45. Dass wir rund 130 Jahre später noch immer um Erweckung und Reformation beten, beweist ohne Zweifel, dass dieser Vorstoß nicht erfolgreich war.

Die Logik hinter dieser These ist simpel. In ihrem bekannten Zitat über die Generalkonferenz 1888 in Testimonies to Ministers beschreibt Ellen White die Botschaft von Waggoner und Jones als „die Gerechtigkeit Christi, die sich im Gehorsam gegenüber allen Geboten Gottes zeigt“ und fährt dann fort:

TM 92 Das ist die Botschaft, die nach Gottes Befehl der Welt weitergegeben werden soll. Es ist die dritte Engelsbotschaft, die mit lauter Stimme verkündet und von der Ausgießung des Heiligen Geistes in reichem Maße begleitet werden soll.

Die „laute Stimme“ und die „Ausgießung des Heiligen Geistes in reichem Maße“ ist eine deutliche Anspielung auf den „lauten Ruf“ aus Offenbarung 18 und den Spätregen, der die letzte weltweite Verkündigung begleiten wird. Es war der Sinn der Botschaft von Waggoner und Jones, diese letzten Ereignisse anzustoßen und damit die Wiederkunft Jesu anzubahnen. Wäre die Botschaft generell angenommen worden (ich spreche nicht von örtlich und zeitlich begrenzten Erweckungen, die es in der Tat in den Jahren nach 1888 gegeben hat), wären wir bereits in unserer himmlischen Heimat. Da wir es nicht sind und auch Spätregen und lauter Ruf noch ausstehen, wurde die Botschaft nicht angenommen. Ich wüsste nicht, wie man diesem Schluss ohne gesundheitsgefährdende Verrenkungen entkommen könnte.

Etwa 1893 schrieb Ellen White außerdem:

1888M 1814 Der Herr hat Bruder Jones und Bruder Waggoner berufen, der Welt eine Botschaft zu verkündigen, um ein Volk vorzubereiten, am Tag Gottes zu bestehen.

Die Botschaft der vollkommenen Gerechtigkeit Jesu ist die notwendige Vorbereitung sowohl für die Adventgemeinde als auch für die ganze Welt, um sich auf die Begegnung mit Christus in Seiner Herrlichkeit vorzubereiten. Wäre sie damals akzeptiert und ausgelebt worden, wäre Gottes Volk vorbereitet gewesen, und Jesus hätte nicht länger gewartet, die Seinen zu sich zu holen.

Ein dritter Hinweis ist, dass die Botschaft von 1888 die gleiche ist wie die Botschaft an Laodizea. In einem Brief an Uriah Smith 1892 schrieb Schwester White:

1888M 1052 Die uns von A. T. Jones und E. J. Waggoner vermittelte Botschaft ist Gottes Botschaft an die Gemeinde Laodizea

In der Tat lässt sich der Brief an Laodizea im Kern als eine göttliche Aufforderung an die Gemeinde verstehen, sich im Glauben die Gerechtigkeit Christi zu eigen zu machen, die in der Verkündigung von Jones und Waggoner so im Mittelpunkt steht. Und was wird passieren, wenn die Gemeinde die Laodizea-Botschaft (alias 1888-Botschaft) wirklich annimmt?

Ellen White sah in einer Vision vom 20. November 1857 die Sichtung, die Gottes Volk in zwei Gruppen teilt (1T 179ff.). Eine Gruppe ringt ernsthaft und ausdauernd mit Gott im Gebet, bedrängt von Satans Dämonen, doch gleichzeitig unter dem Schutz himmlischer Engel; die andere Gruppe ist gleichgültig, sorglos und wird von Finsternis verschlungen.

1T 181 Ich fragte nach der Bedeutung dieser Erschütterung [„shaking“, der engl. Begriff für Sichtung], und mir wurde gezeigt, dass der Auslöser dafür die klare, durch den Rat des treuen Zeugen hervorgerufene Botschaft war.

Nach dem Sichtungsprozess sieht Schwester White die eben noch fast verzweifelt ringende Gruppe als gerüstete, diszipliniert vorrückende und von himmlischem Licht strahlende Armee, die „mit großer Kraft“ die Wahrheit verkündet.

