75. Wer sagt, die Lehre von der Charaktervollkommenheit würde die Heilsgewissheit rauben, predigt eine menschlich erdachte Heilsgewissheit.

Wenn die Bibel lehrt, dass das Blut Jesu (Seine Fürsprache aufgrund Seines Opfers) den Gläubigen zu sittlicher Vollkommenheit führt, wie wir im Hebräerbrief gelesen haben, dann ist jede Art „Heilsgewissheit“, die auf weniger baut, ohne biblische Grundlage und menschlich erdacht. Sie mag für den Moment ein Bedürfnis nach Sicherheit und Geborgenheit stillen, doch weil sie nicht Gottes Sinn entspringt, stellt sie eine Täuschung dar.

Der Punkt ist, dass „Vollkommenheit“ das Gleiche ist wie „Heil“. Adams und Evas freiwillige „Unvollkommenheit“ am Baum der Erkenntnis hat das „Unheil“ in unsere Welt gebracht. Christus wurde unser „Heiland“, um die Schöpfung wieder „heil“ zu machen und die ursprüngliche „Vollkommenheit“ wiederherzustellen. Wie können wir von der Gewissheit unseres „Heils“ sprechen und gleichzeitig „Unheil“ in unseren Herzen tolerieren und entschuldigen? Der Grund ist, dass sich eine trügerische Erlösungslehre in unseren Gemeinden ausgebreitet hat. Wir hoffen, dass Gott am Ende den „Zauberstab“ herausholt und mit einer magischen Berührung all die Sünden aus unserem Wesen entfernt, die uns ständig überwunden haben, statt dass wir sie überwinden. Diese Hoffnung wird sich nie erfüllen.

Wachen wir lieber jetzt auf, solange Christus noch anklopft und die unendlich kostbaren Güter Augensalbe, Gold und weiße Kleider (= Charaktervollkommenheit) anbietet. Dieses Leben ist die Zeit, in der ein Charakter für die Ewigkeit geformt wird. Es ist für Gott nicht schwer, das in uns zu wirken, aber Er braucht unser Vertrauen und unsere Zustimmung.

AH 16 Du wirst mit demselben Wesen aus dem Grab auferstehen, das du zu Hause und in der Gesellschaft offenbart hast. Jesus verändert den Charakter bei seiner Wiederkunft nicht. Das Werk der Umwandlung muss jetzt getan werden.

1Kor 1,7 Daher habt ihr an keiner Gnadengabe Mangel, während ihr das Offenbarwerden unseres Herrn Jesus Christus erwartet,

8 der euch auch festigen wird bis ans Ende, sodass ihr untadelig seid an dem Tag unseres Herrn Jesus Christus.

Es ist überhaupt keine Frage, dass Jesus dieses hohe und wunderbare Ziel mit jedem erreichen wird, der Ihm vertraut. Eines muss uns allerdings bewusst sein, wenn wir uns für diesen Weg entscheiden: Es wird nicht ohne teils auch harte innere Kämpfe gehen.

COL 331 Christus hat uns nicht zugesagt, dass es leicht sei, einen vollkommenen Charakter zu erreichen. Ein nobler, vollständiger Charakter wird nicht geerbt. Wir bekommen ihn nicht zufällig. Ein edler Charakter ist der Lohn persönlicher Bemühungen durch die Verdienste und die Gnade Christi. Gott gibt die Talente, die Geisteskräfte; wir formen den Charakter – durch harte, unnachgiebige Kämpfe mit dem Ich. Ein Streit nach dem anderen muss gegen ererbte Neigungen geführt werden.

Seien wir nicht überrascht, wenn Stürme der Versuchung und Entmutigung über uns hereinbrechen! Doch in allem wird Christus in größter Fürsorge als der gute Hirte über Seinen angefochtenen Schäfchen wachen und ihnen zur rechten Zeit genau das geben, was sie brauchen.

Ps 23,4 Auch wenn ich wandere im Tal des Todesschattens, fürchte ich kein Unheil, denn du bist bei mir; dein Stecken und dein Stab, sie trösten mich.

Jes 43,1 Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst! Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein.

2 Wenn du durchs Wasser gehst, ich bin bei dir, und durch Ströme, sie werden dich nicht überfluten. Wenn du durchs Feuer gehst, wirst du nicht versengt werden, und die Flamme wird dich nicht verbrennen.

74. Der Einzug der Adventgemeinde ins himmlische Kanaan wird bis heute verhindert, weil die Gemeinden eher auf die Vielen hören, die unermüdlich gegen Charaktervollkommenheit predigen, und die Wenigen, die auf Gottes erlösende Macht hinweisen, als Extremisten bekämpfen.

1883 schrieb Ellen White:

Ev 696 Vierzig Jahre lang schlossen Unglaube, Murren und Auflehnung das alte Israel vom Land Kanaan aus. Dieselben Sünden haben den Eintritt des heutigen Israel in das himmlische Kanaan verzögert.

Als Gott fünf Jahre darauf Jones und Waggoner als Seine Boten beauftragte, der versammelten Generalkonferenz in Minneapolis eine wunderbare Botschaft von Christus als liebendem, mächtigem Erlöser vorzutragen, die endlich den Weg nach Kanaan freimachen sollte, stieß diese Verkündigung auf großen Widerstand (siehe These 44 und folgende). Rund 40 Jahre nach dieser Konferenz zog Taylor Bunch, Prediger und Autor, einen typologischen Vergleich zwischen Israels Wüstenwanderung und der ausbleibenden Wiederkunft Jesu seit 1888, und auch dies führte zu Unverständnis und dem Erscheinen diverser Rechtfertigungsliteratur vonseiten anderer Adventisten. Eigenartig, wo doch Ellen White prinzipiell das Gleiche bereits 1883 zum Ausdruck gebracht hatte.

Was denn sonst sollte die Wiederkunft verzögern als „menschliches Versagen“ auf unserer Seite? Für mich ist schwer verständlich, warum wir uns gegen diese Einsicht so wehren. Wer sich mit unserer Geschichte ehrlich beschäftigt, kann meines Erachtens nur zum selben Schluss kommen. Und dahinter steht nicht etwa ein Bedürfnis, die eigene Gemeinde „schlecht zu machen“. Vielmehr ist es unverzichtbar zu erkennen, an welcher Weggabelung wir bzw. unsere Vorväter falsch abgebogen sind, wenn wir unseren Weg korrigieren und am Ende doch noch unser herrliches Ziel erreichen wollen. Deswegen sollten wir Gott dankbar sein, wenn Er uns auf Probleme und Fehler hinweist! Sind sie doch ein Schlüssel für eine hellere Zukunft als Gemeinde und letztlich für den Abschluss der weltweiten Mission, die Christus uns anvertraut hat.

Warum sind wir noch nicht im himmlischen Kanaan? Man kann viel darüber sinnieren, dass das Evangelium noch nicht alle Länder, Sprachen und Völker erreicht hat, dass bestimmte prophetische Entwicklungen noch ausstehen, dass wir noch auf den Spätregen warten etc. Aber all das wird uns nicht entscheidend voranbringen, solange wir den eigentlichen Kern des Evangeliums und des priesterlichen Dienstes im Allerheiligsten – die charakterliche Vervollkommnung der Gläubigen – als fanatischen Irrweg ablehnen.

