78. Laodizea braucht nicht menschliche Heilsgewissheit, sondern göttliche Heils-Ungewissheit – ein Aufrütteln aus dem gefährlichen Zustand einer falschen Rechtfertigungslehre, die blind für die Wahrheit macht.

Ein ganz wesentliches Problem mit dem gängigen Konzept von „Heilsgewissheit“ ist, dass es in aller Regel etwas Wichtiges außer Acht lässt: Jesus versucht im Brief an Laodizea, die Gemeinde der Endzeit davon zu überzeugen, dass sie unbewusst in einer falschen Gewissheit lebt. Das ist göttliche „Heilsungewissheit“ und natürlich völlig im Gegensatz zum heutigen Bemühen, möglichst allen „Heilsgewissheit“ zu vermitteln.

Gleichzeitig müssen wir betonen, dass Laodizeas Diagnose zwar sehr ernüchternd, ja schockierend ist, aber einen überaus konstruktiven und wohlwollenden Zweck verfolgt, nämlich eine gründliche geistliche Heilung. Die Wahrheit tut zuerst weh, ist aber trotzdem von tiefer Liebe motiviert, weil „der treue Zeuge“ weiß, dass allein der Weg über echte Selbsterkenntnis und „eifrige Buße“ zu dauerhafter Befreiung und wahrem Seelenfrieden führt.

Off 3,19 Ich überführe und züchtige alle, die ich liebe. Sei nun eifrig und tu Buße!

Paulus schreibt ähnlich an die Korinther, denen er einen recht strengen Brief mit zahlreichen Ermahnungen und Konfrontationen schickte, obwohl er wusste, dass es die Korinther treffen und traurig machen würde. Dem Apostel war aber klar, dass dies der einzig mögliche Weg zu Umkehr und umfassender Besserung für die Gemeinde war. Daher schreibt er etwas später in seinem zweiten Brief:

2Kor 7,9 Jetzt freue ich mich, nicht dass ihr betrübt worden, sondern dass ihr zur Buße betrübt worden seid …

10 Denn die Betrübnis nach Gottes Sinn bewirkt eine nie zu bereuende Buße zum Heil

11 Denn siehe, eben dies, dass ihr nach Gottes Sinn betrübt worden seid, wie viel Bemühen hat es bei euch bewirkt!

Paulus spricht von einer „Betrübnis nach Gottes Sinn“, die zwar zuerst unangenehm ist, aber wunderbare Früchte trägt: Sie führt zur Buße und eifrigem Bemühen und darüber zum Heil. Dieselbe „eifrige Buße“, sagt Jesus, brauchen wir als Gemeinde Laodizea. Kann es sein, dass wir unseren Geschwistern ungewollt ein „abgekürztes Heil“ vermitteln, ohne den mühsameren, aber notwendigen Weg über Trauer, Buße und echte Lebensreform („eifriges Bemühen“)? Nach meinen Erfahrungen, wonach ich in der Adventgemeinde auf fast allen Ebenen und Kanälen immer wieder auf unbiblisches, evangelisch-babylonisches Gedankengut zu Rechtfertigung und Erlösung stoße, muss ich die Frage leider mit Ja beantworten. Oder wann hast du zum letzten Mal eine Predigt darüber gehört, dass echter Glaube zu vollkommenem Gehorsam und vollendeter Heiligung führt?

