84. Solange wir leben, ist unsere Aufgabe, durch „seine göttliche Kraft“ und „die kostbaren und größten Verheißungen“ unsere „Berufung und Erwählung fest zu machen“ (2Pe 1,3.4.10).

Kann man wirklich die Bibel lesen und die Hunderte und Tausende moralischer Appelle – Ermutigung, Ermahnung, Stärkung, Belehrung, Motivierung, Zurechtweisung – übersehen, die auf buchstäblich jeder einzelnen Seite an die Gläubigen gerichtet werden? Welchen Sinn hätten alle diese Weisungen, wäre unsere Rettung schon „vollbracht“ und unser Heil bereits „gewiss“? Sie wären kaum mehr als Beiwerk, Zierrat, Makulatur. Und so werden sie, wenn wir ehrlich sind, teilweise in unseren Reihen auch behandelt.

Ist in unsere Gemeinden die „antiautoritäre Erziehung“ auf geistlicher Ebene eingedrungen? Fürchten wir uns, Maßstäbe aufzuzeigen und moralische Standards einzufordern? Hoffen wir, die Bäume in unserem Gemeindegarten würden schon von selbst die richtige Form annehmen und reiche Frucht bringen, wenn wir uns nur alle „lieb haben“ und jeden „bedingungslos annehmen“? Aus diesem Traum sollten wir aufwachen, denn das funktioniert weder in der Kinder- noch in der Erwachsenenerziehung. Von allein wächst in dieser Welt nur das Böse. Wir sind gefallene Wesen, selbst in bekehrtem Zustand. Nur durch gezielte, gewollte und beständige Prägung – von innen durch den Dienst des Heiligen Geistes, von außen durch den Dienst der Gemeindefamilie – entsteht ein schöner, Christus ähnlicher, himmelstauglicher Charakter.

Möge der Geist uns die folgenden Worte aufschließen und tief einprägen, denn sie sind eines der zahllosen Beispiele für die biblische Ausgewogenheit zwischen notwendiger Ermahnung und notwendiger Ermutigung:

2Pe 1,3 Da seine göttliche Kraft uns alles zum Leben und zur Gottseligkeit geschenkt hat durch die Erkenntnis dessen, der uns berufen hat durch seine eigene Herrlichkeit und Tugend,

4 durch die er uns die kostbaren und größten Verheißungen geschenkt hat, damit ihr durch sie Teilhaber der göttlichen Natur werdet, die ihr dem Verderben, das durch die Begierde in der Welt ist, entflohen seid:

5 eben deshalb wendet aber auch allen Fleiß auf und reicht in eurem Glauben die Tugend dar, in der Tugend aber die Erkenntnis,

6 in der Erkenntnis aber die Enthaltsamkeit, in der Enthaltsamkeit aber das Ausharren, in dem Ausharren aber die Gottseligkeit,

7 in der Gottseligkeit aber die Bruderliebe, in der Bruderliebe aber die Liebe!

8 Denn wenn diese Dinge bei euch vorhanden sind und zunehmen, lassen sie euch im Hinblick auf die Erkenntnis unseres Herrn Jesus Christus nicht träge und nicht fruchtleer sein.

9 Denn bei wem diese Dinge nicht vorhanden sind, der ist blind, kurzsichtig und hat die Reinigung von seinen früheren Sünden vergessen.

10 Darum, Brüder, befleißigt euch umso mehr, eure Berufung und Erwählung fest zu machen! Denn wenn ihr diese Dinge tut, werdet ihr niemals straucheln.

11 Denn so wird euch reichlich gewährt werden der Eingang in das ewige Reich unseres Herrn und Heilandes Jesus Christus.

82. Hoffnung hat Frieden mit Gott, weil sie in seinen Verheißungen ruht, während sie gleichzeitig einen heiligen Vorwärtsdrang besitzt, sich diese Verheißungen zu eigen zu machen.

Glaube und Hoffnung ruhen nicht in Sichtbarem und sinnlich Wahrnehmbarem, ja nicht einmal in logisch Nachvollziehbarem, sondern im ewigen, „siebenmal geläuterten“ (Ps 12,7) und uneingeschränkt wahrhaftigen Wort eines Gottes, „der nicht lügen kann“ (Tit 1,2). Das ist gerade das Wesen des Glaubens, den wir von Gott erhalten, dass er uns an einem Punkt jenseits des menschlichen Horizontes verankert. Das macht rettenden Glauben zu etwas „Geistlichem“, im Gegensatz zu den verschiedensten Varianten von „Fleischlichem“, die der Mensch aus seiner eigenen Kreativität und Willenskraft hervorbringen kann.

„Frieden mit Gott“ ist die geistliche Frucht des Glaubens an Christus als vollständigen Erlöser. Es ist ein geistlicher Friede, der sich nicht in erster Linie auf Fakten stützt, sondern auf die existenzielle Gemeinschaft mit Jesus und die neue Identität in Ihm (These 80). In Gottes Verheißungen zu „ruhen“, heißt nicht in erster Linie, in intellektuell erfassbaren Tatsachen zu ruhen (dazu muss man nicht geistlich sein), sondern in einer von Vertrauen, Liebe und Hingabe geprägten Beziehung (das kann nur ein wiedergeborener Mensch, da es eine „geistliche“ Beziehung ist, vermittelt durch den „Geist“ Gottes).

Röm 8,24 Eine Hoffnung, die gesehen wird, ist keine Hoffnung. Denn wer hofft, was er sieht?

Heb 11,1 Der Glaube aber ist eine Verwirklichung dessen, was man hofft, ein Überführtsein von Dingen, die man nicht sieht.

Weil nun Glaube und Hoffnung sich per Definition auf etwas beziehen, das „man nicht sieht“, von dem man aber dennoch „überführt“ = überzeugt ist, entfalten sie sich in einer inspirierenden und motivierenden Spannung: Sie streben nach der Verwirklichung des Erhofften (der Verheißung), befähigen ihren Besitzer aber schon jetzt zu einem „Ruhen in der Verheißung“, die ihren Grund in der Verlässlichkeit dessen findet, der die Verheißung gegeben hat.