Mit dieser Haltung beweisen wir eine traurige Unkenntnis des Wesens Gottes – der wunderschönen Harmonie zwischen Seiner Liebe und Seiner Gerechtigkeit. Würde Gott weniger als Vollkommenheit von uns erwarten, wäre Er nicht gerecht, aber würde Er uns weniger als Vollkommenheit schenken, wäre Er nicht Liebe. Doch Er ist beides! Am Kreuz haben sich „Gerechtigkeit und Frieden geküsst“ (Ps 85,11). Das Blut Jesu ist der unübertreffbare Beweis für Gottes Liebe und Gottes Gerechtigkeit – nicht als Gegensätze oder Konkurrenz, sondern als perfekte, göttliche Ganzheit, als das unauslotbare Wunder des göttlichen Wesens. Ohne diese Gotteserkenntnis, die uns „in dasselbe Bild verwandelt von Herrlichkeit zu Herrlichkeit“ (2Kor 3,18), sind wir nicht bereit, Christus „in seiner Herrlichkeit“ (Mt 25,31) zu begegnen.

Israels Prüfung und Versagen bei Kadesch-Barnea, nachdem die zwölf Kundschafter zurückgekehrt waren, hat uns viel zu sagen – mehr, als uns lieb sein kann. Im Eifer des Gefechts kann es ausgesprochen schwer sein, Freund und Feind auseinanderzuhalten. Angst und Verzweiflung machten das Volk blind, sodass sie der plausibel klingenden Lüge der zehn glaubten und die rettende Wahrheit in Form der übrigen zwei Kundschafter „steinigen“ wollten. Ist so etwas auch unter Gottes Volk heute denkbar? Möge der Herr uns Augensalbe schenken.

72. Gerade weil der Neue Bund Vollkommenheit bewirkt, kann Jesu Dienst im himmlischen Heiligtum eines Tages aufhören (Heb 10,1).

Dan 9,24 Siebzig Wochen sind über dein Volk und über deine heilige Stadt bestimmt, um das Verbrechen zum Abschluss zu bringen und den Sünden ein Ende zu machen und die Schuld zu sühnen und eine ewige Gerechtigkeit einzuführen und Gesicht und Propheten zu versiegeln, und ein Allerheiligstes zu salben.

Mt 1,21 Und sie wird einen Sohn gebären, und du sollst seinen Namen Jesus nennen; denn er wird sein Volk erretten von seinen Sünden.

Joh 1,29 Siehe, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt!

Christi Menschwerdung, Sein Leben, Sterben sowie Sein himmlischer Priesterdienst dienen dem einen Ziel: den tragischen Einbruch der Sünde in diese Welt mit all seinen schrecklichen Folgen für immer umzukehren – den Fluch der Übertretung auf sich zu nehmen und uns unter Gottes ewigen Segen zu stellen. Daniel prophezeite über den Messias, Er werde der Sünde „ein Ende machen“ und an ihre Stelle für alle Zeiten „Gerechtigkeit“ setzen. Dies geschieht kraft Seines Dienstes im Heiligtum, wo das Blut von Golgatha wirksam gemacht wird.

Heb 9,12 [Christus ist] mit seinem eigenen Blut ein für allemal in das Heiligtum hineingegangen und hat uns eine ewige Erlösung erworben.

Die Grundlage der Erlösung ist Jesu Opfer am Kreuz (Sein „Blut“), doch zu unserer persönlichen Erlösung wird dieses Opfer erst durch Jesu Vermittlung als Hohepriester. Es mag banal klingen, ist aber so essenziell zu verstehen: Heiligung geschieht im Heiligtum. Dort kommt das Blut des Sohnes Gottes zur Anwendung, und von dort geht alles aus, was zu unserem Heil notwendig ist. Deswegen heißt es über die Erlösten im Himmel:

Off 7,14 Sie haben ihre Gewänder gewaschen und sie weiß gemacht im Blut des Lammes.

Wer die „ewige Gerechtigkeit“ erlangt, die der Messias auf diese Erde gebracht hat, und wer nicht, entscheidet sich im Heiligtum. Darum sagt Christus, wenn er seinen Dienst im Heiligtum beendet:

Off 22,11 LUT Wer Böses tut, der tue weiterhin Böses, und wer unrein ist, der sei weiterhin unrein; aber wer gerecht ist, der übe weiterhin Gerechtigkeit, und wer heilig ist, der sei weiterhin heilig.

Solange Christus vor dem Gnadenthron Fürsprache einlegt, kann sich jeder Mensch zu Gott wenden, doch wenn Seine Fürbitte beendet ist, ist der Zustand des Menschen – er sei gerecht oder ungerecht – verewigt. Es gibt da auch keine Grauzone, keine dritte Gruppe von Leuten, die „ziemlich heilig“ oder „fast immer gerecht“ sind. Jeder Mensch wird entweder „böse und unrein“ sein oder „gerecht und heilig“. Das ist einerseits ernst und ernüchternd, andererseits aber auch voller Hoffnung, weil es beweist, dass unzählige Menschen mit den gleichen Schwachheiten wie wir tatsächlich einmal zur zweiten Gruppe gehören werden: zu denen, die nach Jesu unbestechlichem und wahrhaftigem Urteil wirklich „Gerechte und Heilige“ sind, was ja nur andere Begriffe für „Vollkommene“ sind!

Um zu erklären, warum wir im Glauben zu Recht unsere Vervollkommnung erwarten dürfen, stellt Paulus im Hebräerbrief Alten und Neuen Bund einander gegenüber. Der Alte Bund beweist durch seine ständig wiederholten Rituale seine Wirkungslosigkeit gegenüber dem Sündenproblem, der Neue Bund dagegen beweist durch seine einmaligen Handlungen seine enorme Wirksamkeit. Der Alte Bund konnte die Gläubigen nicht vervollkommnen, der Neue Bund tut es! Beachten wir folgenden Vergleich:

Alter Bund Neuer Bund
  • „mit Händen gemachtes Heiligtum“ (9,24)
  • „größeres, vollkommeneres Heiligtum, nicht von dieser Schöpfung“ (9,11)
  • „wahrhaftiges“ Heiligtum (9,24)
  • „Schatten“ (10,1)
  • „Satzungen des Fleisches“ (9,10)
  • „Ebenbild“ (10,1)
  • „Hohepriester geht alljährlich in das Heiligtum hinein“ (9,25)
  • „alljährlich ununterbrochen dieselben Schlachtopfer“ (10,1)
  • „täglicher“ Dienst, „oft dieselben Schlachtopfer“ (10,11)
  • Christus „ist ein für alle Mal in das Heiligtum eingegangen“ (9,12)
  • „ein für alle Mal geschehenes Opfer“ Jesu (10,10)
  • ein Schlachtopfer für Sünden“ (10,12)
  • „alljährlich ein Erinnern an die Sünden“ (10,3)
  • „Ihrer Sünden und ihrer Gesetzlosigkeiten werde ich nie mehr gedenken“ (10,17)
  • „Blut von Böcken und Kälbern“ (9,12.19)
  • „fremdes Blut“ (9,25)
  • Christi „eigenes Blut“ (9,12.14)
  • Blut reinigt das „Fleisch“ (9,13)
  • Blut reinigt das „Gewissen“ (9,14)
  • Gaben und Schlachtopfer können den Anbeter „nicht vollkommen machen“ (9,9)
  • Opfergesetz „kann niemals die Hinzunahenden vollkommen machen“ (10,1), sonst hätten die Opferungen „aufgehört“ (10,2)
  • „Mit einem Opfer hat er auf immerdar die vollkommen gemacht, die geheiligt werden“ (10,14)
  • Die wahre „Vergebung“ lässt die Opfer aufhören (10,18)

