78. Laodizea braucht nicht menschliche Heilsgewissheit, sondern göttliche Heils-Ungewissheit – ein Aufrütteln aus dem gefährlichen Zustand einer falschen Rechtfertigungslehre, die blind für die Wahrheit macht.

Ein ganz wesentliches Problem mit dem gängigen Konzept von „Heilsgewissheit“ ist, dass es in aller Regel etwas Wichtiges außer Acht lässt: Jesus versucht im Brief an Laodizea, die Gemeinde der Endzeit davon zu überzeugen, dass sie unbewusst in einer falschen Gewissheit lebt. Das ist göttliche „Heilsungewissheit“ und natürlich völlig im Gegensatz zum heutigen Bemühen, möglichst allen „Heilsgewissheit“ zu vermitteln.

Gleichzeitig müssen wir betonen, dass Laodizeas Diagnose zwar sehr ernüchternd, ja schockierend ist, aber einen überaus konstruktiven und wohlwollenden Zweck verfolgt, nämlich eine gründliche geistliche Heilung. Die Wahrheit tut zuerst weh, ist aber trotzdem von tiefer Liebe motiviert, weil „der treue Zeuge“ weiß, dass allein der Weg über echte Selbsterkenntnis und „eifrige Buße“ zu dauerhafter Befreiung und wahrem Seelenfrieden führt.

Off 3,19 Ich überführe und züchtige alle, die ich liebe. Sei nun eifrig und tu Buße!

Paulus schreibt ähnlich an die Korinther, denen er einen recht strengen Brief mit zahlreichen Ermahnungen und Konfrontationen schickte, obwohl er wusste, dass es die Korinther treffen und traurig machen würde. Dem Apostel war aber klar, dass dies der einzig mögliche Weg zu Umkehr und umfassender Besserung für die Gemeinde war. Daher schreibt er etwas später in seinem zweiten Brief:

2Kor 7,9 Jetzt freue ich mich, nicht dass ihr betrübt worden, sondern dass ihr zur Buße betrübt worden seid …

10 Denn die Betrübnis nach Gottes Sinn bewirkt eine nie zu bereuende Buße zum Heil

11 Denn siehe, eben dies, dass ihr nach Gottes Sinn betrübt worden seid, wie viel Bemühen hat es bei euch bewirkt!

Paulus spricht von einer „Betrübnis nach Gottes Sinn“, die zwar zuerst unangenehm ist, aber wunderbare Früchte trägt: Sie führt zur Buße und eifrigem Bemühen und darüber zum Heil. Dieselbe „eifrige Buße“, sagt Jesus, brauchen wir als Gemeinde Laodizea. Kann es sein, dass wir unseren Geschwistern ungewollt ein „abgekürztes Heil“ vermitteln, ohne den mühsameren, aber notwendigen Weg über Trauer, Buße und echte Lebensreform („eifriges Bemühen“)? Nach meinen Erfahrungen, wonach ich in der Adventgemeinde auf fast allen Ebenen und Kanälen immer wieder auf unbiblisches, evangelisch-babylonisches Gedankengut zu Rechtfertigung und Erlösung stoße, muss ich die Frage leider mit Ja beantworten. Oder wann hast du zum letzten Mal eine Predigt darüber gehört, dass echter Glaube zu vollkommenem Gehorsam und vollendeter Heiligung führt?

Beachten wir die wunderbare und zutiefst biblische Balance im folgenden Zitat zwischen völligem Vertrauen auf Christus und völligem Gehorsam:

GW 50 Der Glaube an Christus, der die Menschen rettet, sieht nicht so aus, wie ihn viele darstellen. „Glaubt nur, glaubt!“, rufen sie, „Glaubt nur an Christus und ihr werdet gerettet. Das ist alles, was ihr zu tun habt.“ Während echter Glaube bei der Erlösung völlig auf Christus vertraut, führt er auch zur vollkommenen Übereinstimmung mit dem Gesetz Gottes. Der Glaube zeigt sich durch Werke. Und der Apostel Johannes erklärt: „Wer sagt: Ich kenne ihn, und hält seine Gebote nicht, der ist ein Lügner, und in dem ist die Wahrheit nicht.“ (1Joh 2,4)

