60. Die Lehre der Charaktervervollkommnung ist nicht extrem, sondern die konsequente Weiterführung der reformatorischen Glaubensgerechtigkeit und unsere einzige Hoffnung auf ewiges Leben. Sie „gibt Gott die Ehre“ (Off 14,7) als Neuschöpfer und mächtigem Erlöser. Sie ist der einzige biblische und logische Weg zur endgültigen Beseitigung der Sünde und die großartigste Verheißung, die Gott Menschen je gemacht hat.

Vollkommenheit ist Heiligkeit, Reinheit, Wahrhaftigkeit, Liebe, Gerechtigkeit, Makellosigkeit, Untadeligkeit, Schönheit, Vollendung. Vollkommenheit vereint alles nur denkbar Positive in sich. Sie ist eine tiefgreifende Beschreibung des Wesens Gottes und in ihrer ultimativen Bedeutung Göttlichkeit par excellence. Wenn Vollkommenheit extrem ist, ist Gott extrem. Aber weil das natürlich nicht der Fall und Gott tatsächlich absolut und ohne jede Einschränkung gut ist, ist Vollkommenheit absolut und ohne jede Einschränkung gut.

Warum hat Vollkommenheit dann einen so schlechten Ruf in unseren Reihen? Warum schmeckt sie so anrüchig nach Fanatismus? Wieso schätzen, ehren und erstreben wir sie so wenig als eine unvergleichliche, erstaunliche und kostbarste Gabe Gottes? Weshalb lieben und ersehnen wir sie nicht als Ausdruck alles dessen, was unseren Vater im Himmel ausmacht und im Leben von Jesus Christus offenbar geworden ist? Wer oder was hat die Bedeutung dieses, ich möchte sagen, „heiligen“ Begriffes so getrübt und verdreht?

Christliche Vollkommenheit ist die Frucht wahrer Rechtfertigung. Ein Glaube, der uns in lebendige Gemeinschaft mit Christus bringt, führt immer zur inneren Vervollkommnung. Vollkommenheit ist die Verwirklichung und der Beweis echter Glaubensgerechtigkeit. Der Glaube ist das Alpha, Vollkommenheit das Omega und Christus, „das Alpha und das Omega“ in Person, ist auch das gesamte Alphabet, das diese beiden griechischen Buchstaben miteinander verbindet.

Ein geschätzter Prediger und Bibellehrer hielt einmal einen Vortrag über Rechtfertigung, bei dem ich anwesend war. Er stellte Heiligung als eine Kurve der Sittlichkeit dar, die ab der Bekehrung einen Aufwärtstrend mit Höhen und Tiefen erfuhr und dort, wo das Lebensende markiert war, bei etwa „70 % Heiligkeit“ auslief. In einem anschließenden Briefwechsel fragte ich ihn, was denn mit den fehlenden 30 % geschehe, da doch laut Bibel und Geist der Weissagung über den Tod hinaus keine Heiligung mehr stattfinde. Abgesehen davon, dass mir meine Argumentation das Prädikat eines „klassischen Perfektionisten“ einheimste, lautete seine Antwort: „Wir werden nicht aufgrund unserer Heiligung gerettet, sondern aufgrund des Todes Christi.“

Das ist eine leider häufig auftretende Du-fragst-nach-einem-Apfel-Hier-hast-du-eine-Birne-Antwort. Meine Nachfrage bezog sich nicht auf das Fundament, sondern auf das Gebäude, das darauf entsteht, und was denn passiert, wenn der Dachstuhl zwar steht, aber nie mit Ziegeln gedeckt wird. Ein Hinweis auf die tadellose Qualität des Fundamentes ist wenig hilfreich, wenn der Regen einsetzt.

Auf die Erlösung bezogen: Der Tod Christi ist in der Tat die Grundlage unserer Rettung, aber die Rettung selbst besteht in Vergebung und einem neuen Herzen – als Frucht und praktische Auswirkung von Christi Kreuzestod. Heiligung ist konkret gewordene Rettung, und deswegen lautete obige Antwort eigentlich: „Wir werden nicht aufgrund unserer Rettung gerettet, sondern aufgrund des Todes Christi.“ Nun steht es mir fern, diesem Bruder Böses zu unterstellen; doch tatsächlich gebrauchte er Golgatha als Begründung dafür, warum wir keine Rettung (in Gestalt völliger Heiligung) bräuchten.

