82. Hoffnung hat Frieden mit Gott, weil sie in seinen Verheißungen ruht, während sie gleichzeitig einen heiligen Vorwärtsdrang besitzt, sich diese Verheißungen zu eigen zu machen.

Glaube und Hoffnung ruhen nicht in Sichtbarem und sinnlich Wahrnehmbarem, ja nicht einmal in logisch Nachvollziehbarem, sondern im ewigen, „siebenmal geläuterten“ (Ps 12,7) und uneingeschränkt wahrhaftigen Wort eines Gottes, „der nicht lügen kann“ (Tit 1,2). Das ist gerade das Wesen des Glaubens, den wir von Gott erhalten, dass er uns an einem Punkt jenseits des menschlichen Horizontes verankert. Das macht rettenden Glauben zu etwas „Geistlichem“, im Gegensatz zu den verschiedensten Varianten von „Fleischlichem“, die der Mensch aus seiner eigenen Kreativität und Willenskraft hervorbringen kann.

„Frieden mit Gott“ ist die geistliche Frucht des Glaubens an Christus als vollständigen Erlöser. Es ist ein geistlicher Friede, der sich nicht in erster Linie auf Fakten stützt, sondern auf die existenzielle Gemeinschaft mit Jesus und die neue Identität in Ihm (These 80). In Gottes Verheißungen zu „ruhen“, heißt nicht in erster Linie, in intellektuell erfassbaren Tatsachen zu ruhen (dazu muss man nicht geistlich sein), sondern in einer von Vertrauen, Liebe und Hingabe geprägten Beziehung (das kann nur ein wiedergeborener Mensch, da es eine „geistliche“ Beziehung ist, vermittelt durch den „Geist“ Gottes).

Röm 8,24 Eine Hoffnung, die gesehen wird, ist keine Hoffnung. Denn wer hofft, was er sieht?

Heb 11,1 Der Glaube aber ist eine Verwirklichung dessen, was man hofft, ein Überführtsein von Dingen, die man nicht sieht.

Weil nun Glaube und Hoffnung sich per Definition auf etwas beziehen, das „man nicht sieht“, von dem man aber dennoch „überführt“ = überzeugt ist, entfalten sie sich in einer inspirierenden und motivierenden Spannung: Sie streben nach der Verwirklichung des Erhofften (der Verheißung), befähigen ihren Besitzer aber schon jetzt zu einem „Ruhen in der Verheißung“, die ihren Grund in der Verlässlichkeit dessen findet, der die Verheißung gegeben hat.

Dieser scheinbare Gegensatz ist tief biblisch und unverzichtbar für ein gesundes Verstehen und Erfahren des Evangeliums in seiner erlösenden Kraft. Seine beste Schilderung findet er wahrscheinlich im Hebräerbrief, und das beste Beispiel oder praktische Gleichnis dafür ist wohl der Sabbat, wie er in diesem Brief beleuchtet wird. Paulus nennt Israels Einzug ins Land Kanaan das „Eingehen in die Ruhe“ und setzt diese Ruhe gleich mit der Sabbatruhe und ganz allgemein mit Erlösung:

Heb 4,6 Weil es nun dabei bleibt, dass einige in [die Ruhe] eingehen und die, denen zuerst die gute Botschaft verkündigt worden ist [die aus Ägypten gezogene Generation Israels], des Ungehorsams wegen nicht hineingegangen sind,

7 bestimmt er wieder einen Tag: ein „Heute“, und sagt durch David nach so langer Zeit, wie vorhin gesagt worden ist: „Heute, wenn ihr seine Stimme hört, verhärtet eure Herzen nicht!“

8 Denn wenn Josua sie in die Ruhe gebracht hätte, würde er danach nicht von einem anderen Tag geredet haben.

9 Also bleibt noch eine Sabbatruhe dem Volk Gottes übrig.

10 Denn wer in seine Ruhe eingegangen ist, der ist auch zur Ruhe gelangt von seinen Werken wie Gott von seinen eigenen.

11 Lasst uns nun eifrig sein, in jene Ruhe einzugehen, damit nicht jemand nach demselben Beispiel des Ungehorsams falle [wie Israel in der Wüste]!