Die Früchte zeigen die Qualität eines Baumes, und unser Leben und Verhalten Tag für Tag zeigt die Qualität der Rechtfertigung, die wir für uns beanspruchen. Wenn Gott vergibt, nimmt Er Sünde weg, und das zeigt sich in Erweckung und Reformation, in Wiedergeburt und einem neuen Leben in Liebe, Sanftmut, Güte und Gerechtigkeit. Wenn uns diese Erfahrung offensichtlich fehlt, sollten wir keine Zeit verlieren und den einzigen Weg gehen, der wirklich ans Ziel führt, nämlich uns vor Gott zu demütigen und von Ihm Sündenerkenntnis, Buße, Vergebung, Umkehr, neue Motive, neue Ziele und die Fülle Seiner Liebe und Seines Geistes schenken zu lassen. Es gibt nichts, was uns tiefer mit Freude, Dankbarkeit und Liebe erfüllen wird, als die Erfahrung zu machen, dass echte Vergebung immer die Befreiung zu einem neuen Leben in Gehorsam und vertrauensvoller Hingabe an Christus beinhaltet. Geben wir uns nicht mit weniger zufrieden! Das wäre nicht nur falsche Bescheidenheit, sondern eine Gefahr fürs Seelenheil. Suchen wir das Echte, das Original – den einen, wahren Christus und das eine, wahre, „ewige Evangelium“. Das ist nicht nur für unsere persönliche Erlösung notwendig, sondern auch für unseren Auftrag der globalen Verkündigung der Dreiengelbotschaft.

54. Laodizeas Grundproblem ist eine unvollständige Bekehrung, was eine unvollständige Heiligung und einen unvollständigen Sieg über Sünde zur Folge hat.

In einem Brief vom 19. April 1903 appellierte Ellen White an Dr. John H. Kellogg, den berühmten Arzt und Leiter des adventistischen Battle Creek Sanitarium:

Ich bitte dich von ganzem Herzen: Übergib dich Gott rückhaltlos, und tu es jetzt, in diesem Moment. Wenn du diese Übergabe vollziehst, wirst du ein völlig anderes Glaubensleben haben, als du seit vielen Jahren hast. Dann wirst du mit dem Apostel Paulus sagen können: „Ich achte alles für Schaden gegenüber der alles übertreffenden Erkenntnis Christi“ (Phil 3,8). „Ich habe Lust an dem Gesetz Gottes nach dem inneren Menschen“ (Röm 7,22).

Weitere Aussagen:

FE 502 Gott ist durchaus in der Lage, uns in der Welt [vor Sünde] zu bewahren, solange wir nicht von der Welt sind. Seine Liebe ist nicht unsicher und wechselhaft. Unaufhörlich wacht er über seinen Kindern mit einer Fürsorge, die unermesslich und ewig ist. Doch verlangt er unsere ungeteilte Hingabe.

3T 370f. Wie Gottes Geschenk [Jesu Menschwerdung] an den Menschen freiwillig und seine Liebe grenzenlos war, so grenzenlos ist auch sein Anspruch auf unsere Zuversicht, unseren Gehorsam, unser ganzes Herz und unsere übersprudelnde Zuneigung. Er verlangt alles, was der Mensch zu geben imstande ist. Die Hingabe unsererseits muss sich an Gottes Gabe messen; sie muss vollständig und in jeder Hinsicht lückenlos sein … Er erwartet prompten und willigen Gehorsam und wird nichts weniger akzeptieren.

1897 schrieb sie in einem Artikel „Das Leben als Christ“:

12MR 50 Das Ich muss aus unserem Innern verbannt sein, sonst kann „Christus in uns“, die Hoffnung der Herrlichkeit, nicht sichtbar werden … Die Wiedergeburt ist eine seltene Erfahrung heutzutage. Das ist der Grund für die vielen Probleme in den Kirchen [o. Gemeinden]. Viele, sehr viele, die den Namen Christi annehmen, sind ungeheiligt und unheilig. Sie sind getauft, doch sie wurden lebendig begraben. Das Ich ist nicht gestorben, darum sind sie auch nicht zu einem neuen Leben in Christus auferstanden.

