91. Damit befindet sich das heutige Israel auf demselben Weg wie das alte Israel, das sich einen Messias wünschte, der sie von den Römern befreite, ohne zu verstehen, dass es ihre Sünden waren, die die Fremdherrscher überhaupt erst ins Land brachten.

Hes 18,4 Die Seele, die sündigt, sie soll sterben.

5 Und wenn jemand gerecht ist und Recht und Gerechtigkeit übt …

9 in meinen Ordnungen lebt und meine Rechtsbestimmungen hält, um sie getreu zu befolgen: gerecht ist er. Leben soll er, spricht der Herr, HERR.

Der Erlösungsplan ist nicht und war nie dazu gedacht, die göttlich begründete Gesetzmäßigkeit von Ursache und Wirkung – Gehorsam bringt Leben, Ungehorsam bringt Tod – aufzuheben. Christi Tod am Kreuz hat die ewige Unauflöslichkeit dieser Gesetzmäßigkeit ultimativ und unanfechtbar bewiesen. Sein stellvertretendes Leiden hat dem Menschen eine Generalamnestie und eine mit allen geistlichen Privilegien versehene, zweite Bewährungszeit verschafft, in der wir durch das Werben und Wirken der göttlichen Liebe und Gnade zur ursprünglichen Loyalität zurückgeführt werden sollen. Aus Liebe zu Seinen irrenden Geschöpfen zügelt Gott Seine eigene Gerechtigkeit, um einen Zeitkorridor der Rettung zu ermöglichen.

PK 195f. Die Langmut Gottes war bisher sehr groß — so überaus groß, dass wir uns wundern, wenn wir die fortgesetzte Übertretung seiner heiligen Gebote bedenken. Der Allmächtige hat sich Zurückhaltung auferlegtGott räumt den Menschen eine Zeit zur Bewährung ein; es gibt aber eine ganz bestimmte Grenze, hinter der die göttliche Geduld erschöpft ist und die Gerichte Gottes die sichere Folge sind.

Golgatha hat Gottes Gerechtigkeit nicht im Geringsten geschmälert, sondern vielmehr auf ewig bestätigt. Rettung bedeutet daher, dass der Sünder Vergebung erhält und wieder zur Gerechtigkeit zurückgeführt wird. Damit ist aber nicht das so gängige Verständnis von „Gerechtigkeit“ gemeint, „große“ Sünden wie Ehebruch und Diebstahl ganz zu lassen und „kleine“ Sünden wie Stolz und Gerüchtestreuen, so gut es geht, einzudämmen, sondern vollkommene Gerechtigkeit – die einzige Gerechtigkeit, die in der Bibel und im ganzen Universum existiert, die einzige, die Gott anerkennt und die im Gericht gilt, und – dem HERRN sei Dank! – die einzige, die Jesus anzubieten hat.

Es macht mir Mühe, dies in Worte zu fassen, weil ich oft empfinde, dass wir uns ausgesprochen schwertun, diese so essenzielle und lebenswichtige Wahrheit zu erfassen und anzunehmen. Wir sind in einer ähnlichen Situation wie die Juden bei Jesu erstem Kommen, die sich einreden konnten, sie seien doch ein freies Volk, weil sie noch ihren Hohen Rat und begrenzt eine eigene Gerichtsbarkeit hatten. Sie hatten nicht das Gefühl, Befreiung zu brauchen, und behaupteten vor Jesus:

Joh 8,33 Wir sind Abrahams Nachkommen und sind nie jemandes Knechte gewesen; wie kannst du da sagen: Ihr sollt frei werden?

In ähnlicher Weise sind viele Gemeindeglieder überzeugt, sie bräuchten keine „Vollkommenheit“, da ihr adventistischer Lebensstil doch der beste Beweis dafür sei, dass es um ihr Heil gut bestellt sei: Freiheit von den „großen“ Sünden und das „aufrichtige Bemühen“, auch die anderen nicht überschießen zu lassen. Ist das nicht die „Freiheit der Kinder Gottes“? Reicht das nicht, zumal wir am Ende sowieso „aus Gnade“ erlöst und freigesprochen werden? Die Frage des heutigen Israel lautet praktisch:

Wir sind Luthers Nachkommen und immer unter der Gnade gewesen. Wie kannst du da sagen: Ihr sollt vollkommen sein?

Jesu Antwort ist dieselbe wie damals:

Joh 8,34 Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Jeder, der die Sünde tut, ist der Sünde Sklave.