Beachten wir die wunderbare und zutiefst biblische Balance im folgenden Zitat zwischen völligem Vertrauen auf Christus und völligem Gehorsam:

GW 50 Der Glaube an Christus, der die Menschen rettet, sieht nicht so aus, wie ihn viele darstellen. „Glaubt nur, glaubt!“, rufen sie, „Glaubt nur an Christus und ihr werdet gerettet. Das ist alles, was ihr zu tun habt.“ Während echter Glaube bei der Erlösung völlig auf Christus vertraut, führt er auch zur vollkommenen Übereinstimmung mit dem Gesetz Gottes. Der Glaube zeigt sich durch Werke. Und der Apostel Johannes erklärt: „Wer sagt: Ich kenne ihn, und hält seine Gebote nicht, der ist ein Lügner, und in dem ist die Wahrheit nicht.“ (1Joh 2,4)

Die Früchte zeigen die Qualität eines Baumes, und unser Leben und Verhalten Tag für Tag zeigt die Qualität der Rechtfertigung, die wir für uns beanspruchen. Wenn Gott vergibt, nimmt Er Sünde weg, und das zeigt sich in Erweckung und Reformation, in Wiedergeburt und einem neuen Leben in Liebe, Sanftmut, Güte und Gerechtigkeit. Wenn uns diese Erfahrung offensichtlich fehlt, sollten wir keine Zeit verlieren und den einzigen Weg gehen, der wirklich ans Ziel führt, nämlich uns vor Gott zu demütigen und von Ihm Sündenerkenntnis, Buße, Vergebung, Umkehr, neue Motive, neue Ziele und die Fülle Seiner Liebe und Seines Geistes schenken zu lassen. Es gibt nichts, was uns tiefer mit Freude, Dankbarkeit und Liebe erfüllen wird, als die Erfahrung zu machen, dass echte Vergebung immer die Befreiung zu einem neuen Leben in Gehorsam und vertrauensvoller Hingabe an Christus beinhaltet. Geben wir uns nicht mit weniger zufrieden! Das wäre nicht nur falsche Bescheidenheit, sondern eine Gefahr fürs Seelenheil. Suchen wir das Echte, das Original – den einen, wahren Christus und das eine, wahre, „ewige Evangelium“. Das ist nicht nur für unsere persönliche Erlösung notwendig, sondern auch für unseren Auftrag der globalen Verkündigung der Dreiengelbotschaft.

45. Dass wir rund 130 Jahre später noch immer um Erweckung und Reformation beten, beweist ohne Zweifel, dass dieser Vorstoß nicht erfolgreich war.

Die Logik hinter dieser These ist simpel. In ihrem bekannten Zitat über die Generalkonferenz 1888 in Testimonies to Ministers beschreibt Ellen White die Botschaft von Waggoner und Jones als „die Gerechtigkeit Christi, die sich im Gehorsam gegenüber allen Geboten Gottes zeigt“ und fährt dann fort:

TM 92 Das ist die Botschaft, die nach Gottes Befehl der Welt weitergegeben werden soll. Es ist die dritte Engelsbotschaft, die mit lauter Stimme verkündet und von der Ausgießung des Heiligen Geistes in reichem Maße begleitet werden soll.

Die „laute Stimme“ und die „Ausgießung des Heiligen Geistes in reichem Maße“ ist eine deutliche Anspielung auf den „lauten Ruf“ aus Offenbarung 18 und den Spätregen, der die letzte weltweite Verkündigung begleiten wird. Es war der Sinn der Botschaft von Waggoner und Jones, diese letzten Ereignisse anzustoßen und damit die Wiederkunft Jesu anzubahnen. Wäre die Botschaft generell angenommen worden (ich spreche nicht von örtlich und zeitlich begrenzten Erweckungen, die es in der Tat in den Jahren nach 1888 gegeben hat), wären wir bereits in unserer himmlischen Heimat. Da wir es nicht sind und auch Spätregen und lauter Ruf noch ausstehen, wurde die Botschaft nicht angenommen. Ich wüsste nicht, wie man diesem Schluss ohne gesundheitsgefährdende Verrenkungen entkommen könnte.

Etwa 1893 schrieb Ellen White außerdem:

1888M 1814 Der Herr hat Bruder Jones und Bruder Waggoner berufen, der Welt eine Botschaft zu verkündigen, um ein Volk vorzubereiten, am Tag Gottes zu bestehen.

