62. Unzählige Adventisten haben Angst vor dem Gericht und glauben deshalb bereitwillig der Behauptung, im Untersuchungsgericht ständen nicht ihre Werke auf dem Prüfstand, sondern allein die ihres Stellvertreters Jesus Christus, obwohl die Schrift dem deutlich widerspricht.

Die Bibel lehrt, dass jeder Mensch – Gläubige wie Ungläubige – nach seinen Werken gerichtet werden wird:

Pred 12,14 Gott wird jedes Werk, es sei gut oder böse, in ein Gericht über alles Verborgene bringen.

1Pe 1,17 [Gott] richtet ohne Ansehen der Person nach eines jeden Werk

Mt 12,36 Ich sage euch aber, dass die Menschen von jedem unnützen Wort, das sie reden werden, Rechenschaft geben müssen am Tag des Gerichts;

37 denn aus deinen Worten wirst du gerechtfertigt werden, und aus deinen Worten wirst du verdammt werden.

Röm 2,12 Denn so viele ohne Gesetz gesündigt haben, werden auch ohne Gesetz verlorengehen; und so viele unter Gesetz gesündigt haben, werden durch Gesetz gerichtet werden

13 – es sind nämlich nicht die Hörer des Gesetzes gerecht vor Gott, sondern die Täter des Gesetzes werden gerechtfertigt werden.

2Kor 5,10 Wir müssen alle vor dem Richterstuhl Christi offenbar werden, damit jeder empfange, was er durch den Leib vollbracht, dementsprechend, was er getan hat, es sei Gutes oder Böses.

Angst vor dem letzten Gericht entsteht, wenn ich das Gefühl habe, mit einem Maßstab konfrontiert zu werden, dem ich unmöglich gerecht werden kann. Für dieses weit verbreitete Gefühl gibt es Gründe – teils im persönlichen Leben, teils in der Geschichte unserer Gemeinde. Wird das Gesetz hochgehalten (was richtig ist), aber nicht im selben Maß Christus als das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt wegnimmt, entstehen natürlich Angst und Beklemmung. Das Gesetz verurteilt uns ja zum Tode! Seine unbestechliche Gerechtigkeit kann uns keine Hoffnung auf irgendeinen Ausweg machen. Doch Jesus, unser Stellvertreter, Bürge und treuer Beistand, kann es! Er kann und wird uns zu mehr als Überwindern machen, weil dies keine Frage unserer Kraft und Tugend ist, sondern eine Frage Seiner Kraft und Tugend.

Eph 3,20 [Gott] vermag über alles hinaus zu tun, über die Maßen mehr, als wir erbitten oder erdenken, gemäß der Kraft, die in uns wirkt …

Röm 8,37 In diesem allen sind wir mehr als Überwinder durch den, der uns geliebt hat.

Röm 5,5 Die Hoffnung lässt nicht zuschanden werden, denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben worden ist.

Wenn wir Gottes Willigkeit verstehen, uns zu vergeben, Seine Macht, uns von jeder Gebundenheit freizumachen, Seine unbeschreibliche Liebe zum Sünder, die Ihn dazu brachte, Seinen einzigen Sohn für uns zu geben, als wir Ihm ganz feindlich gegenüberstanden, und wenn wir uns für diese Liebe öffnen – dann wird jede Angst weichen. Die Güte, Freundlichkeit und tiefe Zärtlichkeit, die uns im Leben und im Angesicht Christi begegnen, können nicht anders, als die Wogen der Furcht auf unserem Seelenmeer zur Ruhe zu bringen, weil hier kein zorniger Tyrann vor uns steht, sondern ein liebender Vater, der sich nach Seinen verlorenen Kindern sehnt.

1Joh 4,18 Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus.

Gleichzeitig ist Gottes Liebe kein Ersatz oder Konkurrent für Sein Gesetz. Seine Gerechtigkeit bleibt ohne Einschränkung bestehen, denn sie ist ja in jeder Hinsicht „heilig, gerecht und gut“ (Röm 7,12), ein Ausdruck göttlicher Vollkommenheit. Die Liebe kann die Furcht daher nicht auf einem Weg austreiben, der das Gericht umgeht, weil ausnahmslos jeder Mensch einmal vor Gottes Richterstuhl treten muss. Stattdessen hat die Liebe einen Weg gefunden, unseren Prozess mit einem vollständigen Freispruch enden zu lassen, ohne Gottes Gerechtigkeit zu kompromittieren. Es ist die perfekte Lösung, und selbst der große Chefankläger alias Satan kann bei diesem Vorgehen nicht den kleinsten Kritikpunkt finden.