35 Der Sklave aber bleibt nicht für immer im Haus; der Sohn bleibt für immer.

36 Wenn nun der Sohn euch frei machen wird, so werdet ihr wirklich frei sein.

Es sind nicht nur die großen Sünden, die versklaven – nein, auch die kleinen. Jede Sünde. „Wirklich frei“ zu sein, heißt darum, von jeder Sünde frei zu sein. Und das tut Jesus an uns, indem Er uns von Knechten der Sünde zu „Söhnen Gottes“ macht – neu geboren durch den Heiligen Geist. Er gestaltet Herz und Sinn so wirksam um, dass wir am Ende Gottes Bild vollkommen widerspiegeln. Vergessen wir nie: „Ihr nun sollt vollkommen sein“ (Mt 5,48) ist zwar eine Aufforderung, zuerst und zuvorderst jedoch eine Verheißung.

Im Buch Schritte zu Jesus lesen wir, wie „klein“ die „kleinen Sünden“ wirklich sind:

SzJ 37 Nur ein einziger falscher Charakterzug, ein einziges sündiges, beharrlich gepflegtes Verlangen wird schließlich die ganze Kraft des Evangeliums aufheben.

Doch dann folgen wunderbare Worte der Ermutigung:

38 Wenn du das furchtbare Ausmaß der Sünde erkennst, wenn du dich selbst so siehst, wie du wirklich bist, dann gib nicht auf und verzweifle nicht! Christus kam, um die Sünder zu retten. Wir müssen nicht Gott mit uns versöhnen, sondern – o wunderbare Liebe! – Gott „versöhnte die Welt in Christus mit sich selbst“ (2Kor 5,19). Mit inniger Liebe wirbt er um die Herzen seiner irrenden Kinder …

39 Wenn Satan kommt und dir sagen will, dass du ein großer Sünder bist, dann blicke auf zu deinem Heiland und rede von seinen Verdiensten. Schau in sein Licht, das allein wird dir helfen. Gib deine Sünde zu, doch sage dem Feind, dass „Christus in die Welt gekommen ist, um die Sünder zu retten“ (1Tim 1,15), und dass du durch seine unvergleichliche Liebe errettet werden kannst.

Mit Blick auf das christliche Leben als ein Wettlauf schreibt Ellen White:

AA 313 Nicht einer, der den Bedingungen nachkommt, wird am Ende des Wettlaufs enttäuscht werden. Nicht einer, der ernst und ausdauernd ist, wird das Ziel verfehlen. Der Lauf gehört nicht dem Schnellen noch die Schlacht dem Starken. Der schwächste Heilige kann ebenso wie der stärkste einmal die Krone unsterblicher Herrlichkeit tragen. Alle können siegen, die durch die Kraft göttlicher Gnade ihr Leben in Einklang mit dem Willen Christi bringen. (vgl. WA 313)

Dem Herrn sei Dank, dass es nicht an unserer, sondern an Seiner Kraft liegt!

90. „Der Lohn der Sünde ist der Tod.“ (Röm 6,23) Wahre Rechtfertigung geht dem Problem an die Wurzel und befreit von Sünde; falsche Rechtfertigung gibt sich damit zufrieden, vom Tod befreit zu werden.

Wenn ein reicher Vater immer wieder die Schulden seines spielsüchtigen Sohnes begleicht, ohne das eigentliche Problem anzugehen, nämlich die Sucht, nennt man das Ko-Abhängigkeit. Das scheinbare Wohlwollen des Vaters ist in Wirklichkeit das größte Hindernis für die Heilung seines Sohnes, weil es ständig nur die Folgen der destruktiven Gewohnheit vom Sohn fernhält und damit den Erkenntnis- und Lernprozess verhindert, der die Voraussetzung für eine Entscheidung zu echter Veränderung ist. Auf diese Weise wird der Vater mitschuldig am Lebensstil seines Sohnes, der sich immer mehr vertieft und immer schwerer zu überwinden wird, je länger die Situation der Ko-Abhängigkeit anhält.

Die falsche Rechtfertigungslehre degradiert Christus in letzter Konsequenz zu einem Ko-Abhängigen, dessen Aufgabe es ist, die Folgen der Sünde von uns fernzuhalten, ohne die Sünde selbst zu beseitigen – eine Art künstliche Lebensverlängerung von Sünder und Sünde. Dieses Zerrbild von Mittlerdienst existiert schon sehr lange. Die Bibel nennt einen solchen Priester „Diener der Sünde“, und Paulus beantwortet die Frage, ob dies auf unseren Hohepriester Jesus Christus zutreffe, mit einem energischen: „Das sei ferne!“ (Gal 2,17)

87. Liebe zu Jesus bewirkt immer eine tiefe Sehnsucht, gänzlich frei von Sünde zu werden und ein Leben beständigen Gehorsams zu führen, im Einklang mit Ihm.