Das Volk Israel erlebte seine wahre „Sabbatruhe“ erst, nachdem sie unter Josua ihre neue Heimat Kanaan in Besitz genommen hatten. Das ist ein Typus für Erlösung – denn auch wir, das geistliche Israel, werden die wahre, noch ausstehende Sabbatruhe erst erleben, nachdem wir das himmlische Kanaan unter „Jesus“ (die griechische Form von „Josua“) eingenommen haben. Trotzdem dürfen wir jetzt schon Woche für Woche wie das Alte Israel den Sabbattag als Verheißung und Vorgeschmack der wahren Ruhe feiern und erleben. Am Sabbat ruhen wir real – aber gleichzeitig symbolisch in etwas, das noch nicht zur Erfüllung gekommen ist. Wir ruhen, um gestärkt in die nächsten sechs Tage zu gehen und „eifrig“ (V. 11) danach zu streben, dass sich die eigentliche Ruhe der Erlösung einmal an uns erfüllen wird. Das ist kein Widerspruch zum Glauben, sondern das wahre Wesen von Glauben und Hoffen.

Vers 10 wird oft so erklärt, als sei der Gläubige zur Ruhe gekommen von seinen fruchtlosen und auslaugenden Bemühungen, aus sich selbst Gehorsam und gute Werke hervorzubringen. Während der Gedanke an sich völlig richtig und ein ganz wesentlicher Teil des Erlösungsplanes ist, ist dies nicht, was der Vers sagt (dafür allerdings viele andere Bibelstellen). Tatsächlich spricht der Vers von Werken in einem positiven Zusammenhang, denn sie werden verglichen mit Gottes Werken an den sechs Schöpfungstagen, gefolgt von „Seiner Ruhe“ am ersten Sabbat der Weltgeschichte.

Der Text legt sogar nahe, dass ohne Werke gar keine Ruhe erfolgen kann, also nur der zur Ruhe gelangen wird, der Werke im Sinne Gottes getan hat, weswegen Paulus auch zu dem Fazit kommt: „Lasst uns nun eifrig sein, in jene Ruhe einzugehen“. Anders ausgedrückt: Nur mit persönlichem Eifer, der sich in entsprechenden Werken zeigt, können wir die versprochene Ruhe erreichen – gemäß dem Vorbild Gottes bei der Schöpfung und entgegen dem Negativbeispiel Israels, das „des Ungehorsams wegen“ (V. 6), also wegen mangelnder Werke, das gelobte Land nicht betreten konnte. Daher sind diese erwünschten Werke ganz offensichtlich Glaubenswerke, gewirkt durch den Heiligen Geist, verdient und vorbereitet von Christus, gelebt aus einer lebendigen Beziehung mit Jesus heraus. Das „zur Ruhe Gelangen“ des Gläubigen „von seinen Werken“ entspricht dem Gedanken in Offenbarung 14:

Off 14,13 Glückselig die Toten, die von jetzt an im Herrn sterben! Ja, spricht der Geist, damit sie ruhen von ihren Mühen, denn ihre Werke folgen ihnen nach.

81. Hoffnung schaut nicht auf Sichtbares, sondern glaubt an das Unsichtbare, weil Gott es versprochen hat.

Röm 8,24 Auf Hoffnung hin sind wir errettet worden. Eine Hoffnung aber, die gesehen wird, ist keine Hoffnung. Denn wer hofft, was er sieht?

25 Wenn wir aber das hoffen, was wir nicht sehen, so warten wir mit Ausharren.

Gottes Versprechen erfüllen sich immer, und der höchste Beweis und die größte aller Sicherheiten und Ermutigungen, die Gott uns dafür geben konnte, war die Menschwerdung Seines Sohnes und dessen Opfer auf Golgatha als Sündenträger für die Welt. Christus ist das unbedingte JA Gottes zum gefallenen Menschen.

2Kor 1,19 Denn der Sohn Gottes, Christus Jesus, … war nicht Ja und Nein, sondern in ihm ist ein Ja geschehen.

20 Denn so viele Verheißungen Gottes es gibt, in ihm ist das Ja, deshalb auch durch ihn das Amen, Gott zur Ehre durch uns.