Gottes Lösung lässt sich so beschreiben: Der Mensch muss einwilligen, eine neue Identität anzunehmen und eine neue Existenz zu beginnen. Die neue Identität entsteht, wenn er bereit ist, seine Autonomie (wörtl. „Eigengesetzlichkeit“) aufzugeben und eine dauerhafte Symbiose mit Gott einzugehen. Göttliches und Menschliches verschmelzen nun zu einer neuen „Lebensform“, die so radikal anders ist, als wäre gerade ein völlig neuer Mensch auf die Welt gekommen. Der alte Mensch muss für seine vielen Sünden „sterben“, und er tut das, indem er sich im Glauben mit dem sterbenden Erlöser am Kreuz vereint und mit Ihm gemeinsam das Leben aushaucht. Doch auf den vereinten Tod folgt die vereinte Auferstehung: Der neue Mensch erhält Anteil an einer Macht, die die Ketten des Todes sprengt. Die Sünde zwang ihn ins Grab – so forderte es das vollkommene Gesetz –, doch die unverdiente Gnade göttlichen Lebens ruft ihn wieder aus dem Grab hervor und schenkt ihm ein neues Leben jenseits des verdienten Todes, einen neuen Anfang, ein neues Sein.

Die „neue Kreatur“, die so entstanden ist, ist göttlichen Ursprungs. Sie ist rein, heilig und vollkommen und „kann nicht sündigen“ (1Joh 3,9; Sünde ist immer eine „Auferstehung“ des alten Menschen oder Folge davon, dass der alte Mensch nie ganz gestorben ist). Sie besitzt vollkommene Gerechtigkeit – es ist die Gerechtigkeit Jesu, die zum Vorschein kommt, weil Er in dem neuen Menschen lebt und ihn füllt und bewegt und nährt. In dieser Gemeinschaft wächst und erstarkt der neue Mensch immer weiter. Er gewinnt mehr und mehr Profil, Charakter. Sein Denken, Wollen und Handeln verfestigen sich, je mehr er Saft und Kraft aus der Lebenseinheit mit Christus zieht – als würde eine Rebe am Weinstock hängen. Und der Tag kommt, an dem Gottes Plan erfüllt und die Trauben zur Reife gelangt sind. Es ist die Zeit der Ernte und die Zeit der letzten „Zurechtbringung“ (= des „Richtens“). Zwar ist es Aufgabe der Rebe (des Menschen), durch die ihr verliehene Gnade die Lebensverbindung mit dem Weinstock zu suchen und zu erhalten, doch darüber hinaus liegt es allein in der Verantwortung des Weinstocks (Jesus) und des Weingärtners (Gott), die Frucht (Gerechtigkeit) in der Rebe hervor- und zur Reife zu bringen (zu vervollkommnen).

COL 312 Wenn wir uns Christus ausliefern, wird das Herz mit seinem Herzen vereint, der Wille geht in seinem Willen auf, die Gesinnung wird eins mit seiner Gesinnung, die Gedanken werden gefangen genommen unter ihn – wir leben sein Leben. Das bedeutet es, mit dem Kleid seiner Gerechtigkeit bekleidet zu sein. Wenn der Herr uns dann anschaut, sieht er keinen Schurz aus Feigenblättern, nicht die Nacktheit und Entstelltheit der Sünde, sondern sein eigenes Gewand der Gerechtigkeit, nämlich vollkommenen Gehorsam gegenüber dem Gesetz Jehovas.

Das Gericht kann an dieser neuen Kreatur nichts finden, was zu beanstanden wäre, selbst nicht vor dem Maßstab der vollkommenen Gerechtigkeit der Zehn Gebote, des Gesetzes von Liebe und Freiheit. Alles, was diesen Menschen ausmacht, hat er von Christus erhalten, wurde von Christus geprägt, ist eine Kopie Seiner Eigenschaften. Alles, was an diesem Menschen zu sehen ist, ist eine Reflektion göttlicher Schönheit, makellos und herrlich. Für seine Sünden hat Christus bereits bezahlt, und durch die existenzielle Einheit mit Jesus gilt der Mensch als mitgestorben und wegen seiner Sünden nicht mehr anklagbar. Das, was war, ist beglichen; das, was ist, ist rein und untadelig. Kein Mensch, kein Engel, ja nicht einmal der Erzrebell kann dem widersprechen, was für alle offen vor Augen liegt: „Gerechtigkeit und Frieden haben sich geküsst.“ (Ps 85,11) Nur ein Urteil ist möglich – Freispruch in allen Anklagepunkten.