Dieser scheinbare Gegensatz ist tief biblisch und unverzichtbar für ein gesundes Verstehen und Erfahren des Evangeliums in seiner erlösenden Kraft. Seine beste Schilderung findet er wahrscheinlich im Hebräerbrief, und das beste Beispiel oder praktische Gleichnis dafür ist wohl der Sabbat, wie er in diesem Brief beleuchtet wird. Paulus nennt Israels Einzug ins Land Kanaan das „Eingehen in die Ruhe“ und setzt diese Ruhe gleich mit der Sabbatruhe und ganz allgemein mit Erlösung:

Heb 4,6 Weil es nun dabei bleibt, dass einige in [die Ruhe] eingehen und die, denen zuerst die gute Botschaft verkündigt worden ist [die aus Ägypten gezogene Generation Israels], des Ungehorsams wegen nicht hineingegangen sind,

7 bestimmt er wieder einen Tag: ein „Heute“, und sagt durch David nach so langer Zeit, wie vorhin gesagt worden ist: „Heute, wenn ihr seine Stimme hört, verhärtet eure Herzen nicht!“

8 Denn wenn Josua sie in die Ruhe gebracht hätte, würde er danach nicht von einem anderen Tag geredet haben.

9 Also bleibt noch eine Sabbatruhe dem Volk Gottes übrig.

10 Denn wer in seine Ruhe eingegangen ist, der ist auch zur Ruhe gelangt von seinen Werken wie Gott von seinen eigenen.

11 Lasst uns nun eifrig sein, in jene Ruhe einzugehen, damit nicht jemand nach demselben Beispiel des Ungehorsams falle [wie Israel in der Wüste]!

Das Volk Israel erlebte seine wahre „Sabbatruhe“ erst, nachdem sie unter Josua ihre neue Heimat Kanaan in Besitz genommen hatten. Das ist ein Typus für Erlösung – denn auch wir, das geistliche Israel, werden die wahre, noch ausstehende Sabbatruhe erst erleben, nachdem wir das himmlische Kanaan unter „Jesus“ (die griechische Form von „Josua“) eingenommen haben. Trotzdem dürfen wir jetzt schon Woche für Woche wie das Alte Israel den Sabbattag als Verheißung und Vorgeschmack der wahren Ruhe feiern und erleben. Am Sabbat ruhen wir real – aber gleichzeitig symbolisch in etwas, das noch nicht zur Erfüllung gekommen ist. Wir ruhen, um gestärkt in die nächsten sechs Tage zu gehen und „eifrig“ (V. 11) danach zu streben, dass sich die eigentliche Ruhe der Erlösung einmal an uns erfüllen wird. Das ist kein Widerspruch zum Glauben, sondern das wahre Wesen von Glauben und Hoffen.

Vers 10 wird oft so erklärt, als sei der Gläubige zur Ruhe gekommen von seinen fruchtlosen und auslaugenden Bemühungen, aus sich selbst Gehorsam und gute Werke hervorzubringen. Während der Gedanke an sich völlig richtig und ein ganz wesentlicher Teil des Erlösungsplanes ist, ist dies nicht, was der Vers sagt (dafür allerdings viele andere Bibelstellen). Tatsächlich spricht der Vers von Werken in einem positiven Zusammenhang, denn sie werden verglichen mit Gottes Werken an den sechs Schöpfungstagen, gefolgt von „Seiner Ruhe“ am ersten Sabbat der Weltgeschichte.

Der Text legt sogar nahe, dass ohne Werke gar keine Ruhe erfolgen kann, also nur der zur Ruhe gelangen wird, der Werke im Sinne Gottes getan hat, weswegen Paulus auch zu dem Fazit kommt: „Lasst uns nun eifrig sein, in jene Ruhe einzugehen“. Anders ausgedrückt: Nur mit persönlichem Eifer, der sich in entsprechenden Werken zeigt, können wir die versprochene Ruhe erreichen – gemäß dem Vorbild Gottes bei der Schöpfung und entgegen dem Negativbeispiel Israels, das „des Ungehorsams wegen“ (V. 6), also wegen mangelnder Werke, das gelobte Land nicht betreten konnte. Daher sind diese erwünschten Werke ganz offensichtlich Glaubenswerke, gewirkt durch den Heiligen Geist, verdient und vorbereitet von Christus, gelebt aus einer lebendigen Beziehung mit Jesus heraus. Das „zur Ruhe Gelangen“ des Gläubigen „von seinen Werken“ entspricht dem Gedanken in Offenbarung 14:

Off 14,13 Glückselig die Toten, die von jetzt an im Herrn sterben! Ja, spricht der Geist, damit sie ruhen von ihren Mühen, denn ihre Werke folgen ihnen nach.

81. Hoffnung schaut nicht auf Sichtbares, sondern glaubt an das Unsichtbare, weil Gott es versprochen hat.

Röm 8,24 Auf Hoffnung hin sind wir errettet worden. Eine Hoffnung aber, die gesehen wird, ist keine Hoffnung. Denn wer hofft, was er sieht?

25 Wenn wir aber das hoffen, was wir nicht sehen, so warten wir mit Ausharren.

Gottes Versprechen erfüllen sich immer, und der höchste Beweis und die größte aller Sicherheiten und Ermutigungen, die Gott uns dafür geben konnte, war die Menschwerdung Seines Sohnes und dessen Opfer auf Golgatha als Sündenträger für die Welt. Christus ist das unbedingte JA Gottes zum gefallenen Menschen.

2Kor 1,19 Denn der Sohn Gottes, Christus Jesus, … war nicht Ja und Nein, sondern in ihm ist ein Ja geschehen.

20 Denn so viele Verheißungen Gottes es gibt, in ihm ist das Ja, deshalb auch durch ihn das Amen, Gott zur Ehre durch uns.