Die Botschaft der vollkommenen Gerechtigkeit Jesu ist die notwendige Vorbereitung sowohl für die Adventgemeinde als auch für die ganze Welt, um sich auf die Begegnung mit Christus in Seiner Herrlichkeit vorzubereiten. Wäre sie damals akzeptiert und ausgelebt worden, wäre Gottes Volk vorbereitet gewesen, und Jesus hätte nicht länger gewartet, die Seinen zu sich zu holen.

Ein dritter Hinweis ist, dass die Botschaft von 1888 die gleiche ist wie die Botschaft an Laodizea. In einem Brief an Uriah Smith 1892 schrieb Schwester White:

1888M 1052 Die uns von A. T. Jones und E. J. Waggoner vermittelte Botschaft ist Gottes Botschaft an die Gemeinde Laodizea

In der Tat lässt sich der Brief an Laodizea im Kern als eine göttliche Aufforderung an die Gemeinde verstehen, sich im Glauben die Gerechtigkeit Christi zu eigen zu machen, die in der Verkündigung von Jones und Waggoner so im Mittelpunkt steht. Und was wird passieren, wenn die Gemeinde die Laodizea-Botschaft (alias 1888-Botschaft) wirklich annimmt?

Ellen White sah in einer Vision vom 20. November 1857 die Sichtung, die Gottes Volk in zwei Gruppen teilt (1T 179ff.). Eine Gruppe ringt ernsthaft und ausdauernd mit Gott im Gebet, bedrängt von Satans Dämonen, doch gleichzeitig unter dem Schutz himmlischer Engel; die andere Gruppe ist gleichgültig, sorglos und wird von Finsternis verschlungen.

1T 181 Ich fragte nach der Bedeutung dieser Erschütterung [„shaking“, der engl. Begriff für Sichtung], und mir wurde gezeigt, dass der Auslöser dafür die klare, durch den Rat des treuen Zeugen hervorgerufene Botschaft war.

Nach dem Sichtungsprozess sieht Schwester White die eben noch fast verzweifelt ringende Gruppe als gerüstete, diszipliniert vorrückende und von himmlischem Licht strahlende Armee, die „mit großer Kraft“ die Wahrheit verkündet.

1T 183 Ich fragte, was diesen enormen Wandel bewirkt hatte. Ein Engel erwiderte: „Es ist der Spätregen, die Erquickung vom Angesicht des Herrn, der laute Ruf des dritten Engels.“

Diese Aussagen zeigen, dass das Sendschreiben an Laodizea und die Botschaft von 1888 in ihrem Kern und Ziel eins sind, denn beide dienen dazu, Gottes Volk in den Spätregen und lauten Ruf zu führen, wodurch die Wiederkunft angebahnt wird. Und beachten wir den folgenschweren Schluss aus dieser Erkenntnis: Die Botschaft der Gerechtigkeit aus Glauben wird die Gemeinde sichten. Dieser Punkt muss uns ganz klar sein, damit wir nicht von der Situation überrascht werden; daher noch einmal das erste Zitat von Seite 181 als ganzen Absatz:

1T 181 Ich fragte nach der Bedeutung dieser Erschütterung [Sichtung], und mir wurde gezeigt, dass der Auslöser dafür die klare, durch den Rat des treuen Zeugen hervorgerufene Botschaft war. Dieser Rat wird bei denen, die dafür offen sind, nicht ohne Wirkung bleiben: Sie werden den Maßstab wieder hochsetzen und die reine Wahrheit aussprechen. Einige werden solche deutlichen Aussagen nicht tolerieren und sich dagegen wehren; so wird es zu einer Erschütterung [Sichtung] unter Gottes Volk kommen.

Auch der Vergleich mit der Laodizeabotschaft zeigt also, dass die Botschaft von Minneapolis generell nicht angenommen worden ist, da es sonst schon lange zu Sichtung, Spätregen, lautem Ruf und der Wiederkunft Jesu gekommen wäre.