Röm 8,29 Die er vorher erkannt hat, die hat er auch vorherbestimmt, dem Bilde seines Sohnes gleichförmig zu sein, damit er der Erstgeborene sei unter vielen Brüdern.

30 Die er aber vorherbestimmt hat, diese hat er auch berufen; und die er berufen hat, diese hat er auch gerechtfertigt; die er aber gerechtfertigt hat, diese hat er auch verherrlicht.

31 Was sollen wir nun hierzu sagen? Wenn Gott für uns ist, wer gegen uns?

32 Er, der doch seinen eigenen Sohn nicht verschont, sondern ihn für uns alle hingegeben hat: wie wird er uns mit ihm nicht auch alles schenken?

33 Wer wird gegen Gottes Auserwählte Anklage erheben? Gott ist es, der rechtfertigt.

34 Wer ist, der verdamme? Christus Jesus ist es, der gestorben, ja noch mehr, der auferweckt, der auch zur Rechten Gottes ist, der sich auch für uns verwendet.

Schon vor aller Ewigkeit hat Gott uns dazu bestimmt, das „Bild seines Sohnes“ widerzustrahlen. Vor aller Ewigkeit hat er beschlossen, uns Jesu vollkommene Gerechtigkeit aufs Herz zu schreiben. Heute – kurz vor der Wiederkunft – ist wie nie zuvor die Zeit dafür, dass der Heilige Geist genau dies an Gottes Volk tut. Alles, was wir brauchen, ist Vertrauen in diesen ewigen Plan Gottes und die Einladung an Jesus, durch Seinen Geist in uns wohnen und wirken zu dürfen. Mit dem Geist wird Gottes Liebe in das Herz ausgeschüttet, und diese Liebe, wenn wir sie ausleben, ist gleichbedeutend mit der vollkommenen Erfüllung aller Gebote. Daher dürfen wir dem Gericht, statt mit Angst, mit der Freimütigkeit von Begnadigten und als geistliche Brüder und Schwestern Jesu entgegensehen.

1Joh 4,17 Hierin ist die Liebe bei uns vollendet worden, dass wir Freimütigkeit haben am Tag des Gerichts, denn wie er ist, sind auch wir in dieser Welt.

59. Der Gläubige ist im Untersuchungsgericht „heilig und tadellos und unverklagbar“ (Kol 1,22), weil Christi Blut seine vergangenen Sünden vollständig bedeckt und seinen gegenwärtigen Charakter vollständig gereinigt hat, sodass er in Ewigkeit ohne Sünde bleiben wird.

Diese These soll deutlich machen, dass der Erlösungsplan das Problem Sünde in allen zeitlichen Dimensionen vollständig löst: in Vergangenheit, in der Gegenwart und für alle Zukunft.

  • Vergangene Sünden sind nicht mehr zu ändern, daher ist die einzige Möglichkeit ihrer Tilgung, die entstandene Schuld zu begleichen und dem Sünder Vergebung zuzusprechen. Das tat Jesus durch sein Opfer am Kreuz und tut Er bis heute durch Seinen himmlischen Mittlerdienst.
  • Die Gegenwart der Sünde äußert sich in den Versuchungen, denen wir begegnen. Hier wird die Sünde „getilgt“, indem sie verhindert wird, weil wir in der Versuchung treu bleiben. Das geschieht ebenfalls durch Jesu Priesterdienst, indem wir bei Ihm „Gnade finden zur rechtzeitigen Hilfe“ (Heb 4,16), die Er uns zukommen lassen kann, weil Er selbst lebenslangen Widerstand gegen die Sünde praktiziert und vollkommenen Gehorsam gelernt hat (Heb 5,7-10).
  • Eine Zukunft ohne Sünde ist dann gewährleistet, wenn die Haltung entschlossenen Widerstands gegen Versuchungen (= die Gnade, die wir am Gnadenthron erhalten; Heb 4,16) so „in Fleisch und Blut übergegangen“ ist, dass sie unumkehrbar geworden ist. Der Heilige Geist hat damit den Charakter Christi „auf die Tafeln des Herzens“ geschrieben (2Kor 3,3), die innere Reinigung ist „vollendet“ (7,1), der Charakter „vervollkommnet“ (13,9). Liebe beherrscht jeden Gedanken, jedes Wort, jede Handlung. So lebt der Mensch vollkommenen Gehorsam und beweist vollkommene Gerechtigkeit. Gott wird geehrt und verherrlicht durch dieses nun ewig bestehende Wunder erlösender Liebe, das für alle Bewohner des Universums sichtbar und offenkundig geworden ist.

