62. Unzählige Adventisten haben Angst vor dem Gericht und glauben deshalb bereitwillig der Behauptung, im Untersuchungsgericht ständen nicht ihre Werke auf dem Prüfstand, sondern allein die ihres Stellvertreters Jesus Christus, obwohl die Schrift dem deutlich widerspricht.

Die Bibel lehrt, dass jeder Mensch – Gläubige wie Ungläubige – nach seinen Werken gerichtet werden wird:

Pred 12,14 Gott wird jedes Werk, es sei gut oder böse, in ein Gericht über alles Verborgene bringen.

1Pe 1,17 [Gott] richtet ohne Ansehen der Person nach eines jeden Werk

Mt 12,36 Ich sage euch aber, dass die Menschen von jedem unnützen Wort, das sie reden werden, Rechenschaft geben müssen am Tag des Gerichts;

37 denn aus deinen Worten wirst du gerechtfertigt werden, und aus deinen Worten wirst du verdammt werden.

Röm 2,12 Denn so viele ohne Gesetz gesündigt haben, werden auch ohne Gesetz verlorengehen; und so viele unter Gesetz gesündigt haben, werden durch Gesetz gerichtet werden

13 – es sind nämlich nicht die Hörer des Gesetzes gerecht vor Gott, sondern die Täter des Gesetzes werden gerechtfertigt werden.

2Kor 5,10 Wir müssen alle vor dem Richterstuhl Christi offenbar werden, damit jeder empfange, was er durch den Leib vollbracht, dementsprechend, was er getan hat, es sei Gutes oder Böses.

Angst vor dem letzten Gericht entsteht, wenn ich das Gefühl habe, mit einem Maßstab konfrontiert zu werden, dem ich unmöglich gerecht werden kann. Für dieses weit verbreitete Gefühl gibt es Gründe – teils im persönlichen Leben, teils in der Geschichte unserer Gemeinde. Wird das Gesetz hochgehalten (was richtig ist), aber nicht im selben Maß Christus als das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt wegnimmt, entstehen natürlich Angst und Beklemmung. Das Gesetz verurteilt uns ja zum Tode! Seine unbestechliche Gerechtigkeit kann uns keine Hoffnung auf irgendeinen Ausweg machen. Doch Jesus, unser Stellvertreter, Bürge und treuer Beistand, kann es! Er kann und wird uns zu mehr als Überwindern machen, weil dies keine Frage unserer Kraft und Tugend ist, sondern eine Frage Seiner Kraft und Tugend.

Eph 3,20 [Gott] vermag über alles hinaus zu tun, über die Maßen mehr, als wir erbitten oder erdenken, gemäß der Kraft, die in uns wirkt …

Röm 8,37 In diesem allen sind wir mehr als Überwinder durch den, der uns geliebt hat.

Röm 5,5 Die Hoffnung lässt nicht zuschanden werden, denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben worden ist.

Wenn wir Gottes Willigkeit verstehen, uns zu vergeben, Seine Macht, uns von jeder Gebundenheit freizumachen, Seine unbeschreibliche Liebe zum Sünder, die Ihn dazu brachte, Seinen einzigen Sohn für uns zu geben, als wir Ihm ganz feindlich gegenüberstanden, und wenn wir uns für diese Liebe öffnen – dann wird jede Angst weichen. Die Güte, Freundlichkeit und tiefe Zärtlichkeit, die uns im Leben und im Angesicht Christi begegnen, können nicht anders, als die Wogen der Furcht auf unserem Seelenmeer zur Ruhe zu bringen, weil hier kein zorniger Tyrann vor uns steht, sondern ein liebender Vater, der sich nach Seinen verlorenen Kindern sehnt.

1Joh 4,18 Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus.

Gleichzeitig ist Gottes Liebe kein Ersatz oder Konkurrent für Sein Gesetz. Seine Gerechtigkeit bleibt ohne Einschränkung bestehen, denn sie ist ja in jeder Hinsicht „heilig, gerecht und gut“ (Röm 7,12), ein Ausdruck göttlicher Vollkommenheit. Die Liebe kann die Furcht daher nicht auf einem Weg austreiben, der das Gericht umgeht, weil ausnahmslos jeder Mensch einmal vor Gottes Richterstuhl treten muss. Stattdessen hat die Liebe einen Weg gefunden, unseren Prozess mit einem vollständigen Freispruch enden zu lassen, ohne Gottes Gerechtigkeit zu kompromittieren. Es ist die perfekte Lösung, und selbst der große Chefankläger alias Satan kann bei diesem Vorgehen nicht den kleinsten Kritikpunkt finden.