Es stimmt: Wir werden nicht aufgrund unserer Heiligung gerettet – Heiligung ist die Rettung! Wir werden auch nicht aufgrund unserer Vollkommenheit erlöst – Vollkommenheit ist die Erlösung! Es geht hier schlicht um Ursache (Rechtfertigung) und Wirkung (Vervollkommnung), und ich kann eine mangelhafte Wirkung nicht damit beiseiteschieben, dass ich auf die wichtige Rolle der Ursache verweise.

Darum: Vollständige Heiligung ist der Zwillingsbruder von und die logische Konsequenz aus vollständiger Rechtfertigung, wie die Reformation sie entdeckt und verkündet hat. Und würde Gott uns Hoffnung auf ewiges Leben machen auch ohne sittliche Vollkommenheit, müsste er ein Plätzchen für Unvollkommenheit genannt „Sünde“ lassen und würde sie zwangsläufig mit verewigen.

„Aber so kleinlich wird Gott doch nicht sein …“ Kleinlich? Wenn das kleinlich ist, dann war es auch kleinlich, Adam und Eva wegen eines Apfels aus dem Paradies zu vertreiben und zum Tode zu verurteilen. Sind 6 000 Jahre auf einer Welt der Sünde immer noch nicht genug, um in furchtbarer Anschaulichkeit das Gegenteil zu beweisen? Eine „kleine Sünde“ war der Auslöser für das ganze grenzenlose Elend und Desaster auf diesem Planeten, ja für den unvorstellbar grausamen Tod des Sohnes Gottes – und wir wollen eine „kleine Sünde“ wieder in den Himmel importieren? Das Universum wird vor den katastrophalen Früchten der Rebellion erst sicher sein, wenn auch alle ihre Samenkörner – die kleinen Sünden, mit denen sie anfängt – vernichtet sind.

4T 578 Ein Schritt in die falsche Richtung ebnet den Weg für den nächsten. Ein einziges Glas Wein kann der Versuchung die Tür öffnen und einen Gewohnheitstrinker hervorbringen. Einen einzigen Moment Rachegefühlen nachzugeben, kann eine Kette von Emotionen in Gang setzen, die im Mord endet. Die kleinste Abweichung von Recht und Ordnung wird zur Trennung von Gott führen und kann im Glaubensabfall enden.

Mir ist bewusst, dass viele keinen Zweifel daran haben, dass die Neue Erde ein vollkommener Ort sein wird, nur finden sie viele Gründe, warum das angeblich auch ohne völlige Heiligung in diesem Leben funktioniert. Sie sagen, im Himmel werden wir nicht mehr sündigen, weil

  • wir vorher versiegelt worden sind,
  • wir durch die Verwandlung bei der Wiederkunft keine gefallene Natur mehr haben,
  • der Teufel nicht mehr da ist, um uns zu versuchen,
  • wir in dieser wunderbaren Umgebung gar nicht auf böse Gedanken kommen
  • usw.

Alle diese Begründungen verschieben die Ursache oder zumindest Verantwortung für meinen Ungehorsam nach außen: Ich sündige, weil Gott mich noch nicht versiegelt hat, weil ich meiner Natur nicht widerstehen kann, weil der Teufel mich anstachelt oder weil ich so wenig gute Vorbilder habe … Wenn wir solche Gedanken hegen, brauchen wir uns nicht zu wundern, dass wir nicht überwinden – wir verteidigen unsere Schwächen ja und verhindern damit, dass der Heilige Geist uns Reue und Vergebung schenkt, was wiederum die Grundvoraussetzung für ein geisterfülltes Leben als Überwinder ist.