Weil Gott einen so unendlich hohen Preis für dieses Ja gezahlt hat, ist es absolut sicher und unverrückbar, dass er in demselben Namen auch das Amen sprechen wird, nämlich die Erfüllung und Vollendung jeder Verheißung. In Christus empfangen wir die Verheißung und erhalten Anrecht auf ihre Segnungen, und durch Christus erfüllt sich die Verheißung an uns. In diesem Prinzip besteht das ganze Evangelium, und es umfasst den gesamten Erlösungsplan. Christus ist für jeden von uns das Alpha und das Omega, der Anfang und das Ende, der Erste und der Letzte. Wir haben daher nicht den geringsten Grund, an unserer Vervollkommnung zu zweifeln, denn ihre Verwirklichung im Heilsplan ist zutiefst verwurzelt im Wesen und Charakter Gottes.

Bedenken wir die tiefe Gewissheit, die Gott uns ins Herz pflanzen möchte und wie sie im folgenden Abschnitt zum Ausdruck kommt:

Heb 6,13 Denn als Gott dem Abraham die Verheißung gab, schwor er bei sich selbst – weil er bei keinem Größeren schwören konnte –

14 und sprach: „Wahrlich, reichlich werde ich dich segnen, und sehr werde ich dich mehren.“

15 Und so erlangte er, indem er ausharrte, die Verheißung.

16 Denn Menschen schwören bei einem Größeren, und der Eid ist ihnen zur Bestätigung ein Ende alles Widerspruchs.

17 Deshalb hat sich Gott, da er den Erben der Verheißung die Unwandelbarkeit seines Ratschlusses noch viel deutlicher beweisen wollte, mit einem Eid verbürgt,

18 damit wir durch zwei unveränderliche Dinge, bei denen Gott doch unmöglich lügen kann, einen starken Trost hätten, die wir unsere Zuflucht dazu genommen haben, die vorhandene Hoffnung zu ergreifen.

19 Diese haben wir als einen sicheren und festen Anker der Seele, der in das Innere des Vorhangs hineinreicht,

20 wohin Jesus als Vorläufer für uns hineingegangen ist, der nach der Ordnung Melchisedeks Hohepriester in Ewigkeit geworden ist.

Es ließe sich so viel zu diesen Versen sagen, aber das würde den Rahmen dieses Kommentars sprengen. Schließen wir diese These mit dem Gedanken: Der „sichere und feste Anker unserer Seele“ – unsere Hoffnung, unsere biblische „Heilsgewissheit“, wenn man es so nennen will – ist Jesus, unser Stellvertreter, Bürge und Hohepriester im himmlischen Heiligtum, dessen Leben, Tod, Auferstehung und Fürsprache das Ja und Amen dafür sind, dass aus uns Sündern wieder Heilige werden – vollkommen hergestellt wie einst Adam und Eva, ohne jeden Makel, ohne Flecken und Runzel, ohne das kleinste bisschen, was noch an die Entstellung der Sünde erinnern könnte. Was für eine große und kostbare Verheißung!

68. Vollständige Vergebung durch Christus ist gleichzeitig die Verheißung vollständiger Heiligung durch Christus. Wenn wir das Erste glauben, obwohl wir es weder sehen noch fühlen können, dürfen wir im selben Maße das Zweite glauben, obwohl wir es weder sehen noch fühlen können.

Paulus beschreibt Gottes Vorsorge im Erlösungsplan im Römerbrief:

Röm 8,29 Die er vorher erkannt hat, die hat er auch vorherbestimmt, dem Bilde seines Sohnes gleichförmig zu sein, damit er der Erstgeborene sei unter vielen Brüdern.

30 Die er aber vorherbestimmt hat, diese hat er auch berufen; und die er berufen hat, diese hat er auch gerechtfertigt; die er aber gerechtfertigt hat, diese hat er auch verherrlicht

Auch wenn diese Verse im deutschen Perfekt stehen (griechisch im Aorist), sagen sie nicht etwa aus, dass sich bereits alles erfüllt hat, was zu unserer Erlösung notwendig ist – sonst wären wir alle schon „verherrlicht“, was offensichtlich nicht der Fall ist. Paulus stellt zuerst fest, wozu Gott uns „vorherbestimmt“ hat (nämlich „dem Bilde seines Sohnes gleichförmig zu sein“; V. 29), und erklärt dann, dass Er für alle nötigen Schritte, um zu diesem Ziel zu gelangen, vorgesorgt hat: für unsere „Berufung“, für unsere „Rechtfertigung“, für unsere „Verherrlichung“. Paulus macht in diesen Versen grundsätzliche Aussagen ohne konkreten Zeitbezug. Die entsprechende Wiedergabe im Deutschen wäre die Gegenwartsform als Ausdruck einer allgemeinen Gesetzmäßigkeit: „Wen Gott vorher erkennt, den bestimmt Er auch vorher; und wen Er vorherbestimmt, den beruft Er auch; und wen Er beruft, den rechtfertigt Er auch; und wen Er rechtfertigt, den verherrlicht Er auch.“ Und als größten Beweis dafür, dass Gott Sein Werk für uns zu einem wunderbaren und vollständigen Abschluss bringen wird, führt der Apostel das Opfer Jesu an:

Röm 8,32 Er, der doch seinen eigenen Sohn nicht verschont, sondern ihn für uns alle hingegeben hat: wie wird er uns mit ihm nicht auch alles schenken?

Das bringt zum Ausdruck, dass es absolut undenkbar ist, dass Gott die allergrößte Investition in die Menschheit tätigt, indem Er Seinen einzigen, göttlichen Sohn hingibt, dann aber versäumt, das Erlösungswerk auch bis zur Vollendung zu bringen. Ein solcher Gedanke wäre abstrus und würde Gottes Wesen völlig verkennen. Das ist die Sicherheit, die wir im Aufschauen auf Gottes Liebe, Gnade und Treue haben dürfen. In dieser Erkenntnis, die im Charakter Gottes verwurzelt ist, finden wir zu Ruhe und Geborgenheit, selbst wenn Gottes Werk für und in uns heute noch nicht vollendet ist. Doch weil Gott so ist, wie Er ist, und dies so vielfältig in Seinem Wort bezeugt hat, haben wir Frieden in der Gewissheit, dass Er, was heute noch ausstehen mag, morgen, übermorgen oder an einem beliebigen zukünftigen Tag unseres Lebens (den wir nicht zu wissen brauchen, aber Gott kennt ihn) vollenden wird. Das ist biblische „Heilsgewissheit“. Sie wächst nicht aus bereits vollendeten Tatsachen, sondern aus dem Vertrauen auf Gottes Treue, die uns mit Unvollendetem leben lässt, als wäre es bereits vollendet.