Gerade der letzte Punkt ist wichtig für unsere Betrachtung: Hätten die Opferungen des Alten Bundes die Anbeter vollkommen gemacht, dann hätten sie aufgehört. Christi Opfer im Neuen Bund dagegen lässt die Opfer aufhören, weil es die Anbeter zur Vollkommenheit führt. Das ist der Kern von der gesamten Argumentation im Hebräerbrief: Der Neue Bund ist in allen seinen Belangen vollkommen: vom Heiligtum über das Opfer bis zum Hohepriester. Deshalb ist dieser Bund auch in der Lage, das hervorzubringen, was über Christus geweissagt worden ist: „eine ewige Gerechtigkeit“ (Dan 9,24).

Fazit: Die Tatsache, dass Christi Mittlerdienst im Himmel eines Tages aufhören wird, sollte uns nicht mit Befürchtungen erfüllen, sondern vielmehr starken Trost geben, weil wir damit sicher wissen, dass Jesu Fürsprache in der Tat die vollkommene Heiligung der Gläubigen bewirkt!

71. Die Verheißung eines neuen, von Liebe erfüllten Herzens ist der Kern des Neuen Bundes. Wer leugnet, dass Jesu neutestamentlicher Mittlerdienst den Gläubigen „für immer vollkommen macht“ (Heb 10,14), lebt noch im Alten Bund.

Jeremia beschreibt den Neuen Bund so:

Jer 31,31 Siehe, Tage kommen, spricht der HERR, da schließe ich mit dem Haus Israel und mit dem Haus Juda einen neuen Bund:

32 nicht wie der [alte] Bund, den ich mit ihren Vätern geschlossen habe an dem Tag, als ich sie bei der Hand fasste, um sie aus dem Land Ägypten herauszuführen, – diesen meinen Bund haben sie gebrochen, obwohl ich doch ihr Herr war, spricht der HERR.

33 Sondern das ist der Bund, den ich mit dem Haus Israel nach jenen Tagen schließen werde, spricht der HERR: Ich werde mein Gesetz [= selbstvergessene Liebe = sittliche Vollkommenheit] in ihr Inneres legen und werde es auf ihr Herz schreiben. Und ich werde ihr Gott sein, und sie werden mein Volk sein.

34 Dann wird nicht mehr einer seinen Nächsten oder einer seinen Bruder lehren und sagen: Erkennt den HERRN! Denn sie alle werden mich erkennen von ihrem Kleinsten bis zu ihrem Größten, spricht der HERR. Denn ich werde ihre Schuld vergeben und an ihre Sünde nicht mehr denken.

Als kurze Anknüpfung an These 68: Der parallele Aufbau von Vers 33 und 34 zeigt, dass „Ich werde mein Gesetz auf ihr Herz schreiben“ das Gleiche ist wie „Ich werde ihre Schuld vergeben“. Gottes Vergebung umfasst die vollständige Wiederherstellung von allem, was die Sünde zerstört hat. Diese Vergebung im Sinne des totalen „Wegnehmens“ aller Sünden (These 69) spiegelt sich in den drei Abteilen des Heiligtums wider:

  • Vorhof: Wegnehmen der vergangenen Sünden – Jesus spricht mich frei von jeder Schuld
  • Heiliges: Wegnehmen der gegenwärtigen Sünden – Jesus macht mich stark in der Versuchung
  • Allerheiligstes: Wegnehmen der zukünftigen Sünden – Jesus macht mich fest für alle Ewigkeit

Anders ausgedrückt, geht es in diesen drei Phasen um Vergebung, Veränderung und Vervollkommnung. Der ganze Sinn des neutestamentlichen Mittlerdienstes Jesu im Himmel ist die wirkungsvolle und endgültige Wegnahme aller Sünden, was unweigerlich die Vervollkommnung der Gläubigen mit sich bringt. Im Hebräerbrief lesen wir über die Wirksamkeit von Christi Opfer:

Heb 10,14 Denn mit einem Opfer hat er die, die geheiligt werden, für immer vollkommen gemacht.

Manche deuten diesen Text so, dass unsere Vollkommenheit bereits gegenwärtige Tatsache sei – stellvertretend in Christus, rein zugerechnet. In gewisser Weise stimmt es, dass Gottes zeitloser Blick uns bereits als vollkommen betrachtet, weil Er Zukünftiges vorwegnimmt. Doch zeigt uns der Text selbst, dass die Aussage anders zu verstehen ist, denn die „vollkommen Gemachten“ befinden sich immer noch im Prozess der Heiligung („die, die geheiligt werden“).

Der größere Zusammenhang des Abschnitts bestätigt, dass „vollkommen gemacht“ sich auf die Wirksamkeit von Jesu einmaligem Opfer im Gegensatz zu den ständig wiederholten Opfern des Alten Bundes bezieht, die machtlos darin waren, den Gläubigen im Innern zu verändern. Der Vers sagt, dass auf Golgatha alle Voraussetzungen dazu geschaffen worden sind, „jeden Menschen vollkommen in Christus darzustellen“ (Kol 1,28). Und auch hier, weil es so oft missverstanden wird, bedeutet „darstellen“ nicht, dass Gott uns als vollkommen ansieht, obwohl wir es nicht sind, sondern beschreibt eine Tatsache, die im Gericht für alle offensichtlich gemacht wird. Judas nennt das „hinstellen“:

Jud 24 [Gott] vermag euch ohne Straucheln zu bewahren und vor seine Herrlichkeit tadellos mit Jubel hinzustellen.

Der Geist der Weissagung bestätigt, dass unsere sittliche Vervollkommnung das Fundament des Neuen Bundes ist:

RH, 5.4.1898 Christus zeigte in seinen Lehren, wie weit die Prinzipien des Gesetzes reichen, das vom Sinai gesprochen wurde. Er war ein wandelndes Beispiel für diese Grundsätze, die auf ewig der große Maßstab für Gerechtigkeit bleiben – der Maßstab, nach dem jeder gerichtet werden wird, wenn das Gericht sich setzt und die Bücher geöffnet werden. Er kam, um alle Gerechtigkeit zu erfüllen und uns als Haupt der Menschheit zu zeigen, dass wir das Gleiche tun und Gottes Forderungen in jeder Hinsicht nachkommen können. Durch das Maß seiner Gnade, das jedem Menschen gewährt wird, braucht nicht einer den Himmel zu verfehlen. Ein vollkommener Charakter ist für jeden erreichbar, der danach strebt. Gerade dies ist das Fundament des Evangeliums im Neuen Bund. Jehovas Gesetz ist der Baum, das Evangelium seine duftenden Blüten und Früchte.