Gottes Lösung lässt sich so beschreiben: Der Mensch muss einwilligen, eine neue Identität anzunehmen und eine neue Existenz zu beginnen. Die neue Identität entsteht, wenn er bereit ist, seine Autonomie (wörtl. „Eigengesetzlichkeit“) aufzugeben und eine dauerhafte Symbiose mit Gott einzugehen. Göttliches und Menschliches verschmelzen nun zu einer neuen „Lebensform“, die so radikal anders ist, als wäre gerade ein völlig neuer Mensch auf die Welt gekommen. Der alte Mensch muss für seine vielen Sünden „sterben“, und er tut das, indem er sich im Glauben mit dem sterbenden Erlöser am Kreuz vereint und mit Ihm gemeinsam das Leben aushaucht. Doch auf den vereinten Tod folgt die vereinte Auferstehung: Der neue Mensch erhält Anteil an einer Macht, die die Ketten des Todes sprengt. Die Sünde zwang ihn ins Grab – so forderte es das vollkommene Gesetz –, doch die unverdiente Gnade göttlichen Lebens ruft ihn wieder aus dem Grab hervor und schenkt ihm ein neues Leben jenseits des verdienten Todes, einen neuen Anfang, ein neues Sein.

Die „neue Kreatur“, die so entstanden ist, ist göttlichen Ursprungs. Sie ist rein, heilig und vollkommen und „kann nicht sündigen“ (1Joh 3,9; Sünde ist immer eine „Auferstehung“ des alten Menschen oder Folge davon, dass der alte Mensch nie ganz gestorben ist). Sie besitzt vollkommene Gerechtigkeit – es ist die Gerechtigkeit Jesu, die zum Vorschein kommt, weil Er in dem neuen Menschen lebt und ihn füllt und bewegt und nährt. In dieser Gemeinschaft wächst und erstarkt der neue Mensch immer weiter. Er gewinnt mehr und mehr Profil, Charakter. Sein Denken, Wollen und Handeln verfestigen sich, je mehr er Saft und Kraft aus der Lebenseinheit mit Christus zieht – als würde eine Rebe am Weinstock hängen. Und der Tag kommt, an dem Gottes Plan erfüllt und die Trauben zur Reife gelangt sind. Es ist die Zeit der Ernte und die Zeit der letzten „Zurechtbringung“ (= des „Richtens“). Zwar ist es Aufgabe der Rebe (des Menschen), durch die ihr verliehene Gnade die Lebensverbindung mit dem Weinstock zu suchen und zu erhalten, doch darüber hinaus liegt es allein in der Verantwortung des Weinstocks (Jesus) und des Weingärtners (Gott), die Frucht (Gerechtigkeit) in der Rebe hervor- und zur Reife zu bringen (zu vervollkommnen).

COL 312 Wenn wir uns Christus ausliefern, wird das Herz mit seinem Herzen vereint, der Wille geht in seinem Willen auf, die Gesinnung wird eins mit seiner Gesinnung, die Gedanken werden gefangen genommen unter ihn – wir leben sein Leben. Das bedeutet es, mit dem Kleid seiner Gerechtigkeit bekleidet zu sein. Wenn der Herr uns dann anschaut, sieht er keinen Schurz aus Feigenblättern, nicht die Nacktheit und Entstelltheit der Sünde, sondern sein eigenes Gewand der Gerechtigkeit, nämlich vollkommenen Gehorsam gegenüber dem Gesetz Jehovas.