Heb 2,17 Daher musste er in allem den Brüdern gleich werden, damit er barmherzig und ein treuer Hohepriester vor Gott werde, um die Sünden des Volkes zu sühnen.

1Joh 1,9 Wenn wir unsere Sünden bekennen, ist er treu und gerecht, dass er uns die Sünden vergibt und uns reinigt von jeder Ungerechtigkeit.

1Kor 1,7 Daher habt ihr an keiner Gnadengabe Mangel, während ihr das Offenbarwerden unseres Herrn Jesus Christus erwartet,

8 der euch auch festigen wird bis ans Ende, sodass ihr untadelig seid an dem Tag unseres Herrn Jesus Christus.

9 Gott ist treu, durch den ihr berufen worden seid in die Gemeinschaft seines Sohnes Jesus Christus, unseres Herrn.

1Thess 5,23 Er selbst aber, der Gott des Friedens, heilige euch völlig; und vollständig möge euer Geist und Seele und Leib untadelig bewahrt werden bei der Ankunft unseres Herrn Jesus Christus!

24 Treu ist, der euch beruft; er wird es auch tun.

Die „Sühnung“ und „Reinigung“ von jeder Sünde und die Wandlung zu „völliger Heiligung“ und „Untadeligkeit“ stützt sich auf Gottes Treue. Deswegen ist Seine vollständige Vergebung für uns (der Beginn des Heilwerdens) gleichzeitig die Gewissheit unserer vollständigen Heiligung (der Abschluss des Heilwerdens).

RH, 19.8.1890 Eine Begnadigung, wie Christus sie schenkt, beinhaltet nicht nur Vergebung, sondern die Erneuerung unseres Sinnes. Der Herr sagt: „Ich werde euch ein neues Herz geben.“ (Hes 36,26) Das Bild Christi soll Geist, Herz und Seele direkt aufgeprägt werden.

MB 113 Vergebung hat eine weitere Bedeutung, als viele meinen. Gottes Vergebung ist nicht bloß ein gerichtlicher Vorgang, durch den Er unsere Verurteilung aufhebt. Sie ist nicht nur das Vergeben von Sünde, sondern das Herausnehmen aus der Sünde. Sie ist das Ausströmen erlösender, das Herz verwandelnder Liebe.

Der Prozess des Heilwerdens beginnt im Glauben, wird vom Glauben getragen und im Glauben zur Vollendung gebracht. Und Glaube ist unabhängig davon, was wir fühlen oder mit den Sinnen wahrnehmen. Er ist die Entscheidung, aus Prinzip zu vertrauen, motiviert von der Erkenntnis und Erfahrung, dass Gott uns unendlich liebt und Seinen Gnadenbund mit uns niemals brechen wird. Rettender Glaube heißt, sich über alle Gefühle hinaus auf Gottes Wort zu verlassen. Er ist der Schlüssel zu geistlicher Heilung und innerer Befreiung.

DA 203 Viele sind sich ihrer Hilflosigkeit bewusst und sehnen sich nach jenem geistlichen Leben, das sie in Einklang mit Gott bringt; sie mühen sich jedoch vergeblich, es zu erringen. Voller Verzweiflung rufen sie aus: „Ich elender Mensch! Wer wird mich erlösen von dem Leibe dieses Todes?“ (Röm 7,24) Solche verzweifelten und ringenden Menschen dürfen aufschauen. Der Heiland neigt sich über die mit seinem Blut Erkauften und fragt mit unaussprechlicher Güte und herzlichem Erbarmen: „Willst du gesund werden?“ Er gebietet dir, in Gesundheit und Frieden aufzustehen. Warte nicht, bis du fühlst, dass du gesund geworden bist. Traue seinem Wort, und es wird sich an dir erfüllen. Stell deinen Willen auf die Seite Christi. Entschließe dich, ihm zu dienen. Sobald du auf sein Wort hin handelst, wirst du Kraft erhalten. Was immer du falsch gemacht haben magst und welche schwere Sünde auch durch lange Duldung deinen Körper und deine Seele gefangen hält – Christus ist in der Lage und sehnt sich danach, dich zu befreien. Er wird der Seele, die „tot“ ist in „Übertretungen“ (Eph 2,1), Leben verleihen.

65. Statt sich vom eigenen Unvermögen entmutigen zu lassen, sollten Adventisten vielmehr auf ihren Vater Abraham schauen, der seinem und Saras hohem Alter zum Trotz „Gott die Ehre gab“, indem er „der vollen Gewissheit (war), dass er, was er verheißen habe, auch zu tun vermöge“ (Röm 4,20.21).

Sein eigenes Unvermögen zu erleben, ist eine Erfahrung, die jeder Mensch durchmacht und für die wir Gott eigentlich dankbar sein können. Sie ist ein unverzichtbarer Schritt, um das Herz für das Evangelium zu öffnen – Vergebung und Neuschöpfung durch den Glauben an Jesus Christus als persönlichen Erlöser. Wäre Gottes Gesetz nicht ein so ungeschönter Spiegel, würden wir unseren wahren Zustand niemals erkennen und mehr oder weniger immer auf unsere eigenen „Stärken“ und Taten vertrauen. Wir brauchen das „Römer-7-Erlebnis“, damit unsere Selbstgerechtigkeit bedingungslos kapituliert – damit wir nichts mehr von uns erwarten, dafür aber alles von Jesus.