70. Wenn Gottes Wort „ein Hammer ist, der Felsen zerschmettert“ (Jer 23,29) – der Fels ist Christus, der um unserer Schuld willen zerschmettert wurde –, dann kann es auch unser hartes Herz zerbrechen und uns zu neuen Menschen machen.

Gottes Wort an die ersten Menschen war:

1Mo 2,17 Vom Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen, davon darfst du nicht essen; denn an dem Tag, da du davon isst, musst du sterben!

Dieses Wort war so mächtig, wahr und unaufhaltsam, dass es Gott selbst – in Gestalt Seines Sohnes – das Leben kostete. Das Kreuz bezeugt daher die ewige, ausnahmslose, unveränderliche Kraft von Gottes Wort. Doch so sicher wie Gottes Androhung im Paradies ist auch Seine Verheißung der Erlösung nach dem Fall! So betrachtet kann uns sogar das furchtbare Leid auf diesem Planeten daran erinnern, dass Gottes Wort immer und uneingeschränkt in Erfüllung geht und dass daher auch Seine Gnadenzusagen ganz und gar Wirklichkeit werden. Wir dürfen uns voll und ganz darauf verlassen.

Der „Felsen zerschmetternde Hammer“ hört sich recht drastisch an. Doch tatsächlich ist es ja die Erkenntnis der Liebe Gottes, die unser Herz weich werden lässt – wenn wir sehen, dass Er unsere verdiente Strafe auf sich selbst nimmt, um uns zu schonen.

Hes 11,19 Und ich werde ihnen ein Herz geben und werde einen neuen Geist in ihr Inneres geben, und ich werde das steinerne Herz aus ihrem Fleisch entfernen und ihnen ein fleischernes Herz geben.

Der Heiland wurde um unsertwillen „zerschmettert“, und wenn uns dies bewusst wird, werden wir selbst – wenn wir es zulassen – „zerschmettert“: Wir zerbrechen innerlich vor Gott, lassen unsere Selbstgerechtigkeit los und empfangen dankbar das Geschenk Seiner Liebe, die durch den Heiligen Geist in unser Herz ausgegossen wird.

Lk 20,18 Jeder, der auf jenen Stein [Christus] fällt, wird zerschmettert werden; auf wen er aber fallen wird, den wird er zermalmen.

Ist uns bewusst, wie viel Kraft entfesselt wird, wenn Gott spricht, und zwar zu unseren Gunsten spricht? Alle sieben Tage haben wir eine besondere Gelegenheit, uns dies eindrücklich vor Augen zu halten. Gott hat uns diese Welt und den Bericht ihrer Erschaffung als Beweis der unbegrenzten Macht Seines Wortes gegeben. Dasselbe Wort spricht jetzt voller Liebe und Mitgefühl für unsere Schwachheiten, um alle unsere Sünden abzuwaschen und neue Menschen in Christus hervorzubringen, wunderschön gestaltet nach Seinem edlen Vorbild. Jeder Sabbat soll uns daran erinnern, dass der, der alles ins Sein gerufen hat, Derselbe ist, der uns durch den Glauben zu neuen, heiligen, untadeligen Geschöpfen macht. Unser Schöpfer ist unser Erlöser, und wenn wir das verinnerlichen, wird es zu einer mächtigen Quelle des Trostes und der Zuversicht. Das ist der tiefste Sinn unserer Sabbatfeier, und das ist Anbetung im besten Sinne. Das ist wahrer Siebenten-Tags-Adventismus und wird darüber entscheiden, wer zuletzt das Siegel Gottes und wer das Malzeichen des Tieres tragen wird.

69. Ein Mittlerdienst, der immer wieder Vergebung bietet, jedoch keine vollständige Heiligung, würde die Sünde verlängern statt wegnehmen und Christus zu einem „Diener der Sünde“ (Gal 2,17) machen. „Gehorsam ist besser als Schlachtopfer“! (1Sam 15,22)

Im Galaterbrief schreibt der Apostel:

Gal 2,17 Wenn aber auch wir selbst, die wir in Christus gerechtfertigt zu werden suchen, als Sünder befunden wurden – ist dann also Christus ein Diener der Sünde? Das ist ausgeschlossen.

Der Begriff „Diener“ bezieht sich auf Jesu Dienst als Hohepriester im Heiligtum. Paulus stellt damit die unausgesprochene Frage vieler damaliger Juden an den „neuen“ Christusglauben: „Wenn ihr sagt, dass ihr vor Gott ebenso Sünder seid wie die Heiden, und euch statt auf Gesetzesgehorsam auf Christus beruft, wird dann der Glaube nicht zum Ersatz für Gehorsam? Wird nicht der Mittlerdienst Jesu zu einer Einrichtung für straffreies Sündigen?“ Paulus weist diese Möglichkeit entschieden von sich und antwortet: „Ausgeschlossen!“ (ELB) oder, wie viele andere Bibeln übersetzen: „Das sei ferne!“

Dieselbe entschiedene Ablehnung gilt auch heute. Der Erlösungsplan ist keiner Weise dazu gedacht, Gesetzesübertretung zu erleichtern, indem die Folgen vom Übertreter ferngehalten werden, sondern hat in jeder Hinsicht den Zweck, die Sünde mitsamt ihren furchtbaren Konsequenzen wirksam und auf ewig zu entfernen. Viele Textstellen der Heiligen Schrift bezeugen dies:

3Mo 16,30 Denn an diesem Tag [Versöhnungstag] wird man für euch Sühnung erwirken, um euch zu reinigen: von all euren Sünden werdet ihr rein sein vor dem HERRN.

Ps 17,3 Du hast mein Herz geprüft, mich in der Nacht durchforscht; du hast mich geläutert, und du hast nichts gefunden, worin ich mich vergangen hätte mit meinen Gedanken oder mit meinem Mund.

Jes 1,18 Kommt denn und lasst uns miteinander rechten! spricht der HERR. Wenn eure Sünden rot wie Karmesin sind, wie Schnee sollen sie weiß werden. Wenn sie rot sind wie Purpur, wie Wolle sollen sie werden.

Jer 50,20 In jenen Tagen und zu jener Zeit, spricht der HERR, wird Israels Schuld gesucht werden, und sie wird nicht da sein, – und die Sünden Judas, und sie werden nicht gefunden werden; denn ich will denen vergeben, die ich übriglasse.

Joh 1,29 Am folgenden Tag sieht Johannes Jesus auf sich zukommen und spricht: Siehe, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt!

1Joh 3,5 Und ihr wisst, dass er geoffenbart worden ist, damit er die Sünden wegnehme; und Sünde ist nicht in ihm …

8 Wer die Sünde tut, ist aus dem Teufel, denn der Teufel sündigt von Anfang an. Hierzu ist der Sohn Gottes geoffenbart worden, damit er die Werke des Teufels [die Sünde] vernichte.