Alle drei Schritte oder Aspekte der Erlösung werden verwirklicht durch Jesu Mittlerdienst auf Grundlage der Verdienste Seines völligen Gehorsams und Seines makellosen Sühneopfers. Johannes schreibt über die Menge der Erlösten vor Gottes Thron:

Off 7,13 Und einer von den Ältesten begann und sprach zu mir: Diese, die mit weißen Gewändern bekleidet sind – wer sind sie, und woher sind sie gekommen?

14 Und ich sprach zu ihm: Mein Herr, du weißt es. Und er sprach zu mir: Diese sind es, die aus der großen Bedrängnis kommen, und sie haben ihre Gewänder gewaschen und sie weiß gemacht im Blut des Lammes.

„Im Blut waschen“ ist ein Bild dafür, Jesu Priesterdienst im Heiligtum in Anspruch zu nehmen. Dieser Dienst entfaltet eine unvergleichliche Kraft und Macht im Leben dessen, der sich im Glauben dafür öffnet. Und diese göttliche Kraft ist auch notwendig, um das Herz von jedem Makel zu befreien! Sie ist kein „Extra“ für die besonders Frommen, sondern ein „Muss“ für jeden, dessen Hoffnung die Ewigkeit ist. Beachten wir folgende Erklärung über Gottes Absicht mit dem Erlösungsplan:

BE, 15.1.1892 Es ist Gottes Absicht, dass jeder von uns in [Christus] vollkommen ist, sodass wir der Welt die Vollkommenheit seines Charakters darstellen können. Er will, dass wir von der Sünde befreit werden, damit wir den Himmel nicht enttäuschen, damit wir unseren göttlichen Erlöser nicht betrüben. Er möchte nicht, dass wir uns zum Christentum bekennen, ohne uns die Gnade anzueignen, die uns zu vervollkommnen vermag, sodass kein Mangel an uns zu finden ist, sondern wir tadellos in Liebe und Heiligkeit vor ihm stehen.

Jemand mag sagen: „Diesem Anspruch kann ich unmöglich gerecht werden.“ Aber genau das musst du, sonst wirst du den Himmel niemals betreten … Hier [in diesem Leben] müssen wir [Christus] anschauen und in sein Bild verwandelt werden.

Dass sittliche Vollkommenheit ein Muss für jeden zukünftigen Himmelsbewohner ist, macht absolut Sinn, denn die Sünde muss restlos aus dem Weltall entfernt werden. Logisch ist das nicht schwer zu begreifen, und zahlreiche Bibelstellen bringen genau das zum Ausdruck, wie eben auch der in der These angeführte Kolossertext. Doch obwohl wir uns tief im Inneren nach jener Vollkommenheit sehnen, will unser Herz an dieser Stelle schnell verzagen, weil wir uns so äußerst schwach wissen und uns kaum vorstellen können, jemals ohne Sünde zu leben. Wer kennt diese Momente nicht?

Genau dann ist die Zeit, in all unserer Schwachheit, Entmutigung und Kleingläubigkeit zu unserem Heiland zu kommen, Ihm das ganze Herz auszuschütten und alles zu bekennen, was es zu bekennen gibt, um dann auch – freimütig und zuversichtlich! – alles zu erbitten, was wir brauchen und Er uns ja liebend gerne geben möchte: mehr Glauben, mehr Liebe, mehr Hoffnung, die Fülle des Geistes, die Gesinnung Christi, Hingabe und Entschlossenheit, Kraft und Geduld, Freude und Frieden.