Nicht weniger wesentlich ist aber, dass wir aus unserer „elenden“ Situation (Röm 7,24) die richtigen Konsequenzen ziehen, d. h., das tun, wozu der Herr uns an dieser Stelle einlädt: uns völlig Ihm zu übergeben, damit Er in uns ein neues Leben im Einklang mit Gott beginnen kann. Ein wichtiges Bild für diesen radikalen Wechsel ist Tod und Auferstehung, symbolisiert in der Taufe. Der Römerbrief beschreibt an vielen Stellen, worin „das neue Leben“, zu dem wir dann auferstehen, besteht:

Röm 6,4 So sind wir nun mit ihm begraben worden durch die Taufe in den Tod, damit, wie Christus aus den Toten auferweckt worden ist durch die Herrlichkeit des Vaters, so auch wir in Neuheit des Lebens wandeln

6 da wir dies erkennen, dass unser alter Mensch mitgekreuzigt worden ist, damit der Leib der Sünde abgetan sei, dass wir der Sünde nicht mehr dienen.

Röm 6,17 Gott aber sei Dank, dass ihr Sklaven der Sünde wart, aber von Herzen gehorsam geworden seid dem Bild der Lehre, dem ihr übergeben worden seid!

18 Frei gemacht aber von der Sünde, seid ihr Sklaven der Gerechtigkeit geworden …

22 Jetzt aber, von der Sünde frei gemacht und Gottes Sklaven geworden, habt ihr eure Frucht zur Heiligkeit, als das Ende aber ewiges Leben.

Röm 7,11 Die Sünde ergriff durch das Gebot die Gelegenheit, täuschte mich und tötete mich durch dasselbe …

4 So seid auch ihr, meine Brüder, dem Gesetz getötet worden durch den Leib des Christus, um eines anderen zu werden, des aus den Toten Auferweckten, damit wir Gott Frucht bringen

6 Jetzt aber sind wir von dem Gesetz losgemacht, da wir dem gestorben sind, worin wir festgehalten wurden, sodass wir in dem Neuen des Geistes dienen und nicht in dem Alten des Buchstabens …

8,4 damit die Rechtsforderung des Gesetzes erfüllt wird in uns, die wir nicht nach dem Fleisch, sondern nach dem Geist wandeln

Das neue Leben heißt demnach: durch den Geist Gottes nicht mehr der Sünde dienen, sondern Gott und der Gerechtigkeit; von Herzen gehorchen; das Gesetz erfüllen und so für Gott Frucht tragen, nämlich Heiligkeit, was am Ende zu ewigem Leben führt. Das Geheimnis dieses neuen Lebens ist die Gegenwart des Geistes in uns, doch der Geist kann nur dann das Neue hervorbringen, wenn das Alte gestorben ist. Diese zwei Dinge sind untrennbar miteinander verbunden. Wer im Glauben mit Christus stirbt, steht auch mit Ihm zu einem neuen Leben auf. Wer nicht stirbt, erlebt auch keine Auferstehung.

Anders gesagt: Wir können nur dann in den Genuss der Vergebung gelangen, wenn wir zu einer grundlegenden Abkehr von unserem alten Leben und zu einer völligen Übergabe an den Heiligen Geist bereit sind. Das ist nichts anderes als biblische Buße. Wenn wir in dieser inneren Verfassung und im Vertrauen auf die Verdienste unseres Erlösers zu Gott kommen, empfangen wir Vergebung und die Gerechtigkeit, die der Heilige Geist hervorbringt, indem Er uns zu einem neuen Leben auferweckt.

Es gibt hier eine leicht erkennbare, aber sehr bedeutungsvolle Abfolge von zwei Schritten: 1) Tod durch das Gesetz, 2) Auferstehung durch den Geist. Das meint Paulus, wenn er sagt:

2Kor 3,6 Der Buchstabe tötet, der Geist aber macht lebendig.

Gal 2,19 Ich bin durchs Gesetz dem Gesetz gestorben …  20 … Christus lebt in mir.

Der Tod zeigt sich darin, dass ich „der Sünde nicht mehr diene“ (Röm 6,6); die Auferstehung zeigt sich darin, dass ich nun „der Gerechtigkeit“ diene (6,18), also Gottes Gesetz erfülle. Damit weist uns der Römerbrief auf einen wesentlichen Grund dafür hin, warum unsere Versuche, das neue Leben zu führen, so oft scheitern: Wir sind gegenüber unserem alten Leben mit seinen Sünden nicht „gestorben“, daher kann uns der Geist nicht zu dem neuen Leben „auferwecken“.

Neues Leben kommt nur aus dem Tod. Der alte Mensch (= unsere Selbstgerechtigkeit) muss tot sein, dann wird Gott ein neues Leben (= Seine Glaubensgerechtigkeit) schaffen. Das ist die große Lektion aus dem Leben Abrahams. Beachten wir, mit welchen Worten Paulus die Situation bei der Zeugung Isaaks beschreibt: Abraham hatte einen „schon erstorbenen Leib“, Sara einen „erstorbenen Mutterleib“ (Röm 4,19 SCH), bevor Isaak, der Sohn der Verheißung, entstand. Doch Abraham glaubte an einen Gott, „der die Toten lebendig macht und das Nichtseiende ruft, wie wenn es da wäre“ (V. 17). Er gab dadurch „Gott die Ehre“, dass er „der vollen Gewissheit war, dass er, was er verheißen habe, auch zu tun vermöge“ (V. 20.21). „Darum ist es ihm auch zur Gerechtigkeit gerechnet worden.“ Es war der Glaube „eines Toten“ an den „Gott, der Tote auferweckt“, der zu Abrahams Rechtfertigung führte. Dieser Punkt ist von entscheidender Wichtigkeit, denn:

Röm 4,23 Es ist aber nicht allein seinetwegen geschrieben, dass es ihm zugerechnet worden ist,

24 sondern auch unsertwegen, denen es zugerechnet werden soll, die wir an den glauben, der Jesus, unseren Herrn, aus den Toten auferweckt hat.