Off 7,14 Diese sind es, die aus der großen Bedrängnis kommen, und sie haben ihre Gewänder gewaschen und sie weiß gemacht im Blut des Lammes.

Off 14,5 Und in ihrem Mund wurde kein Falsch gefunden; sie sind untadelig.

Viele haben ungefähr folgende Vorstellung von Rettung: Der Sünder kommt zu Jesus, empfängt im Glauben vollständige Vergebung und ist nun „ein erlöstes Gotteskind“. Dann folgt, weil sie „irgendwie dazugehört“, die Heiligung – das Bemühen um ein besseres Leben, das mit wechselndem, aber insgesamt doch mäßigem Erfolg mehr schlecht als recht verläuft, weswegen man auch als Gläubiger eigentlich ständig von der Vergebung lebt, die im Heiligtum glücklicherweise grenzenlos zur Verfügung steht. Wer auf diese Weise bis zum Schluss „am Glauben festhält“, empfängt bei der Versiegelung / Verwandlung / Auferstehung schlagartig ein absolut makelloses, vollkommenes Wesen und wird ab diesem Zeitpunkt bis in alle Ewigkeit nie wieder Gottes Gebote übertreten.

Wäre dieses Szenario biblisch, müsste man sich fragen, warum in Gottes Drei-Schritte-Heilsplan „Vergebung – Heiligung – Verwandlung“ Schritt 1 und 3 (Vergebung und Verwandlung) auf Anhieb so tadellos funktionieren, Schritt 2 (Heiligung) dagegen sichtbar und spürbar „lahmt“. Fraglich wäre weiterhin, warum Schritt 2 obligatorisch ist („ohne Heiligung wird niemand den Herrn schauen“; Heb 12,14), wenn es doch viel effektiver wäre, den ausgesprochen erfolgreichen Schritt 3 der Verwandlung vorzuziehen und damit nicht nur dem Gläubigen lebenslange Mühen zu ersparen, sondern auch der Welt ein unbestreitbares Zeugnis der erlösenden Kraft Gottes zu geben. Ein Heilsweg in zwei Schritten, wo der Vergebung (Bekehrung) unmittelbar die Verwandlung folgt, würde unzählige Sünden gläubiger Menschen verhindern, allen Beteiligten viel Leid ersparen und den Heiligtumsdienst Jesu deutlich vereinfachen …

Zurück zur biblischen Realität. Es gibt keine Abkürzung zum Heil und zur Vollkommenheit. Der Erlösungsplan und Jesu himmlischer Heiligtumsdienst sind, so wie sie sind, optimal und unverbesserlich. Sie tragen die göttliche Handschrift des Einen, dessen Werke alle vollkommen sind. Alle drei Schritte des Erlösungsplanes sind gleichermaßen wirksam und gleichermaßen unverzichtbar. Es ist nicht Gottes Heiligung, die „lahmt“, sondern unser Glaube, sie zu ergreifen, unsere Einsicht, ihre Notwendigkeit zu erfassen, und auch unser Verständnis dafür, wie sie überhaupt zu erlangen ist.

1Sam 15,22 Gehorsam ist besser als Schlachtopfer.

Ich wünschte, wir würden diesen kurzen Satz tief verinnerlichen, denn er weist auf etwas äußerst Wesentliches hin: Das Ziel des Heiligtumsdienstes ist nicht Vergebung („Schlachtopfer“) als Dauerzustand, sondern Gehorsam als Dauerzustand. Jesu Leben und Sterben hatten den Zweck, für unseren Ungehorsam zu bezahlen und unseren Gehorsam zu ermöglichen. Jesu Mittlerdienst im Himmel dient dazu, uns willigen Gehorsam zu schenken und ihn in uns zu festigen. Wenn uns dieser Gehorsam in Fleisch und Blut übergangen ist – der Heilige Geist das Gesetz Gottes in Herz und Sinn geschrieben hat –, dann ist endgültig das „gesühnt“, „weggenommen“ und „vernichtet“, was die Schleusentore des Elends für diese Welt geöffnet hat: der menschliche Ungehorsam, die Sünde. Dann ist die ursprüngliche Vollkommenheit des Menschen – und des Universums – wiederhergestellt. Dass wir am Ende auch noch einen neuen, unsterblichen Körper erhalten (die Verwandlung), ist dann nur noch das (vegane) „Sahnehäubchen“.

68. Vollständige Vergebung durch Christus ist gleichzeitig die Verheißung vollständiger Heiligung durch Christus. Wenn wir das Erste glauben, obwohl wir es weder sehen noch fühlen können, dürfen wir im selben Maße das Zweite glauben, obwohl wir es weder sehen noch fühlen können.

Paulus beschreibt Gottes Vorsorge im Erlösungsplan im Römerbrief:

Röm 8,29 Die er vorher erkannt hat, die hat er auch vorherbestimmt, dem Bilde seines Sohnes gleichförmig zu sein, damit er der Erstgeborene sei unter vielen Brüdern.

30 Die er aber vorherbestimmt hat, diese hat er auch berufen; und die er berufen hat, diese hat er auch gerechtfertigt; die er aber gerechtfertigt hat, diese hat er auch verherrlicht

Auch wenn diese Verse im deutschen Perfekt stehen (griechisch im Aorist), sagen sie nicht etwa aus, dass sich bereits alles erfüllt hat, was zu unserer Erlösung notwendig ist – sonst wären wir alle schon „verherrlicht“, was offensichtlich nicht der Fall ist. Paulus stellt zuerst fest, wozu Gott uns „vorherbestimmt“ hat (nämlich „dem Bilde seines Sohnes gleichförmig zu sein“; V. 29), und erklärt dann, dass Er für alle nötigen Schritte, um zu diesem Ziel zu gelangen, vorgesorgt hat: für unsere „Berufung“, für unsere „Rechtfertigung“, für unsere „Verherrlichung“. Paulus macht in diesen Versen grundsätzliche Aussagen ohne konkreten Zeitbezug. Die entsprechende Wiedergabe im Deutschen wäre die Gegenwartsform als Ausdruck einer allgemeinen Gesetzmäßigkeit: „Wen Gott vorher erkennt, den bestimmt Er auch vorher; und wen Er vorherbestimmt, den beruft Er auch; und wen Er beruft, den rechtfertigt Er auch; und wen Er rechtfertigt, den verherrlicht Er auch.“ Und als größten Beweis dafür, dass Gott Sein Werk für uns zu einem wunderbaren und vollständigen Abschluss bringen wird, führt der Apostel das Opfer Jesu an:

Röm 8,32 Er, der doch seinen eigenen Sohn nicht verschont, sondern ihn für uns alle hingegeben hat: wie wird er uns mit ihm nicht auch alles schenken?

