48. Weitere Anzeichen dieses Einflusses sind eine Schwerpunktverschiebung des Heilsgeschehens weg vom Heiligtum hin zu Golgatha, die Kehrtwende im Verständnis der menschlichen Natur Jesu von gefallen zu ungefallen sowie die Umdeklarierung des Untersuchungsgerichtes zum Vorwiederkunftsgericht.

Wer die geistliche Entwicklung der Adventgemeinde in den letzten 60 Jahren verstehen will, sollte unbedingt die Geschichte des Buches Questions on Doctrine studieren. Dieses Buch war ein ganz wesentlicher Faktor für die fatale Annäherung adventistischer Theologie an den gefallenen Protestantismus, mit den in dieser These beschriebenen (und weiteren) Symptomen.

Natürlich ist das große Opfer Jesu auf Golgatha die Grundlage von allem! Trotzdem sollen wir „im Glauben“ unserem Erlöser in seinem Dienst im Himmel „folgen“, wie Ellen White es ausdrückt und wie die nächsten Thesen noch klarer darstellen werden. Jede Zeit hat ihre „gegenwärtige Wahrheit“, die die vorigen Wahrheiten nicht abschwächt oder ablöst, sondern auf ihnen aufbaut und sie vertieft. In Heiligtumssprache: Christi Vermittlung im Heiligen (Heiligung) baut auf Golgatha (Vergebung) auf, und der große Versöhnungstag im Allerheiligsten (Vollendung) baut auf das Heilige (Heiligung) auf. Obwohl alle Elemente wichtig sind, sollte unser Hauptaugenmerk auf der Phase liegen, die für unsere Zeit gerade aktuell ist, sprich: das Allerheiligste und das Untersuchungsgericht (Vollendung / Vervollkommnung).

Warum erwähne ich die Umbenennung des Untersuchungsgerichtes zum „Vorwiederkunftsgericht“? Es ist nur ein Detail, fügt sich aber ins Gesamtbild ein: Der Begriff „Untersuchung“ kommt schnell etwas unangenehm und persönlich daher – er klingt nach Verantwortung, Rechenschaft und könnte ein schlechtes Gewissen oder Beklemmung hervorrufen. „Vorwiederkunft“ dagegen ist als reiner Zeitbegriff angenehm sachlich und mischt sich nicht in mein persönliches Leben ein. Er passt viel besser zu einem Verständnis von Gericht, wo nicht etwa mein Leben und Charakter „untersucht“ werden, sondern einfach festgestellt wird, dass mir durch den Glauben der vollkommene Gehorsam Christi zugerechnet wird (eine faktische, nichtsubjektive Feststellung), da ich aufgrund meiner gefallenen Natur sowieso nicht zu echtem Gehorsam fähig bin.

Womit sich außerdem die Frage geklärt hat, welche Natur Jesus als Mensch besaß: natürlich die ungefallene – sonst wäre er ja nicht sündlos gewesen (generell wird eingeräumt, dass er zumindest unsere körperlichen Schwächen teilte). Um ohne Sünde leben zu können, brauchte Jesus die ungefallene Natur Adams, und da wir nach der Bekehrung unsere gefallene Natur behalten, begehen wir auch bis zum Ende Sünden und können gar nicht anders. Weil Gott das wusste, sandte er Jesus, damit sein perfekter Gehorsam und seine tadellose Gerechtigkeit uns zugerechnet werden können. Damit ist das Problem gelöst, unser Heil gesichert, und wir bleiben von der unerträglichen Last verschont, so leben zu müssen, wie Jesus gelebt hat, und so zu überwinden, wie er überwunden hat. Die ganze Sache mit der Charaktervollkommenheit ist damit ebenfalls als Irrlehre entlarvt, und wir dürfen uns erleichtert auf das sanfte Ruhekissen ungestörter „Heilsgewissheit“ zurücklehnen …

Die ganze Sichtweise und ihre Elemente sind für sich betrachtet durchaus schlüssig – zumindest solange wir bestimmte Wahrheiten ausblenden, wie zum Beispiel:

Off 3,5 Wer überwindet, der wird mit weißen Kleidern bekleidet werden; und ich will seinen Namen nicht auslöschen aus dem Buch des Lebens …

Off 7,9 Nach diesem sah ich: und siehe, eine große Volksmenge, die niemand zählen konnte, aus jeder Nation und aus Stämmen und Völkern und Sprachen, stand vor dem Thron und vor dem Lamm, bekleidet mit weißen Gewändern und Palmen in ihren Händen …

14 … sie haben ihre Gewänder gewaschen und sie weiß gemacht im Blut des Lammes.

Röm 2,13 Es sind nicht die Hörer des Gesetzes gerecht vor Gott, sondern die Täter des Gesetzes werden gerechtfertigt werden.

Mt 12,36 Ich sage euch aber, dass die Menschen von jedem unnützen Wort, das sie reden werden, Rechenschaft geben müssen am Tag des Gerichts;

37 denn aus deinen Worten wirst du gerechtfertigt werden, und aus deinen Worten wirst du verdammt werden.

3T 370 Gott wägt unseren Charakter, unser Verhalten und unsere Beweggründe auf den Waagschalen des Heiligtums.

Deswegen können diese Thesen gar nicht anders als stören. Sie müssen es. Dennoch ist ihr eigentliches Ziel ein heilsames, froh machendes, erlösendes! Und ich hoffe, dies kommt trotz der nötigen Unverblümtheit auch zum Ausdruck.