Etwas später macht sie deutlich, dass es unser Ich ist (= eine unvollständige Bekehrung), das den Weg zu christlicher Vollkommenheit (= vollständige Heiligung) blockiert; doch sobald es stirbt, kann der Heilige Geist uneingeschränkt in uns wirken, um genau dies hervorzubringen. Weil ihre Beschreibung für unser Thema sehr wertvoll ist, zitiere ich etwas ausführlicher:

52 Was erwartet Gott? Vollkommenheit, nichts weniger als Vollkommenheit. Aber wenn wir vollkommen sein wollen, dürfen wir kein Vertrauen auf uns selbst setzen. Täglich müssen wir daran denken und verstehen, dass das Ich nicht vertrauenswürdig ist. Mit festem Glauben müssen wir Gottes Verheißungen ergreifen. Wir müssen um den Heiligen Geist bitten, im vollen Bewusstsein unserer Hilflosigkeit. Wenn dann der Heilige Geist wirkt, werden wir nicht uns selbst die Ehre geben. Der Heilige Geist wird das Herz unter seine gnädige Obhut nehmen und die hellen Strahlen der Sonne der Gerechtigkeit ganz auf es scheinen lassen. Durch Gottes Macht werden wir dann im Glauben bewahrt …

55 Es ist Gottes Wohlgefallen und Wille, dass die Segnungen für den Menschen vollständig und vollkommen sind. Er hat Vorsorge getroffen, dass durch den Heiligen Geist jede Schwierigkeit gelöst und jeder Bedarf gedeckt wird. Seine Absicht dahinter ist, dass der Mensch einen vollkommenen christlichen Charakter entwickelt. Gott möchte, dass wir seine Liebe und seine Versprechen betrachten, die er denen so großzügig schenkt, die keine eigenen Verdienste haben. Er möchte, dass wir uns völlig, dankbar und freudig auf die Gerechtigkeit verlassen, die uns in Christus zur Verfügung steht. Wer auf dem von Gott vorgesehenen Weg zu ihm kommt, stößt bei ihm auf offene Ohren.

„Wir alle aber schauen mit aufgedecktem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn an und werden so verwandelt in dasselbe Bild von Herrlichkeit zu Herrlichkeit, wie es vom Herrn, dem Geist, geschieht.“ (2Kor 3,18) Christus anzuschauen bedeutet, sein im Wort Gottes beschriebenes Leben zu studieren. Wir müssen nach der Wahrheit graben wie nach einem verborgenen Schatz. Unser Blick muss unverwandt auf Christus gerichtet sein. Wenn wir ihn als persönlichen Erlöser annehmen, erhalten wir Freimütigkeit, vor den Gnadenthron zu kommen. Durch Anschauen werden wir verwandelt – sittlich dem Einen gleich, dessen Charakter vollkommen ist. Indem wir seine zugerechnete Gerechtigkeit empfangen, werden wir durch die umwandelnde Macht des Heiligen Geistes wie er. Das Bild Christi ist uns kostbar und vereinnahmt das ganze Wesen.

Es gibt fast unendlich viele Zitate im Geist der Weissagung zu dieser Thematik und wahrscheinlich gerade zum Thema Laodizea noch viel treffendere als die aufgeführten. Eines aber durchzieht sie alle wie ein roter Faden: Gottes Vorsorge für ein siegreiches, heiliges Leben und die Entwicklung eines vollkommenen christlichen Charakters ist überschwänglich, und die Gründe dafür, dass diese Erfahrung dennoch so rar ist, sind ausnahmslos beim Menschen zu suchen. Es sind Dinge wie die Liebe zum Ich oder zur Welt, die uns von einer vollständigen Bekehrung abhalten und so das vollmächtige, wesenverwandelnde Wirken des Geistes in uns verhindern. Das ist der Grund, dass Christus tatsächlich von außen um Einlass in unser Herz wirbt:

Off 3,20 Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an. Wenn jemand meine Stimme hört und die Tür öffnet, so werde ich zu ihm hineingehen und das Mahl mit ihm essen und er mit mir.