Vergessen wir nicht, dass der Widersacher uns in genau diese Gefühle und Stimmungen hineinstoßen möchte, sobald wir dabei sind, zum wahren Kern des Evangeliums vorzudringen, nämlich völlige Vergebung und völlige Wiederherstellung zu beanspruchen, ewige Vollkommenheit durch Christus zu ergreifen. Er will uns den Glauben rauben und in Entmutigung und Verzweiflung stürzen – oder in der gefälligen Täuschung halten, dies sei unbiblischer, ja geradezu unmenschlicher Fanatismus und eine gefährliche Irrlehre. Allen diesen Einflüsterungen sollen wir auf dieselbe Weise begegnen:

1Pe 5,9 Dem widersteht standhaft durch den Glauben, da ihr wisst, dass dieselben Leiden sich an eurer Bruderschaft in der Welt vollziehen!

Im Großen Kampf lernen wir über Satans Strategie und Jesu Gegenstrategie:

VSL 443 Durch Schwächen im menschlichen Charakter verschafft sich Satan die Kontrolle über das ganze Denken, und er weiß, wenn solche Schwächen gehegt werden, dass er Erfolg haben wird. Deshalb gaukelt er den Nachfolgern Christi durch üble List ständig vor, Überwindung sei unmöglich. Aber Jesus bittet mit seinen verwundeten Händen und seinem zerschlagenen Leib und sagt allen, die ihm nachfolgen wollen: „Lass dir an meiner Gnade genügen.“ (2Kor 12,9) … Niemand soll glauben, dass seine Fehler unheilbar seien. Gott schenkt Glauben und Gnade, sie zu überwinden.

Wir leben nun in der Zeit des großen Versöhnungstags … Jeder muss geprüft und ohne Flecken, Runzel oder Ähnliches befunden werden.

Das Ziel der Gnade Jesu ist demnach, alle Charakterschwächen zu überwinden, sodass wir, wenn die Prüfung im Untersuchungsgericht kommt, „ohne Flecken“ (= sittlich vollkommen) vor Gott stehen. Doch beachten wir: Sowohl den Glauben an diese Verheißung als auch die Gnade, sie zu verwirklichen, schenkt Gott! Nichts davon bringen wir aus uns selbst hervor. Verschließen wir darum unsere Ohren vor den Einflüsterungen des Widersachers, und halten wir uns am Heiland und den Zusagen des Vaters fest!

Mt 19,26 Bei Menschen ist dies unmöglich, bei Gott aber sind alle Dinge möglich.

Heb 9,13 Wenn das Blut von Böcken und Stieren und die Asche einer jungen Kuh, auf die Unreinen gesprengt, zur Reinheit des Fleisches heiligt,

14 wie viel mehr wird das Blut des Christus, der sich selbst durch den ewigen Geist als Opfer ohne Fehler Gott dargebracht hat, euer Gewissen reinigen von toten Werken, damit ihr dem lebendigen Gott dient!

1Thess 5,23 Er selbst aber, der Gott des Friedens, heilige euch völlig; und vollständig möge euer Geist und Seele und Leib untadelig bewahrt werden bei der Ankunft unseres Herrn Jesus Christus!

24 Treu ist, der euch beruft; er wird es auch tun.

48. Weitere Anzeichen dieses Einflusses sind eine Schwerpunktverschiebung des Heilsgeschehens weg vom Heiligtum hin zu Golgatha, die Kehrtwende im Verständnis der menschlichen Natur Jesu von gefallen zu ungefallen sowie die Umdeklarierung des Untersuchungsgerichtes zum Vorwiederkunftsgericht.

Wer die geistliche Entwicklung der Adventgemeinde in den letzten 60 Jahren verstehen will, sollte unbedingt die Geschichte des Buches Questions on Doctrine studieren. Dieses Buch war ein ganz wesentlicher Faktor für die fatale Annäherung adventistischer Theologie an den gefallenen Protestantismus, mit den in dieser These beschriebenen (und weiteren) Symptomen.