Ps 97,10 Die ihr den HERRN liebt, hasst das Böse!

Amos 3,3 LUT Können etwa zwei miteinander wandern, sie seien denn einig untereinander?

Joh 14,15 Liebt ihr mich, so haltet meine Gebote!

TSB 135 Wenn du zu Jesus kommst und in demütiger Reue deine Sünden bekennst, wird Er dir deine Sünden vergeben und dich von jeder Ungerechtigkeit reinigen. Erst wenn du die Sünde hasst und Reinheit, Wahrheit und Gerechtigkeit liebst, kannst du von der Sünde lassen.

BE, 1.11.1893 Wer gerettet werden will, muss seinen Blick auf Jesus halten. Indem er Christus betrachtet, lernt er, die Sünde zu hassen, die seinem Erlöser Leid und Tod gebracht hat. Im Anschauen wird sein Glaube stark, und er lernt „den einzig wahren Gott und Jesus Christus, den Er gesandt hat“, kennen. Der Sünder sieht Jesus, wie Er ist – voller Mitgefühl und zärtlicher Liebe –, und indem er die Offenbarung Seiner großen Liebe zum gefallenen Menschen im Leiden auf Golgatha betrachtet, wird sein Charakter verwandelt.

DA 668 Wenn wir Gott so kennen, wie es unser Vorrecht ist, werden wir ein Leben beständigen Gehorsams führen. Weil wir Christi Charakter so wertschätzen und Gemeinschaft mit Gott haben, werden wir die Sünde hassen. (vgl. LJ 666)

AG 294 Durch Anschauen werden wir verändert werden, und wenn wir über die Vollkommenheit des göttlichen Vorbilds nachdenken, wird der Wunsch da sein, vollständig umgewandelt zu werden, erneuert im Bild seiner Reinheit. Durch den Glauben an den Sohn Gottes wird der Charakter verwandelt, und aus dem Kind des Zorns wird ein Kind Gottes.

69. Ein Mittlerdienst, der immer wieder Vergebung bietet, jedoch keine vollständige Heiligung, würde die Sünde verlängern statt wegnehmen und Christus zu einem „Diener der Sünde“ (Gal 2,17) machen. „Gehorsam ist besser als Schlachtopfer“! (1Sam 15,22)

Im Galaterbrief schreibt der Apostel:

Gal 2,17 Wenn aber auch wir selbst, die wir in Christus gerechtfertigt zu werden suchen, als Sünder befunden wurden – ist dann also Christus ein Diener der Sünde? Das ist ausgeschlossen.

Der Begriff „Diener“ bezieht sich auf Jesu Dienst als Hohepriester im Heiligtum. Paulus stellt damit die unausgesprochene Frage vieler damaliger Juden an den „neuen“ Christusglauben: „Wenn ihr sagt, dass ihr vor Gott ebenso Sünder seid wie die Heiden, und euch statt auf Gesetzesgehorsam auf Christus beruft, wird dann der Glaube nicht zum Ersatz für Gehorsam? Wird nicht der Mittlerdienst Jesu zu einer Einrichtung für straffreies Sündigen?“ Paulus weist diese Möglichkeit entschieden von sich und antwortet: „Ausgeschlossen!“ (ELB) oder, wie viele andere Bibeln übersetzen: „Das sei ferne!“

Dieselbe entschiedene Ablehnung gilt auch heute. Der Erlösungsplan ist keiner Weise dazu gedacht, Gesetzesübertretung zu erleichtern, indem die Folgen vom Übertreter ferngehalten werden, sondern hat in jeder Hinsicht den Zweck, die Sünde mitsamt ihren furchtbaren Konsequenzen wirksam und auf ewig zu entfernen. Viele Textstellen der Heiligen Schrift bezeugen dies:

3Mo 16,30 Denn an diesem Tag [Versöhnungstag] wird man für euch Sühnung erwirken, um euch zu reinigen: von all euren Sünden werdet ihr rein sein vor dem HERRN.

Ps 17,3 Du hast mein Herz geprüft, mich in der Nacht durchforscht; du hast mich geläutert, und du hast nichts gefunden, worin ich mich vergangen hätte mit meinen Gedanken oder mit meinem Mund.

Jes 1,18 Kommt denn und lasst uns miteinander rechten! spricht der HERR. Wenn eure Sünden rot wie Karmesin sind, wie Schnee sollen sie weiß werden. Wenn sie rot sind wie Purpur, wie Wolle sollen sie werden.