Es gibt aber einen anderen, entscheidenden Grund, warum alle diese Überlegungen nichtig sind: Christus. Er war nicht versiegelt, Er hatte unsere gefallene Natur, der Teufel versuchte Ihn weit heftiger als jeden anderen Sterblichen, und Er war in derselben trostlosen Umgebung voller schlechter Vorbilder wie auch wir. Und dennoch war Sein Leben von makelloser Reinheit. Er ist unser Beispiel. Sein Weg führt zu vollkommener Gerechtigkeit. Christus in uns ist die „Hoffnung der Herrlichkeit“ (Kol 1,27; siehe auch These 62).

Zum Punkt, dass vollkommene Gerechtigkeit „unsere einzige Hoffnung auf ewiges Leben“ ist, sei kurz daran erinnert, was der Geist der Weissagung über Einwände gegen „Vollkommenheit“ und „Tadellosigkeit in Liebe und Heiligkeit“ zu sagen hat (siehe vorige These):

BE, 15.1.1892 Jemand mag sagen: „Diesem Anspruch kann ich unmöglich gerecht werden.“ Aber genau das musst du, sonst wirst du den Himmel niemals betreten.

Zum Punkt, dass Gott dadurch geehrt wird, dass er Menschen charakterlich vervollkommnet, noch einmal ein Zitat aus These 38:

DA 671 Die Vervollkommnung des Charakters seines Volkes ist eine Ehrensache für Gott, eine Ehrensache für Christus. (vgl. LJ 670)

Ja, wahrhaftig: Unsere Vervollkommnung ist „die großartigste Verheißung, die Gott Menschen je gemacht hat“ – so tief und groß und weit, dass sie uns fast überwältigt und wir unseren Kleinmut spüren, sie zuversichtlich und dankbar in Anspruch zu nehmen! Aber gehen wir doch wie einst die Jünger zum Herrn und bitten Ihn: „Mehre uns den Glauben!“ (Lk 17,5)

51. Zur Zeit der Reformation waren Gnade und Vergebung die große Entdeckung, heute sind es Heiligung und die Vollendung der Gemeinde seit 1844, wobei dies alles Teil eines großen Ganzen ist.

Luthers Erkenntnis einer stellvertretenden Gerechtigkeit, die dem Sünder aufgrund des Opfers Jesu zugerechnet wird, sodass er ohne Scham vor Gott treten und sich als geliebtes Kind vollkommen angenommen wissen darf, war sowohl für seinen persönlichen Glauben als auch für eine aus Angst vor einem zornigen, unberechenbaren Gott tief in abergläubische Werksgerechtigkeit verstrickte Gesellschaft ein gewaltiger Durchbruch und Grund für unbändige Freude und Erleichterung. Die kostbare Wahrheit, dass wir uns weder Gottes Liebe verdienen müssen noch von uns aus eine Versöhnung herbeizuführen brauchen, sondern dass Gott dies aus freien Stücken in Christus bereits für uns vollbracht hat und dies jedem Menschen umsonst anbietet, vergaß der Reformator sein Leben lang nicht.

Diese Wahrheiten haben bis heute nichts von ihrer Kraft verloren, und jede Generation muss sie für sich selbst entdecken und sich aneignen. Sie werden niemals veralten, doch sind sie mit den Jahren und Jahrhunderten seit der Reformation ergänzt und erweitert worden, wofür Gott unterschiedliche Personen und Bewegungen gebraucht hat, zuletzt die Gemeinde der Siebenten-Tags-Adventisten.

Ellen White hatte zu dem Punkt der fortschreitenden Erkenntnis einmal eine eindrückliche Vision (Erfahrungen und Gesichte, Kap. 10, „Das Ende der 2 300 Tage“). Sie zeigt sehr deutlich, dass es nicht ausreicht zu stehen, wo unsere Väter standen (geschweige denn die Reformatoren), wenn Gott uns inzwischen in weitere Erkenntnisse geführt hat. Jede Generation ist für das Maß an Licht verantwortlich, das ihr leuchtet, und neues Licht nicht anzunehmen oder auszuleben, hat ernste Konsequenzen.