Es gibt für alle Menschen nur einen Weg, Rechtfertigung zu erlangen, und das ist der Weg Abrahams. Aber Laodizea ist noch nicht an diesem Punkt. Es gibt eine Menge „Ismaels“ in unserer Zeit – scheinbare Abkürzungen zur Erfüllung des verheißenen Segens. Wir haben unsere Versuche der Selbstrettung noch nicht konsequent aufgegeben, ebenso wenig wie unser altes Leben mit seinen Lieblingssünden, in die wir gerne mal zurückfallen und dafür auch schnell eine „Entschuldigung“ parat haben. Wir sind noch nicht an dem Punkt des Todes, wie Abraham und Sara es waren, und oft haben wir Angst davor, unser Lebensruder vollständig in Gottes Hand zu geben – dem eigenwilligen Ich „zu sterben“. Als Folge herrschen Lauheit und ein Mangel am Heiligen Geist. Also wartet Jesus auf die Bereitschaft zur Selbsterkenntnis, wirbt um „eifrige Buße“ und bietet uns das Gold völligen Vertrauens an, damit das neue Leben im Kleid Seiner Gerechtigkeit Wirklichkeit werden kann.

Gott alles zuzutrauen einschließlich unserer sittlichen Vervollkommnung, vor allem, wenn Er dies in zahlreichen Bibelversen doch ausdrücklich versprochen hat, „gibt Ihm die Ehre“ (Röm 4,20). Abraham traute Gott alles zu, und in diesem Vertrauen lernte er wahre „Gottesfurcht“ (1Mo 22,12), als er seinen einzigen Sohn Isaak auf dem Berg Morija darbrachte. Das hat uns viel zu sagen, die wir unter der Botschaft des ersten Engels leben: „Fürchtet Gott und gebt ihm die Ehre“ (Off 14,7).

60. Die Lehre der Charaktervervollkommnung ist nicht extrem, sondern die konsequente Weiterführung der reformatorischen Glaubensgerechtigkeit und unsere einzige Hoffnung auf ewiges Leben. Sie „gibt Gott die Ehre“ (Off 14,7) als Neuschöpfer und mächtigem Erlöser. Sie ist der einzige biblische und logische Weg zur endgültigen Beseitigung der Sünde und die großartigste Verheißung, die Gott Menschen je gemacht hat.

Vollkommenheit ist Heiligkeit, Reinheit, Wahrhaftigkeit, Liebe, Gerechtigkeit, Makellosigkeit, Untadeligkeit, Schönheit, Vollendung. Vollkommenheit vereint alles nur denkbar Positive in sich. Sie ist eine tiefgreifende Beschreibung des Wesens Gottes und in ihrer ultimativen Bedeutung Göttlichkeit par excellence. Wenn Vollkommenheit extrem ist, ist Gott extrem. Aber weil das natürlich nicht der Fall und Gott tatsächlich absolut und ohne jede Einschränkung gut ist, ist Vollkommenheit absolut und ohne jede Einschränkung gut.

Warum hat Vollkommenheit dann einen so schlechten Ruf in unseren Reihen? Warum schmeckt sie so anrüchig nach Fanatismus? Wieso schätzen, ehren und erstreben wir sie so wenig als eine unvergleichliche, erstaunliche und kostbarste Gabe Gottes? Weshalb lieben und ersehnen wir sie nicht als Ausdruck alles dessen, was unseren Vater im Himmel ausmacht und im Leben von Jesus Christus offenbar geworden ist? Wer oder was hat die Bedeutung dieses, ich möchte sagen, „heiligen“ Begriffes so getrübt und verdreht?

Christliche Vollkommenheit ist die Frucht wahrer Rechtfertigung. Ein Glaube, der uns in lebendige Gemeinschaft mit Christus bringt, führt immer zur inneren Vervollkommnung. Vollkommenheit ist die Verwirklichung und der Beweis echter Glaubensgerechtigkeit. Der Glaube ist das Alpha, Vollkommenheit das Omega und Christus, „das Alpha und das Omega“ in Person, ist auch das gesamte Alphabet, das diese beiden griechischen Buchstaben miteinander verbindet.

Ein geschätzter Prediger und Bibellehrer hielt einmal einen Vortrag über Rechtfertigung, bei dem ich anwesend war. Er stellte Heiligung als eine Kurve der Sittlichkeit dar, die ab der Bekehrung einen Aufwärtstrend mit Höhen und Tiefen erfuhr und dort, wo das Lebensende markiert war, bei etwa „70 % Heiligkeit“ auslief. In einem anschließenden Briefwechsel fragte ich ihn, was denn mit den fehlenden 30 % geschehe, da doch laut Bibel und Geist der Weissagung über den Tod hinaus keine Heiligung mehr stattfinde. Abgesehen davon, dass mir meine Argumentation das Prädikat eines „klassischen Perfektionisten“ einheimste, lautete seine Antwort: „Wir werden nicht aufgrund unserer Heiligung gerettet, sondern aufgrund des Todes Christi.“

Das ist eine leider häufig auftretende Du-fragst-nach-einem-Apfel-Hier-hast-du-eine-Birne-Antwort. Meine Nachfrage bezog sich nicht auf das Fundament, sondern auf das Gebäude, das darauf entsteht, und was denn passiert, wenn der Dachstuhl zwar steht, aber nie mit Ziegeln gedeckt wird. Ein Hinweis auf die tadellose Qualität des Fundamentes ist wenig hilfreich, wenn der Regen einsetzt.

Auf die Erlösung bezogen: Der Tod Christi ist in der Tat die Grundlage unserer Rettung, aber die Rettung selbst besteht in Vergebung und einem neuen Herzen – als Frucht und praktische Auswirkung von Christi Kreuzestod. Heiligung ist konkret gewordene Rettung, und deswegen lautete obige Antwort eigentlich: „Wir werden nicht aufgrund unserer Rettung gerettet, sondern aufgrund des Todes Christi.“ Nun steht es mir fern, diesem Bruder Böses zu unterstellen; doch tatsächlich gebrauchte er Golgatha als Begründung dafür, warum wir keine Rettung (in Gestalt völliger Heiligung) bräuchten.