16. Mangelnde Gotteserkenntnis führt am Ende in den Tod: „Mein Volk kommt um aus Mangel an Erkenntnis.“ (Hos 4,6) Die Laodizea-Botschaft ist daher eine Frage von Leben oder Tod.

EG 263 Ich sah, dass das Zeugnis des wahren Zeugen nicht halb beachtet worden ist. Das feierliche Zeugnis, von welchem das Schicksal der Gemeinde abhängt, ist nur oberflächlich geschätzt, wenn nicht gänzlich missachtet worden. Dies Zeugnis muss tiefe Reue wirken; alle, die es in Wahrheit annehmen, werden demselben gehorchen und gereinigt werden.

1Sch 58f. Der Engel sagte: „Gott wird sein Wirken immer mehr darauf einstellen, den einzelnen seines Volkes zu prüfen und zu erproben.“ Manche sind bereit, die eine Prüfung hinzunehmen; führt Gott sie aber in eine andere Situation, so schrecken sie zurück, weil sie meinen, irgendeine ihrer liebsten Gewohnheitssünden werde davon betroffen … Wer jedoch alle Prüfungen besteht und überwindet, ganz gleich für welchen Preis, hat den Rat des treuen Zeugen beachtet, wird den Spätregen empfangen und somit würdig sein für die Aufnahme ins Reich Gottes …

Beachten wir den letzten Satz: Die Botschaft an Laodizea dient der Vorbereitung auf den Spätregen. Der Spätregen wiederum leitet die letzte weltweite Evangeliumsverkündigung, den „lauten Ruf“ ein, kurz bevor Christus kommt. Anders gesagt: Der Grund für die lange Verzögerung der Wiederkunft seit 1844 ist, dass Gottes Gemeinde noch immer nicht die Laodizea-Botschaft angenommen und umgesetzt hat! Denn ist das einmal geschehen, werden die noch ausstehenden Ereignisse bis zum Kommen Jesu sehr schnell ablaufen. Der Himmel wartet auf uns.

11. Der mangelhafte Glaube verhindert die Erfahrung vollständiger Rechtfertigung aus Glauben, von Jesus als „Nacktheit“ diagnostiziert.

Was ich weder für nötig noch für möglich halte, werde ich auch nicht in Anspruch nehmen – weil ich gar nicht daran glaube. Viele halten es für das Evangelium, „gesund gesprochen“ statt „gesund gemacht“ zu werden. Tatsächlich aber gibt es so einen Zustand gar nicht, denn alle, die Christus während seines irdischen Wirkens „gesund sprach“, wurden im selben Zuge „gesund gemacht“. Eine „Rechtfertigung“, die „gerecht spricht“, ohne „gerecht zu machen“, ist tatsächlich nicht mehr als eine eingebildete Rechtfertigung, und Menschen, die diesem Glauben anhängen, sind in Wirklichkeit „nackt“ – ohne das Kleid der Gerechtigkeit Jesu.

Das ist die trügerische Situation, aus der Christus seine Gemeinde durch die Botschaft an Laodizea befreien will. Er möchte in uns den Glauben an die unbegrenzte Macht seines göttlichen Wortes entfachen – dass es in uns genau das hervorbringen wird, was es beinhaltet: Gerechtigkeit, was nur ein anderes Wort ist für Heiligkeit, Liebe, Vollkommenheit.

Jes 55,10 Denn wie der Regen fällt und vom Himmel der Schnee und nicht dahin zurückkehrt, sondern die Erde tränkt, sie befruchtet und sie sprießen lässt, dass sie dem Sämann Samen gibt und Brot dem Essenden,

11 so wird mein Wort sein, das aus meinem Mund hervorgeht. Es wird nicht leer zu mir zurückkehren, sondern es wird bewirken, was mir gefällt, und ausführen, wozu ich es gesandt habe.