In dieser Vision vom Februar 1845 sieht sie „einen Thron, auf dem der Vater und Sohn saßen“ (EG 45). Der Thron befindet sich im Abteil des Heiligen im himmlischen Tempel. Viele Menschen beugen sich anbetend vor dem Thron. Dann sendet Gott das helle Licht des Mitternachtsrufes aus (im Sommer 1844), doch nur die wenigsten Menschen schätzen es; selbst unter den Gläubigen widerstehen ihm viele. Darauf sieht sie, wie der Vater (eingehüllt in herrliches Licht) sich erhebt und in einem feurigen Wagen ins Allerheiligste fährt. Kurz darauf verlässt auch Jesus den Thron. Die meisten Gläubigen folgen Ihm, doch einige bemerken nichts und verharren gebeugt vor dem nun leeren Thron. Jesus weist die Gläubigen bei Ihm an, auf Ihn zu warten (S. 46). Ein Wolkenwagen bringt Ihn zum Vater, wo er Seinen abschließenden Priesterdienst tut und Sein Reich empfängt. Dann fährt die Beschreibung fort:

EG 46 (rev.) Diejenigen, die sich mit Jesus erhoben hatten, folgten ihm im Glauben in das Allerheiligste und beteten: „Vater, gib uns deinen Geist.“ Dann blies Jesus den Heiligen Geist über sie. In diesem Hauch war Licht, Macht, viel Liebe, Freude und Friede. Ich wandte mich nach der Schar um, die noch vor dem Throne lag; sie wussten nicht, dass Jesus sie verlassen hatte. Dann schien Satan bei dem Thron zu sein und zu versuchen, das Werk Gottes zu betreiben. Ich sah sie zu dem Thron aufschauen und beten: „Vater, gib uns deinen Geist.“ Satan hauchte dann einen unheiligen Einfluss über sie aus; darin waren Licht und viel Macht, aber keine süße Liebe, keine Freude und kein Friede. Satans Werk war, sie zu betrügen und Gottes Kinder irrezuführen.

Der letzte Satz lautet im Original wörtlich: „Satans Ziel war, sie unter der Täuschung zu halten und Gottes Kinder zurückzuziehen und zu täuschen.“ (Satan’s object was to keep them deceived and to draw back and deceive God’s children.) Das macht viel deutlicher, worum es geht: Die bereits Getäuschten sollten nicht merken, dass sie getäuscht sind, und Gottes Kinder, die Jesus im Glauben ins Allerheiligste gefolgt waren, sollten wieder zurückgezogen und unter dieselbe Täuschung gebracht werden. Die erste Veröffentlichung dieser Version im Day-Star vom 14. März 1846 enthält zusätzlich folgenden Schlusssatz von Ellen White (damals noch Harmon):

DS, 14.3.1846 Ich sah, wie einer nach dem anderen die Gruppe verließ, die zu Jesus im Allerheiligsten betete; sie schlossen sich den Menschen vor dem Thron an und empfingen im selben Moment den unheiligen Einfluss Satans.

Was Gott uns in diesem Gesicht offenbart, ist ziemlich ernüchternd, ja schockierend. Menschen, die vermeintlich zu Gott beten, deren Gebete aber von Satan „erhört“ werden, der unbemerkt in die Rolle des Vaters geschlüpft ist und „seinen Anbetern“ ganz ähnliche Erfahrungen zukommen lässt wie den treuen Gläubigen – eine falsche Geistausgießung, die jedoch ohne wahre Liebe, Freude und Frieden ist. Die Deutung auf den gefallenen Protestantismus, der die Verkündigung der dreifachen Engelsbotschaft abgelehnt hat, ist offensichtlich, und wir sehen die Erfüllung einer scheinbaren Geistausgießung in der von Amerika ausgehenden, weltweiten charismatischen Bewegung.

Doch der Teil, der für uns von schicksalhafter Bedeutung ist, sind die letzten zwei Sätze, die Satans Plan (und Erfolg!) schildern, selbst die Anbeter im Allerheiligsten (Siebenten-Tags-Adventisten) wieder ins Heilige zurückzuziehen, wo sie mit den übrigen Christen vereint und mit einem „unheiligen Geist“ infiziert werden. An dieser Stelle sehe ich mich zu einem Schluss gezwungen, den nicht wenige Adventisten (auch konservative) als anstößig empfinden könnten: Der Rückfall vom Allerheiligsten ins Heilige zeigt sich in der Adventgemeinde nicht nur in diversen Einflüssen evangelischen und charismatischen Ursprungs, sondern auch in der Verneinung und Bekämpfung dessen, wofür der Dienst im Allerheiligsten eigentlich steht: Vollendung der Heiligung, Vervollkommnung des Charakters, Versiegelung für die Ewigkeit.