Es stimmt: Wir werden nicht aufgrund unserer Heiligung gerettet – Heiligung ist die Rettung! Wir werden auch nicht aufgrund unserer Vollkommenheit erlöst – Vollkommenheit ist die Erlösung! Es geht hier schlicht um Ursache (Rechtfertigung) und Wirkung (Vervollkommnung), und ich kann eine mangelhafte Wirkung nicht damit beiseiteschieben, dass ich auf die wichtige Rolle der Ursache verweise.

Darum: Vollständige Heiligung ist der Zwillingsbruder von und die logische Konsequenz aus vollständiger Rechtfertigung, wie die Reformation sie entdeckt und verkündet hat. Und würde Gott uns Hoffnung auf ewiges Leben machen auch ohne sittliche Vollkommenheit, müsste er ein Plätzchen für Unvollkommenheit genannt „Sünde“ lassen und würde sie zwangsläufig mit verewigen.

„Aber so kleinlich wird Gott doch nicht sein …“ Kleinlich? Wenn das kleinlich ist, dann war es auch kleinlich, Adam und Eva wegen eines Apfels aus dem Paradies zu vertreiben und zum Tode zu verurteilen. Sind 6 000 Jahre auf einer Welt der Sünde immer noch nicht genug, um in furchtbarer Anschaulichkeit das Gegenteil zu beweisen? Eine „kleine Sünde“ war der Auslöser für das ganze grenzenlose Elend und Desaster auf diesem Planeten, ja für den unvorstellbar grausamen Tod des Sohnes Gottes – und wir wollen eine „kleine Sünde“ wieder in den Himmel importieren? Das Universum wird vor den katastrophalen Früchten der Rebellion erst sicher sein, wenn auch alle ihre Samenkörner – die kleinen Sünden, mit denen sie anfängt – vernichtet sind.

4T 578 Ein Schritt in die falsche Richtung ebnet den Weg für den nächsten. Ein einziges Glas Wein kann der Versuchung die Tür öffnen und einen Gewohnheitstrinker hervorbringen. Einen einzigen Moment Rachegefühlen nachzugeben, kann eine Kette von Emotionen in Gang setzen, die im Mord endet. Die kleinste Abweichung von Recht und Ordnung wird zur Trennung von Gott führen und kann im Glaubensabfall enden.

Mir ist bewusst, dass viele keinen Zweifel daran haben, dass die Neue Erde ein vollkommener Ort sein wird, nur finden sie viele Gründe, warum das angeblich auch ohne völlige Heiligung in diesem Leben funktioniert. Sie sagen, im Himmel werden wir nicht mehr sündigen, weil

  • wir vorher versiegelt worden sind,
  • wir durch die Verwandlung bei der Wiederkunft keine gefallene Natur mehr haben,
  • der Teufel nicht mehr da ist, um uns zu versuchen,
  • wir in dieser wunderbaren Umgebung gar nicht auf böse Gedanken kommen
  • usw.

Alle diese Begründungen verschieben die Ursache oder zumindest Verantwortung für meinen Ungehorsam nach außen: Ich sündige, weil Gott mich noch nicht versiegelt hat, weil ich meiner Natur nicht widerstehen kann, weil der Teufel mich anstachelt oder weil ich so wenig gute Vorbilder habe … Wenn wir solche Gedanken hegen, brauchen wir uns nicht zu wundern, dass wir nicht überwinden – wir verteidigen unsere Schwächen ja und verhindern damit, dass der Heilige Geist uns Reue und Vergebung schenkt, was wiederum die Grundvoraussetzung für ein geisterfülltes Leben als Überwinder ist.

Es gibt aber einen anderen, entscheidenden Grund, warum alle diese Überlegungen nichtig sind: Christus. Er war nicht versiegelt, Er hatte unsere gefallene Natur, der Teufel versuchte Ihn weit heftiger als jeden anderen Sterblichen, und Er war in derselben trostlosen Umgebung voller schlechter Vorbilder wie auch wir. Und dennoch war Sein Leben von makelloser Reinheit. Er ist unser Beispiel. Sein Weg führt zu vollkommener Gerechtigkeit. Christus in uns ist die „Hoffnung der Herrlichkeit“ (Kol 1,27; siehe auch These 62).

Zum Punkt, dass vollkommene Gerechtigkeit „unsere einzige Hoffnung auf ewiges Leben“ ist, sei kurz daran erinnert, was der Geist der Weissagung über Einwände gegen „Vollkommenheit“ und „Tadellosigkeit in Liebe und Heiligkeit“ zu sagen hat (siehe vorige These):

BE, 15.1.1892 Jemand mag sagen: „Diesem Anspruch kann ich unmöglich gerecht werden.“ Aber genau das musst du, sonst wirst du den Himmel niemals betreten.

Zum Punkt, dass Gott dadurch geehrt wird, dass er Menschen charakterlich vervollkommnet, noch einmal ein Zitat aus These 38:

DA 671 Die Vervollkommnung des Charakters seines Volkes ist eine Ehrensache für Gott, eine Ehrensache für Christus. (vgl. LJ 670)

Ja, wahrhaftig: Unsere Vervollkommnung ist „die großartigste Verheißung, die Gott Menschen je gemacht hat“ – so tief und groß und weit, dass sie uns fast überwältigt und wir unseren Kleinmut spüren, sie zuversichtlich und dankbar in Anspruch zu nehmen! Aber gehen wir doch wie einst die Jünger zum Herrn und bitten Ihn: „Mehre uns den Glauben!“ (Lk 17,5)

40. „Darum sollt ihr vollkommen sein, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist.“ (Mt 5,48) Dieses Gebot ist eine Verheißung. Der Erlösungsplan hat unsere vollständige Befreiung aus der Macht Satans zum Ziel.

Wer Das Leben Jesu kennt, weiß, dass diese These wörtlich daraus zitiert ist (S. 300). Diese wenigen Sätze fassen im Grunde das Evangelium zusammen. Sie bestätigen, dass Gott Vollkommenheit erwartet („Gebot“), weil Er sie selbst verwirklicht („Verheißung“), und dass Erlösung als ein Zusammenspiel von göttlicher Aktion („Erlösung, Befreiung“) und menschlicher Reaktion (Gehorsam gegenüber dem „Ihr sollt“) geschieht, dessen Ziel die „vollständige Freiheit“ ist, mit der Gott die ersten Menschen ausgestattet hatte.