Das bringt zum Ausdruck, dass es absolut undenkbar ist, dass Gott die allergrößte Investition in die Menschheit tätigt, indem Er Seinen einzigen, göttlichen Sohn hingibt, dann aber versäumt, das Erlösungswerk auch bis zur Vollendung zu bringen. Ein solcher Gedanke wäre abstrus und würde Gottes Wesen völlig verkennen. Das ist die Sicherheit, die wir im Aufschauen auf Gottes Liebe, Gnade und Treue haben dürfen. In dieser Erkenntnis, die im Charakter Gottes verwurzelt ist, finden wir zu Ruhe und Geborgenheit, selbst wenn Gottes Werk für und in uns heute noch nicht vollendet ist. Doch weil Gott so ist, wie Er ist, und dies so vielfältig in Seinem Wort bezeugt hat, haben wir Frieden in der Gewissheit, dass Er, was heute noch ausstehen mag, morgen, übermorgen oder an einem beliebigen zukünftigen Tag unseres Lebens (den wir nicht zu wissen brauchen, aber Gott kennt ihn) vollenden wird. Das ist biblische „Heilsgewissheit“. Sie wächst nicht aus bereits vollendeten Tatsachen, sondern aus dem Vertrauen auf Gottes Treue, die uns mit Unvollendetem leben lässt, als wäre es bereits vollendet.

Heb 2,17 Daher musste er in allem den Brüdern gleich werden, damit er barmherzig und ein treuer Hohepriester vor Gott werde, um die Sünden des Volkes zu sühnen.

1Joh 1,9 Wenn wir unsere Sünden bekennen, ist er treu und gerecht, dass er uns die Sünden vergibt und uns reinigt von jeder Ungerechtigkeit.

1Kor 1,7 Daher habt ihr an keiner Gnadengabe Mangel, während ihr das Offenbarwerden unseres Herrn Jesus Christus erwartet,

8 der euch auch festigen wird bis ans Ende, sodass ihr untadelig seid an dem Tag unseres Herrn Jesus Christus.

9 Gott ist treu, durch den ihr berufen worden seid in die Gemeinschaft seines Sohnes Jesus Christus, unseres Herrn.

1Thess 5,23 Er selbst aber, der Gott des Friedens, heilige euch völlig; und vollständig möge euer Geist und Seele und Leib untadelig bewahrt werden bei der Ankunft unseres Herrn Jesus Christus!

24 Treu ist, der euch beruft; er wird es auch tun.

Die „Sühnung“ und „Reinigung“ von jeder Sünde und die Wandlung zu „völliger Heiligung“ und „Untadeligkeit“ stützt sich auf Gottes Treue. Deswegen ist Seine vollständige Vergebung für uns (der Beginn des Heilwerdens) gleichzeitig die Gewissheit unserer vollständigen Heiligung (der Abschluss des Heilwerdens).

RH, 19.8.1890 Eine Begnadigung, wie Christus sie schenkt, beinhaltet nicht nur Vergebung, sondern die Erneuerung unseres Sinnes. Der Herr sagt: „Ich werde euch ein neues Herz geben.“ (Hes 36,26) Das Bild Christi soll Geist, Herz und Seele direkt aufgeprägt werden.

MB 113 Vergebung hat eine weitere Bedeutung, als viele meinen. Gottes Vergebung ist nicht bloß ein gerichtlicher Vorgang, durch den Er unsere Verurteilung aufhebt. Sie ist nicht nur das Vergeben von Sünde, sondern das Herausnehmen aus der Sünde. Sie ist das Ausströmen erlösender, das Herz verwandelnder Liebe.

Der Prozess des Heilwerdens beginnt im Glauben, wird vom Glauben getragen und im Glauben zur Vollendung gebracht. Und Glaube ist unabhängig davon, was wir fühlen oder mit den Sinnen wahrnehmen. Er ist die Entscheidung, aus Prinzip zu vertrauen, motiviert von der Erkenntnis und Erfahrung, dass Gott uns unendlich liebt und Seinen Gnadenbund mit uns niemals brechen wird. Rettender Glaube heißt, sich über alle Gefühle hinaus auf Gottes Wort zu verlassen. Er ist der Schlüssel zu geistlicher Heilung und innerer Befreiung.

DA 203 Viele sind sich ihrer Hilflosigkeit bewusst und sehnen sich nach jenem geistlichen Leben, das sie in Einklang mit Gott bringt; sie mühen sich jedoch vergeblich, es zu erringen. Voller Verzweiflung rufen sie aus: „Ich elender Mensch! Wer wird mich erlösen von dem Leibe dieses Todes?“ (Röm 7,24) Solche verzweifelten und ringenden Menschen dürfen aufschauen. Der Heiland neigt sich über die mit seinem Blut Erkauften und fragt mit unaussprechlicher Güte und herzlichem Erbarmen: „Willst du gesund werden?“ Er gebietet dir, in Gesundheit und Frieden aufzustehen. Warte nicht, bis du fühlst, dass du gesund geworden bist. Traue seinem Wort, und es wird sich an dir erfüllen. Stell deinen Willen auf die Seite Christi. Entschließe dich, ihm zu dienen. Sobald du auf sein Wort hin handelst, wirst du Kraft erhalten. Was immer du falsch gemacht haben magst und welche schwere Sünde auch durch lange Duldung deinen Körper und deine Seele gefangen hält – Christus ist in der Lage und sehnt sich danach, dich zu befreien. Er wird der Seele, die „tot“ ist in „Übertretungen“ (Eph 2,1), Leben verleihen.

67. Gottes Wort ist nicht nur Wahrheit, es schafft Wahrheit. Dasselbe göttliche Wort, das den Menschen gerecht spricht, macht ihn auch gerecht.

Ich wiederhole einen Text aus These 11:

Jes 55,10 Denn wie der Regen fällt und vom Himmel der Schnee und nicht dahin zurückkehrt, sondern die Erde tränkt, sie befruchtet und sie sprießen lässt, dass sie dem Sämann Samen gibt und Brot dem Essenden,

11 so wird mein Wort sein, das aus meinem Mund hervorgeht. Es wird nicht leer zu mir zurückkehren, sondern es wird bewirken, was mir gefällt, und ausführen, wozu ich es gesandt habe.

Ein lieber Bruder, der seine Mühe mit diesen Thesen hatte und dabei war, als ich sie in einer Gemeinde vorstellte, meinte spontan, als ich diese These vorlas: „Die hättest du an den Anfang stellen sollen!“ Und ja, vielleicht hätte ich das tun sollen – nicht mit der „schweren Buße“ beginnen, sondern mit der unglaublichen erlösenden Macht Gottes.

Diese These fasst tatsächlich zusammen, was Erlösung bedeutet: Gott spricht, und es geschieht – wie bei der Schöpfung, so bei der Neuschöpfung. Gott schafft durch Sein Wort: bei der Schöpfung durch das göttliche Wort (Christus; Joh 1,3), bei der Neuschöpfung durch das fleischgewordene Wort (ebenfalls Christus; V. 14). Christus, „das Wort“, verschafft uns einen neuen Status vor Gott (Rechtfertigung), und Christus, „das Wort“, macht uns zu neuen Menschen (Wiederherstellung). Er ist das Alpha und das Omega unseres Heils, der Anfänger und der Vollender.

1Kor 1,30 Aus ihm [Gott] aber kommt es, dass ihr in Christus Jesus seid, der uns geworden ist Weisheit von Gott und Gerechtigkeit und Heiligkeit und Erlösung.