Jer 50,20 In jenen Tagen und zu jener Zeit, spricht der HERR, wird Israels Schuld gesucht werden, und sie wird nicht da sein, – und die Sünden Judas, und sie werden nicht gefunden werden; denn ich will denen vergeben, die ich übriglasse.

Joh 1,29 Am folgenden Tag sieht Johannes Jesus auf sich zukommen und spricht: Siehe, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt!

1Joh 3,5 Und ihr wisst, dass er geoffenbart worden ist, damit er die Sünden wegnehme; und Sünde ist nicht in ihm …

8 Wer die Sünde tut, ist aus dem Teufel, denn der Teufel sündigt von Anfang an. Hierzu ist der Sohn Gottes geoffenbart worden, damit er die Werke des Teufels [die Sünde] vernichte.

Off 7,14 Diese sind es, die aus der großen Bedrängnis kommen, und sie haben ihre Gewänder gewaschen und sie weiß gemacht im Blut des Lammes.

Off 14,5 Und in ihrem Mund wurde kein Falsch gefunden; sie sind untadelig.

Viele haben ungefähr folgende Vorstellung von Rettung: Der Sünder kommt zu Jesus, empfängt im Glauben vollständige Vergebung und ist nun „ein erlöstes Gotteskind“. Dann folgt, weil sie „irgendwie dazugehört“, die Heiligung – das Bemühen um ein besseres Leben, das mit wechselndem, aber insgesamt doch mäßigem Erfolg mehr schlecht als recht verläuft, weswegen man auch als Gläubiger eigentlich ständig von der Vergebung lebt, die im Heiligtum glücklicherweise grenzenlos zur Verfügung steht. Wer auf diese Weise bis zum Schluss „am Glauben festhält“, empfängt bei der Versiegelung / Verwandlung / Auferstehung schlagartig ein absolut makelloses, vollkommenes Wesen und wird ab diesem Zeitpunkt bis in alle Ewigkeit nie wieder Gottes Gebote übertreten.

Wäre dieses Szenario biblisch, müsste man sich fragen, warum in Gottes Drei-Schritte-Heilsplan „Vergebung – Heiligung – Verwandlung“ Schritt 1 und 3 (Vergebung und Verwandlung) auf Anhieb so tadellos funktionieren, Schritt 2 (Heiligung) dagegen sichtbar und spürbar „lahmt“. Fraglich wäre weiterhin, warum Schritt 2 obligatorisch ist („ohne Heiligung wird niemand den Herrn schauen“; Heb 12,14), wenn es doch viel effektiver wäre, den ausgesprochen erfolgreichen Schritt 3 der Verwandlung vorzuziehen und damit nicht nur dem Gläubigen lebenslange Mühen zu ersparen, sondern auch der Welt ein unbestreitbares Zeugnis der erlösenden Kraft Gottes zu geben. Ein Heilsweg in zwei Schritten, wo der Vergebung (Bekehrung) unmittelbar die Verwandlung folgt, würde unzählige Sünden gläubiger Menschen verhindern, allen Beteiligten viel Leid ersparen und den Heiligtumsdienst Jesu deutlich vereinfachen …

Zurück zur biblischen Realität. Es gibt keine Abkürzung zum Heil und zur Vollkommenheit. Der Erlösungsplan und Jesu himmlischer Heiligtumsdienst sind, so wie sie sind, optimal und unverbesserlich. Sie tragen die göttliche Handschrift des Einen, dessen Werke alle vollkommen sind. Alle drei Schritte des Erlösungsplanes sind gleichermaßen wirksam und gleichermaßen unverzichtbar. Es ist nicht Gottes Heiligung, die „lahmt“, sondern unser Glaube, sie zu ergreifen, unsere Einsicht, ihre Notwendigkeit zu erfassen, und auch unser Verständnis dafür, wie sie überhaupt zu erlangen ist.

1Sam 15,22 Gehorsam ist besser als Schlachtopfer.

Ich wünschte, wir würden diesen kurzen Satz tief verinnerlichen, denn er weist auf etwas äußerst Wesentliches hin: Das Ziel des Heiligtumsdienstes ist nicht Vergebung („Schlachtopfer“) als Dauerzustand, sondern Gehorsam als Dauerzustand. Jesu Leben und Sterben hatten den Zweck, für unseren Ungehorsam zu bezahlen und unseren Gehorsam zu ermöglichen. Jesu Mittlerdienst im Himmel dient dazu, uns willigen Gehorsam zu schenken und ihn in uns zu festigen. Wenn uns dieser Gehorsam in Fleisch und Blut übergangen ist – der Heilige Geist das Gesetz Gottes in Herz und Sinn geschrieben hat –, dann ist endgültig das „gesühnt“, „weggenommen“ und „vernichtet“, was die Schleusentore des Elends für diese Welt geöffnet hat: der menschliche Ungehorsam, die Sünde. Dann ist die ursprüngliche Vollkommenheit des Menschen – und des Universums – wiederhergestellt. Dass wir am Ende auch noch einen neuen, unsterblichen Körper erhalten (die Verwandlung), ist dann nur noch das (vegane) „Sahnehäubchen“.