Natürlich ist das große Opfer Jesu auf Golgatha die Grundlage von allem! Trotzdem sollen wir „im Glauben“ unserem Erlöser in seinem Dienst im Himmel „folgen“, wie Ellen White es ausdrückt und wie die nächsten Thesen noch klarer darstellen werden. Jede Zeit hat ihre „gegenwärtige Wahrheit“, die die vorigen Wahrheiten nicht abschwächt oder ablöst, sondern auf ihnen aufbaut und sie vertieft. In Heiligtumssprache: Christi Vermittlung im Heiligen (Heiligung) baut auf Golgatha (Vergebung) auf, und der große Versöhnungstag im Allerheiligsten (Vollendung) baut auf das Heilige (Heiligung) auf. Obwohl alle Elemente wichtig sind, sollte unser Hauptaugenmerk auf der Phase liegen, die für unsere Zeit gerade aktuell ist, sprich: das Allerheiligste und das Untersuchungsgericht (Vollendung / Vervollkommnung).

Warum erwähne ich die Umbenennung des Untersuchungsgerichtes zum „Vorwiederkunftsgericht“? Es ist nur ein Detail, fügt sich aber ins Gesamtbild ein: Der Begriff „Untersuchung“ kommt schnell etwas unangenehm und persönlich daher – er klingt nach Verantwortung, Rechenschaft und könnte ein schlechtes Gewissen oder Beklemmung hervorrufen. „Vorwiederkunft“ dagegen ist als reiner Zeitbegriff angenehm sachlich und mischt sich nicht in mein persönliches Leben ein. Er passt viel besser zu einem Verständnis von Gericht, wo nicht etwa mein Leben und Charakter „untersucht“ werden, sondern einfach festgestellt wird, dass mir durch den Glauben der vollkommene Gehorsam Christi zugerechnet wird (eine faktische, nichtsubjektive Feststellung), da ich aufgrund meiner gefallenen Natur sowieso nicht zu echtem Gehorsam fähig bin.

Womit sich außerdem die Frage geklärt hat, welche Natur Jesus als Mensch besaß: natürlich die ungefallene – sonst wäre er ja nicht sündlos gewesen (generell wird eingeräumt, dass er zumindest unsere körperlichen Schwächen teilte). Um ohne Sünde leben zu können, brauchte Jesus die ungefallene Natur Adams, und da wir nach der Bekehrung unsere gefallene Natur behalten, begehen wir auch bis zum Ende Sünden und können gar nicht anders. Weil Gott das wusste, sandte er Jesus, damit sein perfekter Gehorsam und seine tadellose Gerechtigkeit uns zugerechnet werden können. Damit ist das Problem gelöst, unser Heil gesichert, und wir bleiben von der unerträglichen Last verschont, so leben zu müssen, wie Jesus gelebt hat, und so zu überwinden, wie er überwunden hat. Die ganze Sache mit der Charaktervollkommenheit ist damit ebenfalls als Irrlehre entlarvt, und wir dürfen uns erleichtert auf das sanfte Ruhekissen ungestörter „Heilsgewissheit“ zurücklehnen …

Die ganze Sichtweise und ihre Elemente sind für sich betrachtet durchaus schlüssig – zumindest solange wir bestimmte Wahrheiten ausblenden, wie zum Beispiel:

Off 3,5 Wer überwindet, der wird mit weißen Kleidern bekleidet werden; und ich will seinen Namen nicht auslöschen aus dem Buch des Lebens …

Off 7,9 Nach diesem sah ich: und siehe, eine große Volksmenge, die niemand zählen konnte, aus jeder Nation und aus Stämmen und Völkern und Sprachen, stand vor dem Thron und vor dem Lamm, bekleidet mit weißen Gewändern und Palmen in ihren Händen …

14 … sie haben ihre Gewänder gewaschen und sie weiß gemacht im Blut des Lammes.

Röm 2,13 Es sind nicht die Hörer des Gesetzes gerecht vor Gott, sondern die Täter des Gesetzes werden gerechtfertigt werden.

Mt 12,36 Ich sage euch aber, dass die Menschen von jedem unnützen Wort, das sie reden werden, Rechenschaft geben müssen am Tag des Gerichts;

37 denn aus deinen Worten wirst du gerechtfertigt werden, und aus deinen Worten wirst du verdammt werden.

3T 370 Gott wägt unseren Charakter, unser Verhalten und unsere Beweggründe auf den Waagschalen des Heiligtums.

Deswegen können diese Thesen gar nicht anders als stören. Sie müssen es. Dennoch ist ihr eigentliches Ziel ein heilsames, froh machendes, erlösendes! Und ich hoffe, dies kommt trotz der nötigen Unverblümtheit auch zum Ausdruck.