Das Gericht kann an dieser neuen Kreatur nichts finden, was zu beanstanden wäre, selbst nicht vor dem Maßstab der vollkommenen Gerechtigkeit der Zehn Gebote, des Gesetzes von Liebe und Freiheit. Alles, was diesen Menschen ausmacht, hat er von Christus erhalten, wurde von Christus geprägt, ist eine Kopie Seiner Eigenschaften. Alles, was an diesem Menschen zu sehen ist, ist eine Reflektion göttlicher Schönheit, makellos und herrlich. Für seine Sünden hat Christus bereits bezahlt, und durch die existenzielle Einheit mit Jesus gilt der Mensch als mitgestorben und wegen seiner Sünden nicht mehr anklagbar. Das, was war, ist beglichen; das, was ist, ist rein und untadelig. Kein Mensch, kein Engel, ja nicht einmal der Erzrebell kann dem widersprechen, was für alle offen vor Augen liegt: „Gerechtigkeit und Frieden haben sich geküsst.“ (Ps 85,11) Nur ein Urteil ist möglich – Freispruch in allen Anklagepunkten.

Röm 8,29 Die er vorher erkannt hat, die hat er auch vorherbestimmt, dem Bilde seines Sohnes gleichförmig zu sein, damit er der Erstgeborene sei unter vielen Brüdern.

30 Die er aber vorherbestimmt hat, diese hat er auch berufen; und die er berufen hat, diese hat er auch gerechtfertigt; die er aber gerechtfertigt hat, diese hat er auch verherrlicht.

31 Was sollen wir nun hierzu sagen? Wenn Gott für uns ist, wer gegen uns?

32 Er, der doch seinen eigenen Sohn nicht verschont, sondern ihn für uns alle hingegeben hat: wie wird er uns mit ihm nicht auch alles schenken?

33 Wer wird gegen Gottes Auserwählte Anklage erheben? Gott ist es, der rechtfertigt.

34 Wer ist, der verdamme? Christus Jesus ist es, der gestorben, ja noch mehr, der auferweckt, der auch zur Rechten Gottes ist, der sich auch für uns verwendet.

Schon vor aller Ewigkeit hat Gott uns dazu bestimmt, das „Bild seines Sohnes“ widerzustrahlen. Vor aller Ewigkeit hat er beschlossen, uns Jesu vollkommene Gerechtigkeit aufs Herz zu schreiben. Heute – kurz vor der Wiederkunft – ist wie nie zuvor die Zeit dafür, dass der Heilige Geist genau dies an Gottes Volk tut. Alles, was wir brauchen, ist Vertrauen in diesen ewigen Plan Gottes und die Einladung an Jesus, durch Seinen Geist in uns wohnen und wirken zu dürfen. Mit dem Geist wird Gottes Liebe in das Herz ausgeschüttet, und diese Liebe, wenn wir sie ausleben, ist gleichbedeutend mit der vollkommenen Erfüllung aller Gebote. Daher dürfen wir dem Gericht, statt mit Angst, mit der Freimütigkeit von Begnadigten und als geistliche Brüder und Schwestern Jesu entgegensehen.

1Joh 4,17 Hierin ist die Liebe bei uns vollendet worden, dass wir Freimütigkeit haben am Tag des Gerichts, denn wie er ist, sind auch wir in dieser Welt.

55. Viele Adventisten erkennen zwar ihren mangelnden Sieg über Sünde, nicht aber ihre unvollständige Bekehrung (Lauheit). Daher „kurieren“ sie das Problem auf theologischer Ebene und erklären Jesus zum Stellvertreter statt zum Vorbild, den „elenden Menschen“ aus Römer 7 zum Normchristen und das Gericht zur „guten Nachricht“, weil es sowieso nur auf einen Freispruch hinauslaufen kann.

Der Mensch ist ein „Herdentier“. Instinktiv sucht er die Geborgenheit der Masse und hält für normal, was die große Mehrheit tut. Gegen den Strom zu schwimmen, kostet Kraft; bequeme Traditionen zu hinterfragen und seine eigenen Überzeugungen zu finden, verlangt Mühe und Zielstrebigkeit. Auch im geistlichen Leben ist die Versuchung groß, den Glauben der Vielen zum Maßstab zu machen und das als normal zu akzeptieren, was allgemein gedacht und gelebt wird. Wenn es fast jeder tut, „kann es so schlimm nicht sein“ und „wird es schon stimmen“. Aber diese Vorgehensweise orientiert sich an Menschen und nicht an Gott. Sie war schon immer ein gefährlicher Weg, vor dem die Bibel mit deutlichen Worten warnt:

2Mo 23,2 Du sollst der Menge nicht folgen zum Bösen.