Würden wir mehr den Geist der Weissagung lesen und glauben, was Gott uns darin sagt, die Warnungen ebenso wie die unzähligen Ermutigungen und Verheißungen, so hätte die Gemeinde ihren Laodizea-Zustand längst erkannt und im Glauben an Gottes Liebe, Güte und Macht überwunden. Hier nur eine von vielen Stellen, wo Ellen White deutlich macht, worin rettender Glaube wirklich besteht:

3SM 360 Am Tag des Gerichts wird das Leben desjenigen, der seine menschliche Fehlerhaftigkeit und Unvollkommenheit behalten hat, nicht gerechtfertigt werden. Für ihn wird im Himmel kein Platz sein. Er hätte keine Freude an der Vollkommenheit der Heiligen im Licht. Wer nicht genug Glauben an Christus hat, um zu vertrauen, dass Er ihn vor dem Sündigen bewahren kann, hat nicht den Glauben, der ihm Eintritt in das Reich Gottes verschaffen wird.

Nicht wenige Geschwister reagieren auf so eine Aussage mit „Heulen und Zähneklappen“ und fühlen sich furchtbar entmutigt und vom Heil ausgeschlossen. Der Grund dafür ist, dass sie auf sich selbst schauen statt auf ihren Erlöser. Ihre bedrückende Seelenlast wird verschwinden, sobald sie ihre Augen fest auf Jesus und Seine grenzenlose Liebe zum gefallenen Menschen und Seine unbeschränkte Rettermacht richten.

Denn immer finden sich in solchen mahnenden Worten auch wunderbare, mächtige Verheißungen, an die wir uns klammern dürfen – in diesem Fall: Du kannst Christus vertrauen, dass Er dich vor dem Sündigen bewahren kann! Und wenn du in diesem Glauben an Christus festhältst – vielmehr dich von Ihm festhalten lässt –, so wird dir einmal „reichlich gewährt werden der Eingang“ in das Reich Gottes (2Pe 1,11). DAS sollen und dürfen wir aus Zitaten wie diesem herauslesen und für uns persönlich in Anspruch nehmen! Wir dürfen und sollen glauben, kindlich und grenzenlos vertrauen. Der diese Verheißungen ausgesprochen hat, liebt uns und hat Sein Leben dafür gelassen, uns zu heilen und für immer zu sich zu holen. Er kann nicht lügen, und Er wird vollenden, was Er in uns begonnen hat, wenn wir Ihm glauben. Leg deine Hände, mögen sie auch zittern, in die Seinen, und lass dich von Ihm halten, leiten und heilen! Er ist unser Friede.

10. Das mangelhafte Verständnis der eigenen Verlorenheit führt zu einem mangelhaften Verständnis des Rettungswerkes Jesu und einem Mangel an Glauben an dieses Werk, von Jesus als „Armut“ diagnostiziert.

Wenn ein Krebskranker mit einem Rezept für Kamillentee zufrieden ist, versteht er offensichtlich seine Situation nicht. Aus demselben Grund wird er aber auch kein Bedürfnis verspüren, seinen Arzt zu wechseln. Erschwerend kommt womöglich hinzu, dass er mit vielen anderen Kranken Umgang hat, die gleichsam ihre tägliche Tasse Tee genießen und die Symptome ihrer Erkrankung für normal halten.

Krankheit lässt sich nur richtig definieren, wenn man einen klaren Begriff von Gesundheit hat. Es ist der Kontrast zu voller Gesundheit, der den Umfang eines Leidens sichtbar macht. Die biblische Definition von Gesundheit ist Gerechtigkeit, Heiligkeit, Reinheit, Liebe, Vollkommenheit. Nur im Vergleich dazu können wir unser geistliches Leiden richtig einordnen. Hier einige weitere Sätze aus dem in These 9 zitierten Abschnitt in Erfahrungen und Gesichte:

EG 62f. Ich sah auch, dass viele nicht erkennen, was sie sein müssen, um in der Zeit der Trübsal ohne einen Hohepriester im Heiligtum vor Gottes Angesicht zu leben. Diejenigen, die das Siegel des lebendigen Gottes empfangen und in der Zeit der Trübsal gesichert sind, müssen das Bild Jesu vollkommen widerstrahlen

Ich sah, dass keiner an der Erquickung teilhaben kann, der nicht den Sieg über jegliche Sünde, über Stolz, Selbstsucht, Liebe zur Welt und über jedes unrechte Wort und jede unrechte Tat erlangt hat.