Röm 8,32 Er, der doch seinen eigenen Sohn nicht verschont, sondern ihn für uns alle hingegeben hat: wie wird er uns mit ihm nicht auch alles schenken?

Kol 2,3 In [Christus] sind alle Schätze der Weisheit und Erkenntnis verborgen …

9 Denn in ihm wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig;

10 und ihr seid in ihm zur Fülle gebracht.

Der kleine, aber folgenschwere Unterschied zwischen der ersten und der zweiten Schöpfung durch „das Wort“ ist, dass Adam und Eva nicht gefragt wurden, ob sie geschaffen werden möchten, wir aber durchaus, und zwar bei jedem einzelnen Schritt des göttlichen Schaffensprozesses. Dass Gott Vollkommenheit in einem Nu hervorbringen kann, bewies er bei der ersten Schöpfung des Menschen. Der begrenzende Faktor bei der zweiten Schöpfung ist nicht Gottes Macht, sondern der menschliche Wille. Gott wartet immer auf unsere Zustimmung, bevor Er an uns handelt – Seine Liebe führt Ihn dazu, unsere persönliche Freiheit niemals anzutasten, weil wir nur als freie Wesen Ihm mit echter, tiefer Liebe antworten können. Um aber echte Zustimmung von uns zu erlangen, muss Gott uns erst zur Einsicht führen.

Die Voraussetzung von Erkenntnis (vom Guten überzeugt werden) und Entscheidung (der Erkenntnis folgen und sich Gott übergeben) können das Wachsen und Reifen des neuen Menschen zu einem langwierigen, manchmal mühsamen Prozess machen:

Jes 43,24 Du hast mir Arbeit gemacht mit deinen Sünden …

Doch für Christus ist jeder Einzelne von uns so kostbar und einzigartig, dass wir Ihm jede Mühe wert sind. Er betrachtet uns mit inniger, unerschütterlicher Liebe und ist bereit, diesen Weg geduldig mit uns zu gehen! Dabei treibt Ihn die tiefe Sehnsucht an, am Ende eine Braut und Geliebte in makelloser Schönheit zu sich nehmen zu können, an deren Seite Er die Ewigkeit verbringen will.

Eph 5,25Christus (hat) die Gemeinde geliebt und sich selbst für sie hingegeben,

26 um sie zu heiligen, sie reinigend durch das Wasserbad im Wort,

27 damit er die Gemeinde sich selbst verherrlicht darstellte, die nicht Flecken oder Runzel oder etwas dergleichen habe, sondern dass sie heilig und tadellos sei.

Würde Gott einen Menschen gerecht sprechen, ohne ihn auch gerecht zu machen, würde Er zum Lügner. Doch die Schrift sagt, dass Gott nicht lügen kann und eher Himmel und Erde untergehen würden, als dass Sein Wort sich nicht erfüllte!

Mt 24,35 Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen.

Ps 119,89 In Ewigkeit, HERR, steht dein Wort fest in den Himmeln.

Im Wort selbst liegt die schöpferische Kraft, Wirklichkeit zu schaffen. Die materielle Erde ist der „wandelnde“ und rotierende Beweis für diese Kraft, und diese erste Schöpfung ist Gottes mächtigster, weltweiter Zeuge dafür, dass dieselbe Kraft im geistlichen Bereich wirkt und eine neue Realität schafft. Deshalb kann Paulus sagen, dass die Schöpfung Gottes „ewige Kraft“ offenbart und alle Menschen „ohne Entschuldigung“ sind, wenn sie „Gottes Kraft“ in Form des Evangeliums ablehnen und damit auch „Gottes Gerechtigkeit“ verwerfen, die ihnen im Evangelium angeboten wird und „jedem Glaubenden“ zugesprochen und verliehen wird:

Röm 1,16 Denn ich schäme mich des Evangeliums nicht, ist es doch Gottes Kraft zum Heil jedem Glaubenden, sowohl dem Juden zuerst als auch dem Griechen.

17 Denn Gottes Gerechtigkeit wird darin geoffenbart aus Glauben zu Glauben, wie geschrieben steht: „Der Gerechte aber wird aus Glauben leben.“ …

20 Denn sein unsichtbares Wesen, sowohl seine ewige Kraft als auch seine Göttlichkeit, wird seit Erschaffung der Welt in dem Gemachten wahrgenommen und geschaut, damit sie ohne Entschuldigung seien.

Das Wunder der Erlösung geschieht nur dann, wenn das gehörte Wort Gottes auf Glauben trifft:

Heb 4,2 Auch uns ist eine gute Botschaft [„Evangelium“] verkündigt worden, wie auch jenen; aber das gehörte Wort nützte jenen nicht, weil es bei denen, die es hörten, sich nicht mit dem Glauben verband.

MB 150 Nimm dir im Herzen vor, dem zu gehorchen, was du vom Wort Gottes weißt. Seine Kraft, ja sein Leben wohnt in seinem Wort. Nimmst du das Wort im Glauben auf, wird es dir Kraft zum Gehorsam schenken.

66. Statt eine „klinisch reine“, von allen menschlichen Werken separierte Rechtfertigung als das Heil zu predigen, sollten Adventisten sich bewusst werden, dass „das Reich Gottes nicht im Wort besteht, sondern in Kraft“ (1Kor 4,20).

Das Reich Gottes kann nicht allein durch himmlische Buchungsvorgänge (zugerechnete Gerechtigkeit) gebaut werden, denn nur wiedergeborene Menschen können dort hineingelangen, wie Jesus Nikodemus sagte. Diese wundersame Neuschöpfung und Wiederherstellung des Menschen ist ein Beweis der ungeheuren Macht Gottes zu unserer Rettung. Deswegen nennt Paulus das Evangelium auch nicht nur eine gute Botschaft (Worte), sondern eine „zum Heil“ notwendige „Kraft Gottes“:

Röm 1,16 Ich schäme mich des Evangeliums nicht, ist es doch Gottes Kraft zum Heil jedem Glaubenden …

(Randbemerkung: Würden wir das Evangelium mehr als Kraft erleben, nicht nur als eine Menge „guter Worte“, dann würden wir unsere Scheu vor Zeugnisgeben und Mission verlieren und es begeistert an allen Hecken und Zäunen ausrufen. Und das ist auch Gottes Plan mit der Botschaft an Laodizea, die, wenn sie wirklich akzeptiert und gelebt wird, in den Lauten Ruf münden wird!)

Der Geist der Prophetie bringt die zwei Säulen der „Gerechtigkeit aus Glauben“ einfach verständlich auf den Punkt:

RH, 4.6.1895 Die Gerechtigkeit, die uns rechtfertigt, ist zugerechnet; die Gerechtigkeit, die uns heiligt, ist verliehen. Die erste ist unser Anrecht auf den Himmel, die zweite unsere Eignung für den Himmel. (vgl. RJ 20)

Jetzt kann man lange darüber diskutieren, welche Art Gerechtigkeit wohl wichtiger oder gar entscheidend für unseren Eintritt in den Himmel ist, doch die schlichte Wahrheit ist: Beide sind gleich unverzichtbar.