1T 183 Ich fragte, was diesen enormen Wandel bewirkt hatte. Ein Engel erwiderte: „Es ist der Spätregen, die Erquickung vom Angesicht des Herrn, der laute Ruf des dritten Engels.“

Diese Aussagen zeigen, dass das Sendschreiben an Laodizea und die Botschaft von 1888 in ihrem Kern und Ziel eins sind, denn beide dienen dazu, Gottes Volk in den Spätregen und lauten Ruf zu führen, wodurch die Wiederkunft angebahnt wird. Und beachten wir den folgenschweren Schluss aus dieser Erkenntnis: Die Botschaft der Gerechtigkeit aus Glauben wird die Gemeinde sichten. Dieser Punkt muss uns ganz klar sein, damit wir nicht von der Situation überrascht werden; daher noch einmal das erste Zitat von Seite 181 als ganzen Absatz:

1T 181 Ich fragte nach der Bedeutung dieser Erschütterung [Sichtung], und mir wurde gezeigt, dass der Auslöser dafür die klare, durch den Rat des treuen Zeugen hervorgerufene Botschaft war. Dieser Rat wird bei denen, die dafür offen sind, nicht ohne Wirkung bleiben: Sie werden den Maßstab wieder hochsetzen und die reine Wahrheit aussprechen. Einige werden solche deutlichen Aussagen nicht tolerieren und sich dagegen wehren; so wird es zu einer Erschütterung [Sichtung] unter Gottes Volk kommen.

Auch der Vergleich mit der Laodizeabotschaft zeigt also, dass die Botschaft von Minneapolis generell nicht angenommen worden ist, da es sonst schon lange zu Sichtung, Spätregen, lautem Ruf und der Wiederkunft Jesu gekommen wäre.

5. Der Spätregen wird erst fallen, wenn die Gemeindeglieder mit reuigem Herzen darum beten.

Gott möchte, dass wir um den Spätregen bitten:

Sach 10,1 Erbittet euch von dem HERRN Regen zur Zeit des Spätregens! Der HERR ist es, der die Wetterwolken macht, er lässt den Regen regnen, er gibt einem jeden Brot, Kraut auf dem Feld.

Bevor Joel die frohe Zusicherung gibt, dass Gott Früh- und Spätregen sendet (2,23), beschreibt er, was vonseiten des Volkes vorausgehen soll:

Joel 2,12 Doch auch jetzt, spricht der HERR, kehrt um zu mir mit eurem ganzen Herzen und mit Fasten und mit Weinen und mit Klagen!

13 Und zerreißt euer Herz und nicht eure Kleider und kehrt um zum HERRN, eurem Gott! …

17 Die Priester, die Diener des HERRN, sollen weinen zwischen Vorhalle und Altar und sagen [beten]: HERR, blicke mitleidig auf dein Volk und gib nicht dein Erbteil der Verhöhnung preis, sodass die Nationen über sie spotten! Wozu soll man unter den Völkern sagen: Wo ist ihr Gott?

Ellen White unterstreicht, dass die Gabe des Heiligen Geistes von Reue und dem Gebet des Glaubens abhängt.

1SM 120 Unser himmlischer Vater ist mehr bereit, seinen Heiligen Geist denen zu geben, die ihn bitten, als irdische Eltern ihren Kindern gute Gaben geben. Es ist aber unsere Aufgabe, durch Bekenntnis, Demütigung, Reue und inniges Gebet die Bedingungen zu erfüllen, die Gottes Verheißung des Segens zugrunde liegen. Eine Erweckung kann nur als Antwort auf Gebet erwartet werden.

MYP 133 Nichts fürchtet Satan so sehr, als dass Gottes Volk den Weg freimacht und jedes Hindernis entfernt, sodass der Herr seinen Geist auf eine dahinwelkende Gemeinde und unbußfertige Versammlung ausgießen kann … Böse Menschen und Teufel können Gottes Werk nicht aufhalten oder seine Gegenwart in den Versammlungen seines Volkes verhindern, wenn sie mit gebeugten, zerbrochenen Herzen ihre Sünden bekennen und ablegen und im Glauben seine Verheißungen beanspruchen.