Weil Gott einen so unendlich hohen Preis für dieses Ja gezahlt hat, ist es absolut sicher und unverrückbar, dass er in demselben Namen auch das Amen sprechen wird, nämlich die Erfüllung und Vollendung jeder Verheißung. In Christus empfangen wir die Verheißung und erhalten Anrecht auf ihre Segnungen, und durch Christus erfüllt sich die Verheißung an uns. In diesem Prinzip besteht das ganze Evangelium, und es umfasst den gesamten Erlösungsplan. Christus ist für jeden von uns das Alpha und das Omega, der Anfang und das Ende, der Erste und der Letzte. Wir haben daher nicht den geringsten Grund, an unserer Vervollkommnung zu zweifeln, denn ihre Verwirklichung im Heilsplan ist zutiefst verwurzelt im Wesen und Charakter Gottes.

Bedenken wir die tiefe Gewissheit, die Gott uns ins Herz pflanzen möchte und wie sie im folgenden Abschnitt zum Ausdruck kommt:

Heb 6,13 Denn als Gott dem Abraham die Verheißung gab, schwor er bei sich selbst – weil er bei keinem Größeren schwören konnte –

14 und sprach: „Wahrlich, reichlich werde ich dich segnen, und sehr werde ich dich mehren.“

15 Und so erlangte er, indem er ausharrte, die Verheißung.

16 Denn Menschen schwören bei einem Größeren, und der Eid ist ihnen zur Bestätigung ein Ende alles Widerspruchs.

17 Deshalb hat sich Gott, da er den Erben der Verheißung die Unwandelbarkeit seines Ratschlusses noch viel deutlicher beweisen wollte, mit einem Eid verbürgt,

18 damit wir durch zwei unveränderliche Dinge, bei denen Gott doch unmöglich lügen kann, einen starken Trost hätten, die wir unsere Zuflucht dazu genommen haben, die vorhandene Hoffnung zu ergreifen.

19 Diese haben wir als einen sicheren und festen Anker der Seele, der in das Innere des Vorhangs hineinreicht,

20 wohin Jesus als Vorläufer für uns hineingegangen ist, der nach der Ordnung Melchisedeks Hohepriester in Ewigkeit geworden ist.

Es ließe sich so viel zu diesen Versen sagen, aber das würde den Rahmen dieses Kommentars sprengen. Schließen wir diese These mit dem Gedanken: Der „sichere und feste Anker unserer Seele“ – unsere Hoffnung, unsere biblische „Heilsgewissheit“, wenn man es so nennen will – ist Jesus, unser Stellvertreter, Bürge und Hohepriester im himmlischen Heiligtum, dessen Leben, Tod, Auferstehung und Fürsprache das Ja und Amen dafür sind, dass aus uns Sündern wieder Heilige werden – vollkommen hergestellt wie einst Adam und Eva, ohne jeden Makel, ohne Flecken und Runzel, ohne das kleinste bisschen, was noch an die Entstellung der Sünde erinnern könnte. Was für eine große und kostbare Verheißung!

80. Unsere Hoffnung auf ewiges Leben besteht nicht in externen Fakten wie „zugerechneter Gerechtigkeit“ oder einem Eintrag im Buch des Lebens, sondern in dem Sohn Gottes: „Wer den Sohn hat, hat das Leben; wer den Sohn Gottes nicht hat, hat das Leben nicht.“ (1Joh 5,12)

Diese These hat nicht den Sinn, die Bedeutung von Fakten abzuwerten, denn unsere Erlösung hat eine Menge mit objektiven Fakten zu tun, die außerhalb von uns ihren Bestand haben. Es ist Tatsache, dass uns bei der Übergabe unseres Lebens an Christus Seine Gerechtigkeit zugerechnet und unser Name ins Lebensbuch eingeschrieben worden ist. Es ist Tatsache, dass der Vater uns um der Verdienste Jesu willen im Augenblick unserer Bekehrung den Status und die Vorrechte eines Geschöpfes gewährt, das niemals gesündigt hat und in vollkommener sittlicher Reinheit vor Ihm steht. Ebenso ist Tatsache, dass Gott uns bereits „versiegelt und das Unterpfand des Geistes in unsere Herzen gegeben hat“ (2Kor 1,22).