Das inspirierte Wort definiert geistliche Gesundheit hier als „das Bild Jesu vollkommen widerstrahlen“ und „Sieg über jegliche Sünde“ in Wort und Tat. Diese Gesundheit wiederherzustellen, ist das wahre, wunderbare Werk unseres göttlichen Arztes. Nur im Kontrast zu dieser Gesundheit (die Adam und Eva einst besaßen) erkennen wir, wie ernst unsere Krankheit wirklich ist – und suchen echte Hilfe bei Christus. Und Gott sei Dank – Er ist nicht nur überaus willig, sondern auch uneingeschränkt fähig, uns einmal mehr mit jener makellosen Gesundheit auszustatten, und zwar durch das „Kleid“ seines eigenen göttlichen, liebenden Wesens!

9. Die mangelnde Reue unter Adventisten ist ein Zeichen mangelnder Selbst- und Gotteserkenntnis, von Jesus als „Blindheit“ diagnostiziert.

Würde Gottes Volk heute ebenso Reue, Sündenbekenntnis und Versöhnung praktizieren wie Jesu Jünger in den zehn Tagen nach der Himmelfahrt, so würde der Herr nicht anders antworten als damals und seinen Geist in nie dagewesener Fülle auf uns ausgießen. Es gab dazu in der Adventgeschichte immer wieder vielversprechende Ansätze, etwa in den Jahren 1856/57 oder auf der Generalkonferenz von 1893. Alle diese Erweckungsbewegungen waren von tiefer Reue und Selbsterkenntnis gekennzeichnet, doch keine von ihnen war von Dauer oder erfasste die Gemeinde in ihrer Breite.

Heute wissen wir nicht mehr viel von diesen bedeutsamen Ereignissen, und das erschwert unsere Selbsterkenntnis. Da wir schon so lange von Lauheit umgeben sind, haben wir sie fast als Normalfall akzeptiert und unser Bild von Gott entsprechend verharmlost – zu einem toleranten, umgänglichen, lieben „Papa“. Deswegen wirkt eine Beschreibung wie die folgende auf viele wie ein böses Märchen aus einer fremden Welt:

EG 61-63 Ich sah ein Licht von der Herrlichkeit ausgehen, die den Vater umgab, und als es nahe zu mir kam, zitterte ich wie ein Blatt am Baum. Ich dachte, wenn es mir näher käme, müsste ich aufhören zu leben; aber das Licht ging an mir vorbei. Dann konnte ich mir einen Begriff von dem großen und schrecklichen Gott machen, mit dem wir es zu tun haben

Diejenigen, die sich nicht durch die Propheten wollen zurichten lassen, die es versäumten, ihre Seele zu reinigen, indem sie der ganzen Wahrheit gehorchen, und die ihren Zustand für besser halten, als er wirklich ist, werden zur Zeit, wenn die Plagen kommen, aufwachen und erkennen, dass es nötig war, für den Bau behauen und zugerichtet zu werden … Lasst uns daran denken, dass Gott heilig ist und dass nur heilige Wesen ewig in seiner Gegenwart wohnen können.

Beachten wir, wie Ellen White hier zwei Dinge miteinander verbindet: mangelnde Erkenntnis von Gott (Seiner Heiligkeit) und mangelnde Selbsterkenntnis (den eigenen Zustand für besser halten, als er ist). Weil Laodizea wenig Begriff von seiner Sündigkeit hat, hat es auch wenig Begriff von Gottes Heiligkeit – und umgekehrt. Auf eine Gemeinde in diesem Zustand der „Realitätsferne“ trifft auf erschreckende Weise das Wort zu:

Am 5,18 Wehe denen, die den Tag des HERRN herbeiwünschen! Wozu soll euch denn der Tag des HERRN sein? Er wird Finsternis sein und nicht Licht.