Für unsere Pioniere war lange Zeit selbstverständlich, dass Sinn und Zweck der Heiligung ist, durch Gottes Gnade einen christusähnlichen Charakter ohne Makel zu formen. Sie standen im Glauben vor dem Thron Gottes im Allerheiligsten – der Bundeslade, die Sein heiliges, unveränderliches Gesetz enthält – und verstanden, dass dieses Gesetz nur vollkommene Liebe und vollkommene Gerechtigkeit gutheißen kann. Als sie durch die Offenbarungen des Geistes der Weissagung die Zusammenhänge des großen Kampfes besser verstanden, wurde ihnen klar, dass die bestehende Rebellion und Feindschaft gegen Gottes Autorität nur dann aus dem Universum ausgerottet werden könnte, wenn der gefallene Mensch wieder zu vollständiger Loyalität dem ewigen Gesetz gegenüber zurückgeführt würde.

Doch waren sie noch auf dem Weg und rangen um das richtige Verständnis und das praktische Ausleben dieser Überzeugung. Deshalb sandte Gott u. a. die Botschaft von 1888, um ihnen zu erklären, dass der Weg dorthin gänzlich über Christus führt, dass Seine Gerechtigkeit die Anforderungen des Gesetzes vollkommen erfüllt und dass diese Gerechtigkeit ihnen geschenkt wird (zugerechnet und verliehen), wenn sie in Demut, aufrichtiger Reue und kindlichem Vertrauen darum bitten und wenn ihnen diese eine, herrliche Perle – Christus, der Sohn Gottes – so wertvoll geworden ist, dass sie bereit sind, alles und jedes (jede Sünde) dafür aufzugeben.

Von diesem Verständnis ist heute unter uns nicht mehr viel zu finden. Der Widersacher hat es geschafft, viele wertvolle Wahrheiten, die Gott der Adventbewegung anvertraut hat, in Vergessenheit geraten zu lassen – und das, obwohl wir den Geist der Weissagung haben, der so unendlich viel und tief und eindringlich zum Volk der Übrigen gesprochen hat und es durch Ellen Whites Schriften, die doch jedermann ungehindert zugänglich sind, noch immer tut.

Ich kann es nur jedem ans Herz legen, im Großen Kampf oder Vom Schatten zum Licht die Kapitel 24 („Im Allerheiligsten“) und 28 („Das Untersuchungsgericht“) sorgfältig zu studieren und genau darauf zu achten,

  • welchen Zweck Jesu Dienst im Allerheiligsten hat und
  • wonach im Untersuchungsgericht entschieden wird, wer ewiges Leben erhält.

Würden wir dies alle tun, würden die größten Mythen über Rechtfertigung aus Glauben in der Adventgemeinde wirksam aufgelöst. Wir würden erkennen, dass wir nackt sind, weil die einzige Gerechtigkeit, die vor Gott zählt, vollkommene Gerechtigkeit ist (völlige Reinheit innen und außen), und dass Christus uns alles bedeutet, weil Er nicht nur unser Versagen mit Seinem Blut bedeckt, sondern auch unsere Nacktheit mit Seiner Vollkommenheit bekleidet, indem Er uns ein neues Herz (neue Gedanken und Gefühle) und daraus erwachsend einen neuen Charakter (neue Gewohnheiten und Wesenszüge) schenkt.