All diese Liebesbeweise Gottes sollen uns deutlich machen und fest einprägen, wie kostbar wir Ihm sind, wie treu Er für unsere Vollendung vorgesorgt hat und dass Seine Gnadenmittel für unsere Erlösung so überschwänglich sind, dass der Vater schon vom allerersten Schritt unseres Lebensweges mit Christus uns ganz so behandelt, als sei alles bereits vollständig vollbracht. Es ist ein Ausdruck davon, wie sicher unsere Erlösung ist, wenn wir unser Vertrauen einfach stets und ständig auf Ihn setzen, egal was passiert. Er kann es sich leisten, vor den heiligen Engeln und dem gesamten Universum das Risiko einzugehen, uns schon jetzt voll als Seine Kinder anzuerkennen, weil Er weiß, dass nichts und niemand uns aus Seiner Hand reißen kann – außer wir selbst.

Ich versuche, es noch einmal anders auszudrücken: Gott versucht mit all diesen symbolträchtigen Handlungen und Zusicherungen nicht, uns die Illusion zu vermitteln, unser Heil sei bereits abgeschlossen und daher „gewiss“. Gott will uns aber mit der größtmöglichen Zuversicht (biblisch „Hoffnung“!) inspirieren, dass unsere Rettung absolut unerschütterlich ist und unweigerlich zum Ziel führen wird und muss, wenn wir nur eines tun: im Glauben auf Christus schauen und an Ihm bleiben, komme, was da wolle. Keine „externen Fakten“ können ersetzen, was letztlich entscheidend für eines jeden Erlösung sein wird: tägliche Hingabe an und innige Vertrautheit mit Jesus. Und die Frucht davon wird ein geisterfülltes Leben sein, ein Leben in beständigem Gehorsam gegenüber allen Geboten Gottes.

Das Bleiben in Christus ist entscheidend – und „bleiben“ ist nichts Punktuelles, sondern impliziert eine Zeitspanne. Wer biblische Hoffnung verstehen will, dem empfehle ich das Studium des Hebräerbriefes. Paulus beweist dort eine wunderbare Ausgewogenheit zwischen einerseits Ermutigung und geistlichem Zuspruch aufgrund der Treue und Barmherzigkeit Gottes sowie andererseits Ermahnung und Wachsamkeit aufgrund der bleibenden menschlichen Neigung zum Bösen und zum schleichenden Abfall. Hier einige Texte, die deutlich machen, dass unser Heil von Gottes Seite zwar in der Tat „gewiss“ ist, von unserer Seite aber das Vertrauen „bis zum Ende“ benötigt:

Heb 2,1 Deswegen müssen wir umso mehr auf das achten, was wir gehört haben, damit wir nicht etwa am Ziel vorbeigleiten.

Heb 3,6 Sein Haus sind wir, wenn wir die Freimütigkeit und den Ruhm der Hoffnung bis zum Ende standhaft festhalten

14 Denn wir sind Teilhaber des Christus geworden, wenn wir die anfängliche Zuversicht bis zum Ende standhaft festhalten.

Heb 4,1 Fürchten wir uns nun, dass nicht etwa – da die Verheißung, in seine Ruhe einzugehen, noch aussteht – jemand von euch als zurückgeblieben erscheint …

11 Lasst uns nun eifrig sein, in jene Ruhe einzugehen, damit nicht jemand nach demselben Beispiel des Ungehorsams falle!

Heb 6,1 Deshalb wollen wir das Wort vom Anfang des Christus lassen und uns der vollen Reife zuwenden [wörtl. Vollkommenheit] …

11 Wir wünschen aber sehr, dass ein jeder von euch denselben Fleiß beweise zur vollen Gewissheit der Hoffnung bis ans Ende [o. Ziel],

12 damit ihr nicht träge werdet, sondern Nachahmer derer, die durch Glauben und Ausharren die Verheißungen erben.

Als Beispiel für dieses „Glauben, Ausharren und Erben“ führt Paulus daraufhin Abraham an und sagt einige Verse weiter:

