstehung: Der neue Mensch erhält Anteil an einer Macht, die die Ketten des Todes sprengt. Die Sünde zwang ihn ins Grab – so forderte es das vollkommene Gesetz –, doch die unverdiente Gnade göttlichen Lebens ruft ihn wieder aus dem Grab hervor und schenkt ihm ein neues Leben jenseits des verdienten Todes, einen neuen Anfang, ein neues Sein.

Die „neue Kreatur“, die so entstanden ist, ist göttlichen Ursprungs. Sie ist rein, heilig und vollkommen und „kann nicht sündigen“ (1Joh 3,9; Sünde ist immer eine „Auferstehung“ des alten Menschen oder Folge davon, dass der alte Mensch nie ganz gestorben ist). Sie besitzt vollkommene Gerechtigkeit – es ist die Gerechtigkeit Jesu, die zum Vorschein kommt, weil Er in dem neuen Menschen lebt und ihn füllt und bewegt und nährt. In dieser Gemeinschaft wächst und erstarkt der neue Mensch immer weiter. Er gewinnt mehr und mehr Profil, Charakter. Sein Denken, Wollen und Handeln verfestigen sich, je mehr er Saft und Kraft aus der Lebenseinheit mit Christus zieht – als würde eine Rebe am Weinstock hängen. Und der Tag kommt, an dem Gottes Plan erfüllt und die Trauben zur Reife gelangt sind. Es ist die Zeit der Ernte und die Zeit der letzten „Zurechtbringung“ (= des „Richtens“). Zwar ist es Aufgabe der Rebe (des Menschen), durch die ihr verliehene Gnade die Lebensverbindung mit dem Weinstock zu suchen und zu erhalten, doch darüber hinaus liegt es allein in der Verantwortung des Weinstocks (Jesus) und des Weingärtners (Gott), die Frucht (Gerechtigkeit) in der Rebe hervor- und zur Reife zu bringen (zu vervollkommnen).

COL 312 Wenn wir uns Christus ausliefern, wird das Herz mit seinem Herzen vereint, der Wille geht in seinem Willen auf, die Gesinnung wird eins mit seiner Gesinnung, die Gedanken werden gefangen genommen unter ihn – wir leben sein Leben. Das bedeutet es, mit dem Kleid seiner Gerechtigkeit bekleidet zu sein. Wenn der Herr uns dann anschaut, sieht er keinen Schurz aus Feigenblättern, nicht die Nacktheit und Entstelltheit der Sünde, sondern sein eigenes Gewand der Gerechtigkeit, nämlich vollkommenen Gehorsam gegenüber dem Gesetz Jehovas.

Das Gericht kann an dieser neuen Kreatur nichts finden, was zu beanstanden wäre, selbst nicht vor dem Maßstab der vollkommenen Gerechtigkeit der Zehn Gebote, des Gesetzes von Liebe und Freiheit. Alles, was diesen Menschen ausmacht, hat er von Christus erhalten, wurde von Christus geprägt, ist eine Kopie Seiner Eigenschaften. Alles, was an diesem Menschen zu sehen ist, ist eine Reflektion göttlicher Schönheit, makellos und herrlich. Für seine Sünden hat Christus bereits bezahlt, und durch die existenzielle Einheit mit Jesus gilt der Mensch als mitgestorben und wegen seiner Sünden nicht mehr anklagbar. Das, was war, ist beglichen; das, was ist, ist rein und untadelig. Kein Mensch, kein Engel, ja nicht einmal der Erzrebell kann dem widersprechen, was für alle offen vor Augen liegt: „Gerechtigkeit und Frieden haben sich geküsst.“ (Ps 85,11) Nur ein Urteil ist möglich – Freispruch in allen Anklagepunkten.

Röm 8,29 Die er vorher erkannt hat, die hat er auch vorherbestimmt, dem Bilde seines Sohnes gleichförmig zu sein, damit er der Erstgeborene sei unter vielen Brüdern.

30 Die er aber vorherbestimmt hat, diese hat er auch berufen; und die er berufen hat, diese hat er auch gerechtfertigt; die er aber gerechtfertigt hat, diese hat er auch verherrlicht.

31 Was sollen wir nun hierzu sagen? Wenn Gott für uns ist, wer gegen uns?

32 Er, der doch seinen eigenen Sohn nicht verschont, sondern ihn für uns alle hingegeben hat: wie wird er uns mit ihm nicht auch alles schenken?

33 Wer wird gegen Gottes Auserwählte Anklage erheben? Gott ist es, der rechtfertigt.

34 Wer ist, der verdamme? Christus Jesus ist es, der gestorben, ja noch mehr, der auferweckt, der auch zur Rechten Gottes ist, der sich auch für uns verwendet.

Schon vor aller Ewigkeit hat Gott uns dazu bestimmt, das „Bild seines Sohnes“ widerzustrahlen. Vor aller Ewigkeit hat er beschlossen, uns Jesu vollkommene Gerechtigkeit aufs Herz zu schreiben. Heute – kurz vor der Wiederkunft – ist wie nie zuvor die Zeit dafür, dass der Heilige Geist genau dies an Gottes Volk tut. Alles, was wir brauchen, ist Vertrauen in diesen ewigen Plan Gottes und die Einladung an Jesus, durch Seinen Geist in uns wohnen und wirken zu dürfen. Mit dem Geist wird Gottes Liebe in das Herz ausgeschüttet, und diese Liebe, wenn wir sie ausleben, ist gleichbedeutend mit der vollkommenen Erfüllung aller Gebote. Daher dürfen wir dem Gericht, statt mit Angst, mit der Freimütigkeit von Begnadigten und als geistliche Brüder und Schwestern Jesu entgegensehen.

1Joh 4,17 Hierin ist die Liebe bei uns vollendet worden, dass wir Freimütigkeit haben am Tag des Gerichts, denn wie er ist, sind auch wir in dieser Welt.