Der Geist der Weissagung schildert uns, wie Jesus selbst durch das Zusammenspiel von Gottes „Geboten“ und „Verheißungen“ aus dem großen Kampf mit dem Teufel als Sieger hervorging:

MH 181 Der Heiland überwand, um den Menschen zu zeigen, wie sie überwinden können. Allen Versuchungen Satans begegnete Christus mit dem Wort Gottes. Indem er Gottes Verheißungen vertraute, empfing er Kraft, Gottes Geboten zu gehorchen, und der Versucher konnte keinen Vorteil erringen.

Überlegen wir einmal: Gott als barmherziger Vater und liebender Schöpfer würde niemals auch nur annähernd gefallenen Geschöpfen wie dir und mir etwas „gebieten“, von dem Er wüsste, dass wir dazu beim besten Willen nicht in der Lage wären. Selbst menschliche Eltern mit ihrer so begrenzten Liebesfähigkeit kämen nicht auf den Gedanken, ihre Kinder mit derartigen Forderungen zu quälen – wie viel mehr der Vater aller Väter!

Ellen White schreibt zum obigen Bibelvers (Mt 5,48) an anderer Stelle:

ST, 3.9.1902 Vor aller Welt lässt Gott uns zu lebendigen Zeugen dafür heranwachsen, was Männer und Frauen durch die Gnade Christi werden können. Wir werden ermahnt, nach einem vollkommenen Charakter zu streben. Der göttliche Lehrer sagt: „Darum sollt ihr vollkommen sein, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist.“ (Mt 5,48) Würde Christus uns damit schikanieren, dass er Unmögliches von uns verlangt? Nie und nimmer! Was für eine Ehre er uns erweist, dass er uns drängt, in unserem Bereich so heilig zu sein wie der Vater in seinem Bereich! Er kann uns dazu befähigen, denn er erklärt: „Mir ist alle Macht gegeben im Himmel und auf Erden.“ (Mt 28,18) Wir haben das Vorrecht, diese unbegrenzte Macht in Anspruch zu nehmen.

2SM 32 Die Schrift lehrt uns, nach der Heiligung von Körper, Seele und Geist für Gott zu streben. Dabei sollen wir mit Gott zusammenarbeiten. Es kann viel getan werden, um das sittliche Bild Gottes im Menschen wiederherzustellen und die körperlichen, geistigen und moralischen Fähigkeiten zu entwickeln. Große Veränderungen können im Organismus geschehen, wenn man Gottes Gesetzen gehorcht und dem Körper nichts Unreines zuführt. Zwar können wir keine Vollkommenheit des Fleisches beanspruchen, doch dürfen wir christliche Vollkommenheit der Seele haben. Durch das für uns gebrachte Opfer können Sünden vollkommen vergeben werden. Wir stützen uns nicht darauf, was der Mensch tun kann, sondern was Gott durch Christus für den Menschen tun kann. Wenn wir uns Gott ganz übergeben und völlig glauben, reinigt Christi Blut uns von allen Sünden. Das Gewissen kann frei werden von Verdammung. Durch den Glauben an Sein Blut kann jeder in Christus Jesus vervollkommnet werden. Gott sei Dank, dass wir es nicht mit Unmöglichkeiten zu tun haben! Wir dürfen Heiligung beanspruchen. Wir dürfen Gottes Gunst genießen. Wir sollen uns nicht darüber sorgen, was Christus und Gott von uns denken, sondern was Gott von Christus, unserem Stellvertreter, denkt. Ihr seid angenommen in dem Geliebten. (vgl. 2FG 33)

Es ist ein trauriges Kapitel Adventgeschichte, dass gerade die Zusage Jesu in diesem Vers (Mt 5,48), die die wunderbare Tiefe und Überschwänglichkeit des Erlösungsplanes zum Ausdruck bringt – die Wiederherstellung der Vollkommenheit, mit der Gott uns geschaffen hat –, so häufig gemieden, bestritten und relativiert worden ist. Der erste Schritt, dieses Stück Geschichte zu einem Kapitel des Triumphes zu machen, ist einzugestehen, dass diese Worte Jesu an sich schlicht, mächtig und herrlich sind und das einzige Problem damit unser Mangel an Glauben ist. Gottes Wort steht fest, und die Erfüllung aller Seiner Versprechen ist über jeden Zweifel erhaben. Doch entscheiden persönlicher Glaube oder Unglaube darüber, an wem sich das Wort verwirklicht und an wem nicht.

Wir brauchen kindlichen Glauben! Wir sollten daher konsequent alles Glaubensstärkende pflegen und hegen, zweifelnde Überlegungen hingegen verbannen und ihnen keinen Raum geben. Daher abschließend noch ein glaubensstärkender Gedanke aus dem obigen Vers: Unsere Vollkommenheit ist die natürliche Folge daraus, dass unser Vater vollkommen ist. Wir werden vollkommen sein, weil unser Vater vollkommen ist! Das ist das „Gesetz geistlicher Vererbung“. Wir bringen diese Vollkommenheit nicht aus uns selbst hervor, sondern Gott hat sie in uns hineingelegt, als Er uns durch die Wiedergeburt zu Seinen Kindern gemacht – „gezeugt“ – hat. Wenn wir Ihm so unbekümmert vertrauen, wie Kinder es natürlicherweise tun, schaffen wir den nötigen Raum, dass dieser göttliche Same der Vollkommenheit wachsen und reifen kann. Die Sonne der Gerechtigkeit Christi und der Regen des Heiligen Geistes werden die Frucht hervorbringen, die Gott bereits im Samenkorn verborgen hat. Das sind Naturgesetze. Nichts kann sie aufhalten – außer unserem Zweifel. Deshalb lasst uns unserem Vater im Himmel vertrauen! Er kann und wird uns nicht enttäuschen.