Ich fühle mich sehr mangelhaft im Erklären dieser Dinge und noch mehr in ihrem Ausleben. Ich bin selbst ein Suchender, sich Vortastender und in jeder Hinsicht Lernender. Ich schreibe diese Thesen samt Kommentar, weil mein Gewissen mich drängt und hier offenbar eine Not herrscht, da nicht viele sich öffentlich zu diesen Wahrheiten bekennen. Aber ich möchte auf drei weit bessere Quellen hinweisen:

  • die Bibel
  • den Geist der Weissagung
  • die Botschafter von 1888 (E. J. Waggoner, A. T. Jones, aber auch W. W. Prescott und S. N. Haskell) und ihre geistlichen Nachfahren wie A. G. Daniells, Taylor G. Bunch, Joe Crews, Donald K. Short, Robert J. Wieland und gegenwärtig Ron Duffield, Camron Schofield, Dennis Priebe, Margaret Davis und viele mehr)

Jeder, der die Wahrheit liebt, wird sie hier finden. Bitte die Empfehlungen im dritten Punkt auf Beröanisch studieren, d. h. alles unter Gebet und prüfend lesen! Menschen können irren. Allein Gott und Sein Wort sind unfehlbar.

49. Das adventistische Verständnis vom Erlösungswerk Jesu, wie es auch 1888 verkündigt wurde, baut zwar auf den Erkenntnissen der Reformation auf, geht aber darüber hinaus.

Wir sagen manchmal, dass alle unsere Lehren Christus zum Mittelpunkt haben müssen – und das lässt sich nur von Herzen bejahen. Wenn aber jede Lehre auf ihre Weise etwas von Christus und Seinem Wesen beschreibt, der das Abbild des unsichtbaren Gottes ist (Kol 1,15), dann verhilft jede wahre Lehre auch zu einer tieferen Gotteserkenntnis. Und da Erlösung die Wiederherstellung des Bildes Gottes im gefallenen Menschen ist, bringt eine bessere Gotteserkenntnis auch ein besseres Erlösungsverständnis mit sich.

Schon aus dieser Überlegung heraus wird klar, dass Gottes Endzeitvolk mit dem weitreichendsten Lehrgebäude aller Zeitalter einschließlich einer umfassenden Prophetieauslegung ein weitaus klareres und detaillierteres Bild von Gott, Seinem Wesen, Seinem Gesetz, den Streitpunkten im großen Kampf und dem Erlösungswerk besitzen muss als die Reformatoren zu ihrer Zeit. Allein die Heiligtumslehre erlaubt uns schon tiefere Einblicke in die Art und Weise, wie unser Herr Menschen für die Ewigkeit rettet. Dazu im Folgenden mehr.

45. Dass wir rund 130 Jahre später noch immer um Erweckung und Reformation beten, beweist ohne Zweifel, dass dieser Vorstoß nicht erfolgreich war.

Die Logik hinter dieser These ist simpel. In ihrem bekannten Zitat über die Generalkonferenz 1888 in Testimonies to Ministers beschreibt Ellen White die Botschaft von Waggoner und Jones als „die Gerechtigkeit Christi, die sich im Gehorsam gegenüber allen Geboten Gottes zeigt“ und fährt dann fort:

TM 92 Das ist die Botschaft, die nach Gottes Befehl der Welt weitergegeben werden soll. Es ist die dritte Engelsbotschaft, die mit lauter Stimme verkündet und von der Ausgießung des Heiligen Geistes in reichem Maße begleitet werden soll.

Die „laute Stimme“ und die „Ausgießung des Heiligen Geistes in reichem Maße“ ist eine deutliche Anspielung auf den „lauten Ruf“ aus Offenbarung 18 und den Spätregen, der die letzte weltweite Verkündigung begleiten wird. Es war der Sinn der Botschaft von Waggoner und Jones, diese letzten Ereignisse anzustoßen und damit die Wiederkunft Jesu anzubahnen. Wäre die Botschaft generell angenommen worden (ich spreche nicht von örtlich und zeitlich begrenzten Erweckungen, die es in der Tat in den Jahren nach 1888 gegeben hat), wären wir bereits in unserer himmlischen Heimat. Da wir es nicht sind und auch Spätregen und lauter Ruf noch ausstehen, wurde die Botschaft nicht angenommen. Ich wüsste nicht, wie man diesem Schluss ohne gesundheitsgefährdende Verrenkungen entkommen könnte.