Jer 17,5 So spricht der HERR: Verflucht ist der Mann, der auf Menschen vertraut und Fleisch zu seinem Arm macht und dessen Herz vom HERRN weicht!

Adventisten verstehen sich zu Recht als „Gemeinde der Übrigen“, doch sollten wir uns bewusst machen, dass diese Identität das Eingeständnis beinhaltet, dass in aller Regel die Mehrheit sich nicht auf dem richtigen Weg befindet, weswegen am Ende nur eine Minderheit („die Übrigen“) gerettet werden wird – sowohl auf die gesamte Menschheit bezogen als auch auf diejenigen, die sich zu Gottes Volk zählen:

Jes 10,22 Denn wenn auch dein Volk, Israel, wie der Sand des Meeres wäre: nur ein Überrest davon wird umkehren.

Die Milleriten haben vor 1844 die „Geborgenheit“ und Traditionen ihrer Kirchen nicht aufgegeben, um eine neue Kirche zu gründen, in der sie ebenso in „Geborgenheit“ und Traditionen leben konnten wie ihre ehemaligen Glaubensgeschwister. Sie wollten keineswegs in die alten Fehler zurückfallen, denn sie hatten gelernt, dass nur in den kostbaren Wahrheiten des Wortes Gottes Sicherheit zu finden ist. Jeder persönlich hatte für diese Lektion einen hohen Preis bezahlt. Doch damit hatten sie nur im Kleinen erlebt, was Christus unvergleichlich tiefer durchmachen musste: ein Leben der einsamen Entscheidungen, getränkt in das Unverständnis und die Vorwürfe seines sozialen Umfeldes.

Jes 53,3 Er war verachtet und von den Menschen verlassen, ein Mann der Schmerzen und mit Leiden vertraut, wie einer, vor dem man das Gesicht verbirgt. Er war verachtet, und wir haben ihn nicht geachtet.

Wir sind die Gemeinde Laodizea. Gottes Wort diagnostiziert uns als lau, arm, blind, elend, nackt und ausgesprochen bußbedürftig. In einem solchen Umfeld sich an der Mehrheit zu orientieren, ist ein Rezept für die Katastrophe. Doch wie oft höre ich in Diskussionen über Rechtfertigung genau solche Argumente! „Mir ist noch nie ein vollkommener Mensch begegnet.“ – „Ich habe schon viele Gläubige sterben gesehen, und die waren alle nicht vollkommen.“ – „Bruder X und Schwester Y sind so feine Christen, und die handeln / denken auch nicht anders.“ – „Wir werden bis ans Ende sündigen, das ist einfach unsere menschliche Natur.“

In den Augen dieser Geschwister ist in unseren Gemeinden im Großen und Ganzen alles in Ordnung. „Christen sind nicht besser, sie sind nur besser dran.“ Das stimmt im Sinne des Verdienstes, aber wenn Christen kein besseres Leben an den Tag legen würden als der Weltmensch, wie sollten sie dann das „Licht der Welt“ sein und ihre „guten Werke vor den Menschen leuchten“ (Mt 5,14-16)? „Wir bleiben Sünder.“ Ja, wenn damit unsere sündige Natur gemeint ist; nein, wenn unser praktisches Leben gemeint ist. Hier dünkt mich, dass wir die elementare Lehre der Bibel vergessen oder auch verdrängt haben, dass ein Leben der Nachfolge ein Leben der radikalen Abkehr von der Sünde ist. Um nur einige Texte zu nennen:

Spr 28,13 Wer seine Verbrechen zudeckt, wird keinen Erfolg haben; wer sie aber bekennt und lässt, wird Erbarmen finden.

Joh 5,14 Danach findet Jesus ihn [den Gelähmten von Bethesda] im Tempel, und er sprach zu ihm: Siehe, du bist gesund geworden. Sündige nicht mehr, damit dir nichts Ärgeres widerfahre!

Joh 8,10 Jesus aber richtete sich auf und sprach zu ihr [der Ehebrecherin]: Frau, wo sind sie? Hat niemand dich verurteilt?

11 Sie aber sprach: Niemand, Herr. Jesus aber sprach zu ihr: Auch ich verurteile dich nicht. Geh hin und sündige von jetzt an nicht mehr!

Röm 6,1 Was sollen wir nun sagen? Sollten wir in der Sünde verharren, damit die Gnade zunehme?