15 Und nachdem er [Abraham] so ausgeharrt hatte, erlangte er die Verheißung.

Dann wendet er dieses Prinzip auf alle Gläubigen an und sagt, wir haben

18 … Zuflucht genommen zum Ergreifen der vor uns liegenden Hoffnung

Paulus macht deutlich, dass zur Errettung (zum „Erlangen der Verheißung“ und „Ergreifen der Hoffnung“) „Glaube und Ausharren“ gehören – ein beständiger Glaube also, der Zeit und Prüfungen überdauern kann. Die Ausdrucksweise in Vers 18 zeigt, dass die Hoffnung „vor uns liegt“ und noch nicht endgültig „ergriffen“ worden ist, also sich noch nicht erfüllt hat. Dies ist die gleiche Aussage wie vorher in Vers 11, wo es heißt, wir sollten „Fleiß beweisen zur vollen Gewissheit der Hoffnung bis ans Ende“ – mit anderen Worten: erst „am Ende“ verwirklicht sich unsere Hoffnung und wird zur „Gewissheit“. Und bis zu diesem Zeitpunkt, den Gott allein kennt, brauchen wir Glauben, Fleiß und Ausharren. Und selbstverständlich, damit wir uns nicht missverstehen, sind alle diese Tugenden ebenso Gaben, die wir durch Christus und das Wirken des Heiligen Geistes von Gott empfangen und nicht aus uns selbst hervorbringen.

Fazit: Dass unser „Heil“ zur „Gewissheit“ wird, ist momentan noch ein zukünftiges Ereignis. Die Bibel spricht von der Erlösung als „Hoffnung“, weil sie eine Verheißung ist, deren volle Verwirklichung „noch aussteht“ (Heb 4,1). Weil sie uns aber von Gott in Christus im wahrsten Sinne des Wortes „felsenfest“ zugesagt ist, dürfen wir uns dennoch schon jetzt an ihr erfreuen und dankbar und motiviert an der Hoffnung festhalten – „im Glauben ausharren“ –, bis zu dem wunderbaren, unvergleichlichen Tag, an dem wir ihre Erfüllung erleben. Darin sollen wir dem Vorbild derer nacheifern, die auf diese Weise „die Verheißungen geerbt“ (Heb 6,12) haben.

79. Die Bibel spricht nicht von „Heilsgewissheit“, sondern von Hoffnung, „denn auf Hoffnung hin sind wir errettet worden.“ (Röm 8,24)

Es ist an sich nicht falsch, zur Beschreibung unseres Glaubens auch Begriffe zu verwenden, die in der Bibel nicht vorkommen. Es vergrößert aber die Gefahr, dass subjektive, willkürliche Elemente mit in die Definition einfließen. Und bei „Heilsgewissheit“ ist das ohne Zweifel geschehen.

Betrachten wir den biblischen Befund. In der Lutherübersetzung (1984) finden sich im Neuen Testament nur zwei Texte mit dem Wort „Gewissheit“:

  • Kolosser 2,2: „Gewissheit und Verständnis“ (andere übersetzen „Gewissheit im Verständnis“).
  • 1. Thessalonicher 1,5: „Predigt des Evangeliums … in großer Gewissheit“.

In der Elberfelder finden sich einige weitere Texte:

  • Römer 4,21: Abrahams „Gewissheit“, das Gott seine Verheißungen erfüllen würde.
  • Hebräer 6,11: Wir sollen um die „volle Gewissheit der Hoffnung“ eifern.
  • Hebräer 10,22: Wir dürfen in „voller Gewissheit des Glaubens“ ins himmlische Heiligtum eintreten.

Keine dieser Stellen hat mit „Gewissheit des Heils“ im üblichen Sinne zu tun. Am ehesten würde wohl noch „Gewissheit der Hoffnung“ passen, doch spricht gerade dieser Text nicht von etwas, das bereits vollendete Tatsache wäre, sondern um das wir „eifern“ sollen. Was uns zum Begriff der Hoffnung führt. Paulus schreibt an die Römer:

Röm 8,24 Denn auf Hoffnung hin sind wir errettet worden. Eine Hoffnung aber, die gesehen wird, ist keine Hoffnung. Denn wer hofft, was er sieht?