Etwa 1893 schrieb Ellen White außerdem:

1888M 1814 Der Herr hat Bruder Jones und Bruder Waggoner berufen, der Welt eine Botschaft zu verkündigen, um ein Volk vorzubereiten, am Tag Gottes zu bestehen.

Die Botschaft der vollkommenen Gerechtigkeit Jesu ist die notwendige Vorbereitung sowohl für die Adventgemeinde als auch für die ganze Welt, um sich auf die Begegnung mit Christus in Seiner Herrlichkeit vorzubereiten. Wäre sie damals akzeptiert und ausgelebt worden, wäre Gottes Volk vorbereitet gewesen, und Jesus hätte nicht länger gewartet, die Seinen zu sich zu holen.

Ein dritter Hinweis ist, dass die Botschaft von 1888 die gleiche ist wie die Botschaft an Laodizea. In einem Brief an Uriah Smith 1892 schrieb Schwester White:

1888M 1052 Die uns von A. T. Jones und E. J. Waggoner vermittelte Botschaft ist Gottes Botschaft an die Gemeinde Laodizea

In der Tat lässt sich der Brief an Laodizea im Kern als eine göttliche Aufforderung an die Gemeinde verstehen, sich im Glauben die Gerechtigkeit Christi zu eigen zu machen, die in der Verkündigung von Jones und Waggoner so im Mittelpunkt steht. Und was wird passieren, wenn die Gemeinde die Laodizea-Botschaft (alias 1888-Botschaft) wirklich annimmt?

Ellen White sah in einer Vision vom 20. November 1857 die Sichtung, die Gottes Volk in zwei Gruppen teilt (1T 179ff.). Eine Gruppe ringt ernsthaft und ausdauernd mit Gott im Gebet, bedrängt von Satans Dämonen, doch gleichzeitig unter dem Schutz himmlischer Engel; die andere Gruppe ist gleichgültig, sorglos und wird von Finsternis verschlungen.

1T 181 Ich fragte nach der Bedeutung dieser Erschütterung [„shaking“, der engl. Begriff für Sichtung], und mir wurde gezeigt, dass der Auslöser dafür die klare, durch den Rat des treuen Zeugen hervorgerufene Botschaft war.

Nach dem Sichtungsprozess sieht Schwester White die eben noch fast verzweifelt ringende Gruppe als gerüstete, diszipliniert vorrückende und von himmlischem Licht strahlende Armee, die „mit großer Kraft“ die Wahrheit verkündet.

1T 183 Ich fragte, was diesen enormen Wandel bewirkt hatte. Ein Engel erwiderte: „Es ist der Spätregen, die Erquickung vom Angesicht des Herrn, der laute Ruf des dritten Engels.“

Diese Aussagen zeigen, dass das Sendschreiben an Laodizea und die Botschaft von 1888 in ihrem Kern und Ziel eins sind, denn beide dienen dazu, Gottes Volk in den Spätregen und lauten Ruf zu führen, wodurch die Wiederkunft angebahnt wird. Und beachten wir den folgenschweren Schluss aus dieser Erkenntnis: Die Botschaft der Gerechtigkeit aus Glauben wird die Gemeinde sichten. Dieser Punkt muss uns ganz klar sein, damit wir nicht von der Situation überrascht werden; daher noch einmal das erste Zitat von Seite 181 als ganzen Absatz:

1T 181 Ich fragte nach der Bedeutung dieser Erschütterung [Sichtung], und mir wurde gezeigt, dass der Auslöser dafür die klare, durch den Rat des treuen Zeugen hervorgerufene Botschaft war. Dieser Rat wird bei denen, die dafür offen sind, nicht ohne Wirkung bleiben: Sie werden den Maßstab wieder hochsetzen und die reine Wahrheit aussprechen. Einige werden solche deutlichen Aussagen nicht tolerieren und sich dagegen wehren; so wird es zu einer Erschütterung [Sichtung] unter Gottes Volk kommen.

Auch der Vergleich mit der Laodizeabotschaft zeigt also, dass die Botschaft von Minneapolis generell nicht angenommen worden ist, da es sonst schon lange zu Sichtung, Spätregen, lautem Ruf und der Wiederkunft Jesu gekommen wäre.