2 Das sei ferne! Wir, die wir der Sünde gestorben sind, wie werden wir noch in ihr leben? …

17 Gott sei Dank, dass ihr Sklaven der Sünde wart, aber von Herzen gehorsam geworden seid dem Bild der Lehre, dem ihr übergeben worden seid!

Gal 5,16 Wandelt im Geist, und ihr werdet die Begierde des Fleisches nicht erfüllen.

1Pe 4,1 Da nun Christus im Fleisch gelitten hat, so wappnet auch ihr euch mit derselben Gesinnung – denn wer im Fleisch gelitten hat, hat mit der Sünde abgeschlossen

2 um die im Fleisch noch übrige Zeit nicht mehr den Begierden der Menschen, sondern dem Willen Gottes zu leben.

1Joh 2,1 Meine Kinder, ich schreibe euch dies, damit ihr nicht sündigt; und wenn jemand sündigt – wir haben einen Beistand bei dem Vater: Jesus Christus, den Gerechten.

1Joh 3,5 Und ihr wisst, dass er geoffenbart worden ist, damit er die Sünden wegnehme; und Sünde ist nicht in ihm.

6 Jeder, der in ihm bleibt, sündigt nicht; jeder, der sündigt, hat ihn nicht gesehen noch ihn erkannt …

9 Jeder, der aus Gott geboren ist, tut nicht Sünde, denn sein Same bleibt in ihm; und er kann nicht sündigen, weil er aus Gott geboren ist.

Jak 2,10 Denn wer das ganze Gesetz hält, aber in einem strauchelt, ist aller Gebote schuldig geworden.

Die biblische Botschaft, wenn wir sie unvoreingenommen lesen, ist eindeutig: Der „Normalfall“ eines Lebens in Christus ist der Sieg über sündige Neigungen und das Wachstum in der Heiligung, und für alle „Ausnahmefälle“ des Versagens oder Zurückfallens in die alte Natur hat Gott uns in Jesus einen mitfühlenden Fürsprecher an die Seite gestellt, durch den wir Vergebung erlangen und der uns wieder aufhilft.

Ja, es stimmt, dass wohl die allermeisten von uns die Norm nur als Ausnahme erleben. Aber wenn wir das erkennen, sollten wir Jesu Rat folgen, nämlich Buße tun und um Seinen Glauben und Seine Gerechtigkeit (= ein neues Herz) bitten! Was wir nicht tun sollten, ist, die Lage dadurch zu verschlimmern, dass wir unsere Situation schönreden und sogar Gottes Wort so „auslegen“, dass die Ausnahme zur Norm wird, weil selbst der große Apostel Paulus angeblich ständig die Erfahrung machte, dass seine guten Vorsätze nicht ausführbar waren, weil er dem inneren Drang zum Bösen partout nicht widerstehen konnte. Und der große „Trost“ ist dann, dass Gott unsere vielen Sünden ja nicht ansieht, weil wir „in Christus“ bereits vollkommen sind … als würde Gottes Gnade darin bestehen, vor der Sünde einfach die Augen zu verschließen, statt ihre Macht zu brechen und sie auszurotten!

Ich fürchte, dass die Botschaft des Propheten Maleachi zu weiten Teilen unsere heutige Gemeinde beschreibt:

Mal 2,17 Ihr ermüdet den HERRN mit euren Worten. Doch ihr sagt: Womit ermüden wir ihn? – Damit dass ihr sagt: Jeder, der Böses tut, ist gut in den Augen des HERRN, und an solchen hat er Gefallen; oder: Wo ist der Gott des Gerichts?

Das ist genau die heutige evangelische Rechtfertigungstheologie: Trotz deiner bösen Taten bist du „gut in den Augen des HERRN“, weil dir Christi Vollkommenheit zugerechnet wird. Gott hat „Gefallen“ an dir, egal, wie viele Charaktermängel du hast. Weil du an Jesus glaubst, ist eine Verurteilung ausgeschlossen, und du kannst zu Recht sagen: „Wo ist der Gott des Gerichts?“ Diese Theologie „ermüdet“ Gott, weil sie Seine Gnade missversteht oder sogar missbraucht. Dies ist nicht der Glaube, der uns befähigt, dem wiederkommenden Herrn zu begegnen, und deshalb fährt der nächste Vers fort:

Mal 3,1 Siehe, ich sende meinen Boten, damit er den Weg vor mir her bereite.

