82. Hoffnung hat Frieden mit Gott, weil sie in seinen Verheißungen ruht, während sie gleichzeitig einen heiligen Vorwärtsdrang besitzt, sich diese Verheißungen zu eigen zu machen.

Glaube und Hoffnung ruhen nicht in Sichtbarem und sinnlich Wahrnehmbarem, ja nicht einmal in logisch Nachvollziehbarem, sondern im ewigen, „siebenmal geläuterten“ (Ps 12,7) und uneingeschränkt wahrhaftigen Wort eines Gottes, „der nicht lügen kann“ (Tit 1,2). Das ist gerade das Wesen des Glaubens, den wir von Gott erhalten, dass er uns an einem Punkt jenseits des menschlichen Horizontes verankert. Das macht rettenden Glauben zu etwas „Geistlichem“, im Gegensatz zu den verschiedensten Varianten von „Fleischlichem“, die der Mensch aus seiner eigenen Kreativität und Willenskraft hervorbringen kann.

„Frieden mit Gott“ ist die geistliche Frucht des Glaubens an Christus als vollständigen Erlöser. Es ist ein geistlicher Friede, der sich nicht in erster Linie auf Fakten stützt, sondern auf die existenzielle Gemeinschaft mit Jesus und die neue Identität in Ihm (These 80). In Gottes Verheißungen zu „ruhen“, heißt nicht in erster Linie, in intellektuell erfassbaren Tatsachen zu ruhen (dazu muss man nicht geistlich sein), sondern in einer von Vertrauen, Liebe und Hingabe geprägten Beziehung (das kann nur ein wiedergeborener Mensch, da es eine „geistliche“ Beziehung ist, vermittelt durch den „Geist“ Gottes).

Röm 8,24 Eine Hoffnung, die gesehen wird, ist keine Hoffnung. Denn wer hofft, was er sieht?

Heb 11,1 Der Glaube aber ist eine Verwirklichung dessen, was man hofft, ein Überführtsein von Dingen, die man nicht sieht.

Weil nun Glaube und Hoffnung sich per Definition auf etwas beziehen, das „man nicht sieht“, von dem man aber dennoch „überführt“ = überzeugt ist, entfalten sie sich in einer inspirierenden und motivierenden Spannung: Sie streben nach der Verwirklichung des Erhofften (der Verheißung), befähigen ihren Besitzer aber schon jetzt zu einem „Ruhen in der Verheißung“, die ihren Grund in der Verlässlichkeit dessen findet, der die Verheißung gegeben hat.

Dieser scheinbare Gegensatz ist tief biblisch und unverzichtbar für ein gesundes Verstehen und Erfahren des Evangeliums in seiner erlösenden Kraft. Seine beste Schilderung findet er wahrscheinlich im Hebräerbrief, und das beste Beispiel oder praktische Gleichnis dafür ist wohl der Sabbat, wie er in diesem Brief beleuchtet wird. Paulus nennt Israels Einzug ins Land Kanaan das „Eingehen in die Ruhe“ und setzt diese Ruhe gleich mit der Sabbatruhe und ganz allgemein mit Erlösung:

Heb 4,6 Weil es nun dabei bleibt, dass einige in [die Ruhe] eingehen und die, denen zuerst die gute Botschaft verkündigt worden ist [die aus Ägypten gezogene Generation Israels], des Ungehorsams wegen nicht hineingegangen sind,

7 bestimmt er wieder einen Tag: ein „Heute“, und sagt durch David nach so langer Zeit, wie vorhin gesagt worden ist: „Heute, wenn ihr seine Stimme hört, verhärtet eure Herzen nicht!“

8 Denn wenn Josua sie in die Ruhe gebracht hätte, würde er danach nicht von einem anderen Tag geredet haben.

9 Also bleibt noch eine Sabbatruhe dem Volk Gottes übrig.

10 Denn wer in seine Ruhe eingegangen ist, der ist auch zur Ruhe gelangt von seinen Werken wie Gott von seinen eigenen.

11 Lasst uns nun eifrig sein, in jene Ruhe einzugehen, damit nicht jemand nach demselben Beispiel des Ungehorsams falle [wie Israel in der Wüste]!

Das Volk Israel erlebte seine wahre „Sabbatruhe“ erst, nachdem sie unter Josua ihre neue Heimat Kanaan in Besitz genommen hatten. Das ist ein Typus für Erlösung – denn auch wir, das geistliche Israel, werden die wahre, noch ausstehende Sabbatruhe erst erleben, nachdem wir das himmlische Kanaan unter „Jesus“ (die griechische Form von „Josua“) eingenommen haben. Trotzdem dürfen wir jetzt schon Woche für Woche wie das Alte Israel den Sabbattag als Verheißung und Vorgeschmack der wahren Ruhe feiern und erleben. Am Sabbat ruhen wir real – aber gleichzeitig symbolisch in etwas, das noch nicht zur Erfüllung gekommen ist. Wir ruhen, um gestärkt in die nächsten sechs Tage zu gehen und „eifrig“ (V. 11) danach zu streben, dass sich die eigentliche Ruhe der Erlösung einmal an uns erfüllen wird. Das ist kein Widerspruch zum Glauben, sondern das wahre Wesen von Glauben und Hoffen.

Vers 10 wird oft so erklärt, als sei der Gläubige zur Ruhe gekommen von seinen fruchtlosen und auslaugenden Bemühungen, aus sich selbst Gehorsam und gute Werke hervorzubringen. Während der Gedanke an sich völlig richtig und ein ganz wesentlicher Teil des Erlösungsplanes ist, ist dies nicht, was der Vers sagt (dafür allerdings viele andere Bibelstellen). Tatsächlich spricht der Vers von Werken in einem positiven Zusammenhang, denn sie werden verglichen mit Gottes Werken an den sechs Schöpfungstagen, gefolgt von „Seiner Ruhe“ am ersten Sabbat der Weltgeschichte.

Der Text legt sogar nahe, dass ohne Werke gar keine Ruhe erfolgen kann, also nur der zur Ruhe gelangen wird, der Werke im Sinne Gottes getan hat, weswegen Paulus auch zu dem Fazit kommt: „Lasst uns nun eifrig sein, in jene Ruhe einzugehen“. Anders ausgedrückt: Nur mit persönlichem Eifer, der sich in entsprechenden Werken zeigt, können wir die versprochene Ruhe erreichen – gemäß dem Vorbild Gottes bei der Schöpfung und entgegen dem Negativbeispiel Israels, das „des Ungehorsams wegen“ (V. 6), also wegen mangelnder Werke, das gelobte Land nicht betreten konnte. Daher sind diese erwünschten Werke ganz offensichtlich Glaubenswerke, gewirkt durch den Heiligen Geist, verdient und vorbereitet von Christus, gelebt aus einer lebendigen Beziehung mit Jesus heraus. Das „zur Ruhe Gelangen“ des Gläubigen „von seinen Werken“ entspricht dem Gedanken in Offenbarung 14:

Off 14,13 Glückselig die Toten, die von jetzt an im Herrn sterben! Ja, spricht der Geist, damit sie ruhen von ihren Mühen, denn ihre Werke folgen ihnen nach.