25 Wenn wir aber das hoffen, was wir nicht sehen, so warten wir mit Ausharren.

Es würde zu weit führen, den Zusammenhang von Römer 8 im Einzelnen darzustellen, aber im Grunde macht Paulus in diesem Kapitel an verschiedenen Stellen klar, dass unsere Erlösung erst vollendet sein wird, wenn wir die Unsterblichkeit empfangen. Er nennt das „die Sohnschaft: die Erlösung unseres Leibes“ (V. 23). Die Anzahlung, die unsere Berechtigung zu ewigem Leben anzeigt, ist „die Erstlingsgabe des Geistes“ (23), und derselbe Geist macht am Ende die Toten lebendig und schenkt ewiges Leben (11). Der Geist ist es auch, der uns „von dem Gesetz der Sünde freigemacht hat“ (2), eine neue „Gesinnung“ schenkt (6), sodass wir „nach dem Geist wandeln“ und das Gesetz erfüllen (4). Wenn wir „ausharren“ bis zur Erfüllung von Gottes Verheißung (25) und dabei auch bereit sind, für Christus zu leiden (17), werden wir die ewige Herrlichkeit erlangen (17). Anschließend führt Paulus auf sehr ermutigende Weise aus, dass auf diesem Weg in die Ewigkeit uns alle Dinge zum Guten dienen müssen und Gott für alle unsere Bedürfnisse und notwendigen Schritte liebevoll und überreichlich vorgesorgt hat (siehe auch den Abschnitt über Röm 8,29ff. in These 68).

„Hoffnung“, wie die Bibel diesen Begriff gebraucht, beschreibt gut unsere Situation als „Pilger“ zur himmlischen Heimat, die wir zwar die Verheißung des ewigen Lebens (= des Heils) haben, aber noch nicht die Erfüllung. Wir müssen anerkennen: Solange wir auf dieser Erde leben, unsere alte Natur noch besitzen und Satan aktiv ist, besteht die Möglichkeit, zu fallen und sogar abzufallen. Sicherheit finden wir nicht in uns, sondern allein im konsequenten Abwenden vom eigenen Ich und im Ausstrecken zu Christus hin, der all das für uns und in uns ist und sein wird, was zu unserem persönlichen Heil notwendig ist. Können wir dabei die „Gewissheit“ haben, am Ziel anzukommen? Ja, wenn wir das Wesen dieser Gewissheit richtig, d. h. biblisch definieren.

Wir haben ein ganz anschauliches biblisches Beispiel dafür, welche Art Gewissheit wir als Pilger zum Himmel haben dürfen, und das ist Israels Wüstenwanderung. Ihre Reise hatte die in These 76 erwähnten drei Stationen: Anfang – Prozess – Ende (Ziel). Der Anfang war ihre Befreiung aus Ägypten – das ist ein Bild für unsere Bekehrung. Dann folgte ein längerer, wortwörtlich „schrittweiser“ Prozess, nämlich ihre Wanderung durch die Wüste – ein Bild für unser Leben in der Nachfolge und unsere Heiligung. Das Ziel war schließlich das Land Kanaan, die neue Heimat – ein Bild für den Himmel und die Neue Erde.

Jetzt die Gretchenfrage: Hatten die Israeliten „Heilsgewissheit“? Nach heutigem Verständnis müsste man mit Ja antworten, denn die „Heilsgewissheit“ beginnt angeblich mit der Bekehrung. Von dem Tag also, als das Volk Ägypten verlassen hatte, besaß es „Heilsgewissheit“. Nun berichtet die Bibel aber die höchst verstörende Tatsache, dass von den 600 000 Mann, die Ägypten verlassen hatten (2Mo 12,37), ein schier unglaublich winziger Anteil von gerade einmal zwei Männern – Josua und Kaleb – das Ziel der Reise, Kanaan, wirklich erreichte! Paulus drückt es sehr, sehr milde aus, wenn er sagt:

1Kor 10,5 An den meisten von ihnen aber hatte Gott kein Wohlgefallen, denn sie sind in der Wüste hingestreckt worden.

Anschließend betont er noch, dass diese Dinge für uns aufgeschrieben worden sind, damit wir nicht ihre Fehler wiederholen und dasselbe Schicksal erleiden:

1Kor 10,11 Alles dies aber widerfuhr jenen als Vorbild und ist geschrieben worden zur Ermahnung für uns, über die das Ende der Zeitalter gekommen ist.

Das griechische Wort für „Vorbild“ ist typos, von dem das deutsche Wort „Typologie“ stammt. Es bedeutet, dass eine prinzipielle Vergleichbarkeit zwischen Israels Situation und unserer heutigen besteht. Das macht diese Geschichte für uns sehr bedeutsam, und deswegen ist sie in der Schrift auch so ausführlich berichtet – für uns, das geistliche Israel am „Ende der Zeitalter“. Paulus’ Fazit und Appell im nächsten Vers lautet:

1Kor 10,12 Daher, wer zu stehen meint, sehe zu, dass er nicht falle.