Die „Wegbereitung“ besteht in Christi Versöhnungsdienst im Allerheiligsten, im „Reinigen der Söhne Levi“ und in ihrem „Läutern wie Gold und wie Silber“ (siehe Thesen 3 und 30). Und es ist wahrscheinlich kein Zufall, dass Christus das Bild des Läuterns im Brief an Laodizea wiederholt:

Off 3,18 Ich rate dir, von mir im Feuer geläutertes Gold zu kaufen, damit du reich wirst …

Noch ein wichtiger Hinweis zu dieser These: Die Formulierung „sie erklären Jesus zum Stellvertreter statt zum Vorbild“ soll nicht heißen, dass Jesus nicht unser Stellvertreter ist. Das ist Er selbstverständlich. Ich habe das überspitzt und dadurch missverständlich ausgedrückt. Die Formulierung richtet sich gegen die Einstellung, dass Jesus allein unser Stellvertreter sei, aber nicht unser Vorbild, da wir nicht annähernd so rein leben könnten wie Er und es auch nicht müssten, da uns Sein Gehorsam zugerechnet werde (= evangelische Rechtfertigungslehre).

Ich möchte die in der These angesprochenen Punkte so zusammenfassen:

  • Christus ist sowohl unser Stellvertreter als auch unser Vorbild – Stellvertreter, wo wir keinen Gehorsam mehr erbringen können (das betrifft die von uns begangenen Sünden) und Vorbild, wo Er uns wieder zum Gehorsam befähigt (das betrifft unser Leben in der Nachfolge). Er ist aber dort nicht unser Stellvertreter, wo wir selbst nach der Bekehrung Seinem Vorbild nicht folgen, obwohl es uns in der Kraft des Heiligen Geistes möglich wäre. (Ergänzung: Selbst unser Gehorsam wird erst durch Seine Verdienste annehmbar.)
  • Der „elende Mensch“ in Römer 7 ist – Gott sei Dank! – nicht der Normalfall (dazu unbedingt Römer 6 und 8 studieren), sondern stellt einen (noch) unbekehrten Menschen auf dem Weg zu Christus dar, der zu der niederschmetternden Erkenntnis gelangt ist, dass er trotz bester Absichten und Anstrengungen seinen sündigen Neigungen nicht widerstehen kann und unbedingt Hilfe von außen braucht (einen Erlöser). Seine frustrierende Erfahrung fühlt sich aber auch für viele Christen so vertraut an, weil ihre Lauheit sie in einen Zustand zurückgeworfen hat, wo sie nicht (mehr) vom Heiligen Geist beherrscht werden, der allein uns durch die Gnade Jesu über alle menschlichen Schwächen erheben und den Sieg schenken kann.
  • Das Gericht im Himmel ist gute Nachricht für alle, die Jesu Ruf zu „eifriger Buße“ (= einer neuen Bekehrung) folgen, aber schlechte Nachricht für alle, die in ihrem „geistlosen“ Zustand verharren, da Jesus sie am Ende „ausspucken“ wird.

Die gute und erstaunliche Nachricht ist, dass Gott Laodizea noch immer als „Seine Gemeinde“ anerkennt. Auch 175 Jahre nach 1844 wirbt Er noch immer um uns, weil Er sich danach sehnt, uns geistlich wieder „in Brand zu stecken“. Nutzen wir doch heute diese Gnadenfrist, die schon so unglaublich lange währt, um uns die wahre Gnade anzueignen!

Tit 2,11 Denn die Gnade Gottes ist erschienen, heilbringend allen Menschen,

12 und unterweist uns, damit wir die Gottlosigkeit und die weltlichen Begierden verleugnen und besonnen und gerecht und gottesfürchtig leben in dem jetzigen Zeitlauf.

13 indem wir die glückselige Hoffnung und Erscheinung der Herrlichkeit unseres großen Gottes und Heilandes Jesus Christus erwarten.

14 Der hat sich selbst für uns gegeben, damit er uns loskaufte von aller Gesetzlosigkeit und sich selbst ein Eigentumsvolk reinigte [die „Söhne Levi“!], das eifrig sei in guten Werken.