Daher ist es Gnade, dass Gott unseren Wunsch nach der Wiederkunft noch nicht erhört hat.

1. Als unser Herr und Erlöser der Adventgemeinde sagte: „Sei nun eifrig und tue Buße!“ (Off 3,19), hat er gewollt, dass diese Buße das ganze Leben der Gläubigen erfasst.

Vordergründig beginnt die erste These mit der Buße, weil Luthers 95 Thesen damit begannen. Auch die Formulierung ist Luthers These entlehnt. Hintergründig ist Buße ein unverzichtbarer, aber unterschätzter Bestandteil des Evangeliums, denn ein Mangel an echter Reue lässt die Kraft des Evangeliums gar nicht erst zur Entfaltung kommen. Sowohl Johannes der Täufer als auch Jesus begannen daher ihre Verkündigung mit dem Aufruf an Gottes Volk zur Buße, ebenso die ersten Christen nach Pfingsten.

Mt 3,1 In jenen Tagen aber kommt Johannes der Täufer und predigt in der Wüste von Judäa

2 und spricht: Tut Buße! Denn das Reich der Himmel ist nahe gekommen.

Mt 4,17 Von da an begann Jesus zu predigen und zu sagen: Tut Buße, denn das Reich der Himmel ist nahe gekommen!

Apg 2,37 Als sie aber das hörten, drang es ihnen durchs Herz, und sie sprachen zu Petrus und den anderen Aposteln: Was sollen wir tun, ihr Brüder?

38 Petrus aber sprach zu ihnen: Tut Buße, und jeder von euch lasse sich taufen auf den Namen Jesu Christi zur Vergebung eurer Sünden! Und ihr werdet die Gabe des Heiligen Geistes empfangen.

Auch die Botschaft an die letzte der sieben Gemeinden lautet: „Sei nun eifrig und tue Buße!“ Im Neuen Testament bezieht sich „Eifer“ (griech. zelos) meist auf eine Beziehung und wird entsprechend auch mit „Eifersucht“ oder „Neid“ wiedergegeben. Eifersucht will die Exklusivität – sie ist nicht bereit, eine Person mit jemand anders zu teilen. Gott ist mit seinem Volk eine exklusive Beziehung eingegangen: eine Ehe (2Kor 11,2). Er hat alles für seine Braut gegeben, und dieselbe ungeteilte Hingabe wünscht er sich von ihr: „Eifer“ für den Einen, Abkehr von allen „anderen Göttern“ (2Mo 20,3). Nur in dieser Entschiedenheit hat der Ehebund mit Gott Zukunft. Die Ungeteiltheit in der Beziehung mit Christus ist der Adventgemeinde verloren gegangen, und sie wieder herzustellen, ist Aufgabe des göttlichen Briefes an Laodizea (Off 3,15-22).

Die Adventgläubigen nach 1844 hatten die Laodizea-Botschaft zuerst auf die sonntaghaltenden Kirchen angewandt. Doch bereits 1852 schrieb Ellen White über die damaligen Adventisten, diese Botschaft sei „eine perfekte Beschreibung ihres gegenwärtigen Zustands“ (RH, 10.6.1852). 1857 erhielt sie eine ausführliche Vision über Laodizea, in der es u. a. heißt:

FS 257 Ich sah, dass das Zeugnis des treuen Zeugen [die Laodizea-Botschaft] nicht halb beachtet worden ist. Das ernste Zeugnis, von dem das Schicksal der Gemeinde abhängt, ist nur oberflächlich geschätzt, wenn nicht gänzlich missachtet worden. Dieses Zeugnis muss tiefe Reue bewirken; alle, die es wirklich annehmen, werden ihm gehorchen und gereinigt werden.

Ein Mangel an „Gehorsam und Reinheit“ im Leben deutet demnach auf ein tieferes Problem hin, nämlich dass „tiefe Reue“ fehlt.