Und wenn ich mich nicht völlig täusche, dann hat „Ich meine zu stehen“ durchaus etwas mit dem heute verbreiteten „Ich habe Heilgewissheit“ zu tun. Wir können noch fallen, und wir haben etwas zu tun, um das zu verhindern, nämlich „zusehen, dass wir nicht fallen“. Und damit wird meine „Heilsgewissheit“ zu etwas, das auch von mir persönlich abhängt und somit niemals absolute Gewissheit sein kann (und auch niemals so gedacht war).

Trotzdem ist unsere Aufgabe als Wanderer durch die Wüste keinesfalls, uns auf uns selbst zu konzentrieren und in uns selbst Stärke zusammenzuklauben, sondern gerade das Gegenteil: von uns selbst weg auf den göttlichen Führer zu sehen, der in der Wolken- und Feuersäule vor uns herzieht! Der persönliche Faktor ist da, doch besteht er paradoxerweise darin, dass ich „abnehme“ und Er „wächst“ (Joh 3,30), dass ich „sterbe“ und Er in mir „lebt“ (Gal 2,19f.), dass ich „schwach“ bin und Er in mir „stark“ (2Kor 12,10)! Aus diesem Grund lenkt Paulus gleich im nächsten Vers unsere Aufmerksamkeit auf Gott und Seine Treue während unserer Pilgerreise:

1Kor 10,13 Keine Versuchung hat euch ergriffen als nur eine menschliche; Gott aber ist treu, der nicht zulassen wird, dass ihr über euer Vermögen versucht werdet, sondern mit der Versuchung auch den Ausgang schaffen wird, sodass ihr sie ertragen könnt.

Gott weiß, dass wir gefallene Menschen sind; daher sind es allein „menschliche“ Versuchungen oder Prüfungen, die Er auf unserer Wanderschaft ins himmlische Kanaan zulässt. Und mit jeder Prüfung versorgt Er uns auch mit der nötigen Widerstandskraft, um an Gott und am Glauben festzuhalten. Und das ist übrigens eine absolute Gewissheit!

Wer wird also einmal die himmlische Heimat erreichen? Paulus gibt eine eindeutige Antwort im Hebräerbrief, wo er ebenso Israels Wüstenwanderung als Lehrbeispiel heranzieht und das „Eingehen in die Ruhe“ Kanaans als ein Bild für unsere Erlösung gebraucht. Er sagt:

Heb 4,3 Wir gehen nämlich in die Ruhe ein als die, die geglaubt haben

Dann ergänzt er, damit kein Missverständnis entsteht, dass er von einem Glauben spricht, der „eifrig“ ist und zum „Gehorsam“ führt:

Heb 4,11 Lasst uns nun eifrig sein, in jene Ruhe einzugehen, damit nicht jemand nach demselben Beispiel des Ungehorsams falle!

Und wie schon im ersten Korintherbrief baut er gleich unserer menschlichen Neigung vor, bei Ermahnungen auf uns selbst zu schauen, indem er auf Christus als mitfühlenden Fürsprecher und allmächtigen Erlöser hinweist:

Heb 4,15 Wir haben nicht einen Hohepriester, der nicht Mitleid haben könnte mit unseren Schwachheiten, sondern der in allem in gleicher Weise wie wir versucht worden ist, doch ohne Sünde.

16 Lasst uns nun mit Freimütigkeit hinzutreten zum Thron der Gnade, damit wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden zur rechtzeitigen Hilfe!

Auch diese versprochene Gnade und rechtzeitige Hilfe in jeder Anfechtung dürfen wir aufgrund der Verdienste Jesu mit absoluter Gewissheit in Anspruch nehmen.

Folgen wir doch diesem wunderbaren, göttlichen Führer, egal was uns in der Wüste dieser Welt begegnet! Wenn unsere Augen auf Ihn gerichtet bleiben und wir – ob wir Freiheit von Schuld oder Freiheit von Sünde suchen – uns stets zu Ihm flüchten und auf Sein erlösendes Blut berufen, dann werden wir das gelobte Land erreichen, denn unser Herr führt immer zu Ende, was Er begonnen hat! In Ihm – in Seiner Liebe und Treue – liegt unsere ganze Gewissheit.