Dafür ein Beispiel. Nehmen wir an, du erhältst eine schriftliche Einladung zu einer ganz besonderen Festlichkeit. Das Eintrittsticket liegt bei und ist für dich umsonst; die einzige Bedingung ist, dass die Gäste elegante Kleidung tragen. Nun gibt es drei Möglichkeiten, wie du zur Feier erscheinen kannst, aber nur eine Möglichkeit, am Fest wirklich teilzunehmen:

  1. Du nimmst das Ticket mit, kommst aber in Jeans und T-Shirt.
    Resultat: Dein Ticket beweist zwar, dass du zur Festgesellschaft gehörst, aber du erhältst keinen Einlass, weil du unpassend angezogen bist.
  2. Du ziehst deine beste Garderobe an, vergisst aber dein Ticket.
    Resultat: Du bist zwar passend angezogen, aber nicht zur Teilnahme berechtigt.
  3. Du nimmst das Ticket mit und kommst in deiner besten Garderobe.
    Resultat: Du bist sowohl zur Teilnahme berechtigt als auch passend angezogen – du wirst eingelassen!

Jetzt ist Gott nicht nur ein guter Gastgeber, sondern auch ein sehr gnädiger. Weil er weiß, dass kein Mensch auf dieser Erde die passende Garderobe für Sein himmlisches Hochzeitsfest hat, lässt Er nicht nur jedem von uns eine schriftliche Einladung mit Ticket zukommen, sondern stellt gleichzeitig die nötige Kleidung zur Verfügung – beides völlig kostenfrei.

Diese Situation beschreibt Jesus in Seinem Gleichnis von der Hochzeitsfeier. Im Orient war es üblich, dass der Gastgeber nicht nur einlud, sondern auch für passende Feierkleider sorgte. Da die Gäste nichts weiter zu tun hatten, als das bereitgestellte, feierliche Kleid anzuziehen, war es ein Affront gegen den Hausherrn, wenn ein Gast dies missachtete und in Alltagskleidung erschien. Daher findet der Ertappte im Gleichnis auch keine Entschuldigung und bleibt stumm.

Mt 22,11 Als aber der König hereinkam, die Gäste zu besehen, sah er dort einen Menschen, der nicht mit einem Hochzeitskleid bekleidet war.

12 Und er spricht zu ihm: Freund, wie bist du hier hereingekommen, da du kein Hochzeitskleid hast? Er aber verstummte.

13 Da sprach der König zu den Dienern: Bindet ihm Füße und Hände, und werft ihn hinaus in die äußere Finsternis: da wird das Weinen und das Zähneknirschen sein.

„Denn viele sind Berufene, wenige aber Auserwählte“, heißt es im nächsten Vers. Mit anderen Worten: Viele haben die Einladung erhalten, viele hätten das Recht, an der Feier teilzunehmen, doch auserwählte Gäste sind am Ende nur diejenigen, die auch das Hochzeitskleid tragen. Dieses Kleid ist mehr als Vergebung oder Rechtfertigung – es steht für einen neuen, christusähnlichen Charakter:

Kol 3,9 Belügt einander nicht, da ihr den alten Menschen mit seinen Handlungen ausgezogen

10 und den neuen angezogen habt, der erneuert wird zur Erkenntnis nach dem Bild dessen, der ihn erschaffen hat! …

12 Zieht nun an als Auserwählte Gottes, als Heilige und Geliebte: herzliches Erbarmen, Güte, Demut, Milde, Langmut! …

14 Zu diesem allen aber zieht die Liebe an, die das Band der Vollkommenheit ist!

Röm 13,14 … zieht den Herrn Jesus Christus an …

Damit wir die wahrlich heilsentscheidende Bedeutung des hochzeitlichen Kleides nicht missverstehen, hat Gott sie uns durch Ellen White zusätzlich erklärt. Zuerst einmal, wozu es nicht da ist:

OHC 214 Heiligung ist ein Zustand der Heiligkeit, außen und innen heilig zu sein und ganz und gar dem Herrn zu gehören, nicht förmlich, sondern wahrhaftig. Jede Unreinheit der Gedanken, jede begehrende Lust trennt die Seele von Gott, denn Christus kann sein Kleid der Gerechtigkeit niemals einem Sünder anziehen, um dessen Mangelhaftigkeit zu verbergen.

Nun das Hochzeitskleid, wie es in Christi Gleichnisse beschrieben wird (teils schon in These 62 zitiert):

COL 312 Christus hat als Mensch einen vollkommenen Charakter ausgeformt, und sein Angebot ist, uns diesen Charakter zu verleihen … Der Sohn Gottes ist „geoffenbart worden, damit er die Sünden wegnehme; und Sünde ist nicht in ihm.“ (1Jo 3,5) … Durch seinen vollkommenen Gehorsam hat er es jedem Menschen möglich gemacht, Gottes Geboten zu gehorchen. Wenn wir uns Christus ausliefern, wird das Herz mit seinem Herzen vereint, der Wille geht in seinem Willen auf, die Gesinnung wird eins mit seiner Gesinnung, die Gedanken werden gefangen genommen unter ihn – wir leben sein Leben. Das bedeutet es, mit dem Kleid seiner Gerechtigkeit bekleidet zu sein. Wenn der Herr uns dann anschaut, sieht er keinen Schurz aus Feigenblättern, nicht die Nacktheit und Entstelltheit der Sünde, sondern sein eigenes Gewand der Gerechtigkeit, nämlich vollkommenen Gehorsam gegenüber dem Gesetz Jehovas.

Kurz darauf erklärt sie, warum „Charakter“ und „Werke“ eng verwandt sind und beide ihren Ursprung im Glauben an Christus haben:

COL 312 Gerechtigkeit bedeutet, das Rechte zu tun, und es sind die Taten, nach denen jeder gerichtet werden wird. Unser Charakter offenbart sich darin, was wir tun. Die Werke zeigen, ob der Glaube echt ist.

Wenn wir also „nach Werken“ gerichtet werden, werden wir eigentlich „nach Charakter“ gerichtet und noch eigentlicher „nach dem Glauben“, der die Werke hervorgebracht und auf diese Weise unseren Charakter geformt hat. Tatsächlich steht also unser Glaube auf dem Prüfstand. Und ein gerechter Charakter ist, wie schon in These 60 angesprochen, tatsächlich die Frucht des Glaubens, ist „Gerechtigkeit aus Glauben“, ist „Vollkommenheit aus Glauben“ – vollständige Vergebung und vollständige Neuschöpfung, die auf dem kindlichen Vertrauen auf Christus als persönlichen Erlöser und der Wahrhaftigkeit Seiner Verheißungen beruhen.

3SM 172 Worin besteht der „Glaube Jesu“ in der dritten Engelsbotschaft? … Zu glauben, dass Christus in der Lage ist, uns überschwänglich und völlig und gänzlich zu retten – das ist der Glaube Jesu.

Diesen Glauben wünsche ich uns von ganzem Herzen. Wir brauchen ihn so sehr! Und der Herr wartet darauf, ihn uns zu schenken, wenn wir „Buße tun“ – umdenken.