43. Erst wenn wir verstehen, dass es für Sünde keine Entschuldigung gibt, wird sie uns wirklich leidtun. Erst dann werden wir Christus ganz in unseren Seelentempel einlassen, sodass er ihn „von aller Ungerechtigkeit reinigen“ kann (1Joh 1,9).

Auch als gläubige Menschen behalten wir bis zur Verwandlung unsere gefallene Natur. Trotzdem schrieb Schwester White 1898 im Leben Jesu (S. 300) mit Blick auf uns: „Für die Sünde gibt es keine Entschuldigung.“ Wirklich? Ganz wirklich??

Wie wir tief im Herzen über diese Frage denken, unsere ureigenste, vielleicht sogar diffus unbewusste Überzeugung dazu, wird unser Schicksal entscheiden. Wieso kann ich das behaupten? Weil dies die Frage des großen Kampfes zwischen Gott und Satan ist. Wenn es irgendwo im Universum einen legitimen Schlupfraum für irgendeine noch so kleine Sünde gäbe, hätte dies Konsequenzen, wie sie dramatischer und umwälzender nicht sein könnten: Gottes Gesetz wäre nicht mehr vollkommen, und Gott selbst müsste die Verantwortung für die Entstehung der Sünde (oder zumindest dieser einen Sünde) übernehmen. Satan hätte recht mit seinem Vorwurf, Gottes Herrschaft sei verbesserungsbedürftig und Sein Gesetz müsse revidiert werden. Und da das Gesetz ein treues Abbild des Wesens Gottes ist, würde unausweichlich folgen, dass Gott selbst unvollkommen ist und sich ändern muss …!

Doch Gott sei Lob und Dank in alle Ewigkeit, dass all dies nicht der Fall ist! Das inspirierte Wort erklärt uns:

GK 495f. Es ist unmöglich, den Ursprung der Sünde so zu erklären, dass dadurch eine Begründung für ihr Dasein gegeben würde … Die Sünde ist ein Eindringling, für dessen Erscheinen wir keine Ursache angeben können. Sie ist geheimnisvoll, seltsam, sie zu entschuldigen, hieße, sie zu verteidigen. Wäre ihr Dasein zu entschuldigen oder zu begründen, so hörte sie auf, Sünde zu sein.

PP 421 Selbst die stärkste Versuchung ist keine Entschuldigung für Sünde. Egal wie stark du unter Druck gesetzt wirst – Sünde ist immer deine eigene Tat. Das eigentliche Problem liegt in einem unerneuerten Herzen. (vgl. Patriarchen und Propheten, 401)

Beachten wir hier, dass Ellen White, inspiriert durch den Heiligen Geist, die Grundfrage der vollkommenen Gerechtigkeit Gottes und aller Seiner Forderungen sowohl auf die Auseinandersetzung im Himmel anwendet, in die (damals noch) sündlose Engel verwickelt waren, als auch auf die gefallene Menschheit, die doch natürlicherweise überhaupt nicht anders kann, als zu sündigen. Warum ist diese Anwendung dennoch legitim? Die einzige schlüssige Antwort in diesem Zusammenhang lautet: Gott hat den Erlösungsplan so gestaltet, dass vollkommener Gehorsam selbst für den gefallenen Sünder wieder ermöglicht und damit jede Entschuldigung für Ungehorsam entkräftet wird.

Das ist schlechte Nachricht, wenn man sich mit der Opferrolle gut arrangiert hat, dagegen extrem gute Nachricht und voller Hoffnung und Inspiration, wenn man sich nach wahrer Freiheit und beständiger Gemeinschaft mit Christus sehnt und bereit ist, für sein Leben Verantwortung zu übernehmen. Es mag im ersten Moment angenehm sein zu hören, ich könne „nichts dafür“ – die Last der Schuld fällt ab, der scheinbar sinnlose Kampf gegen böse Neigungen hört auf. Die Kehrseite der Medaille ist, dass ich dann auch „nichts dagegen“ kann – die bedrückende Gefangenschaft bleibt, und ich muss mich damit abfinden, bis an mein Lebensende zwanghaft das zu tun, was ich gar „nicht will“ und sogar „hasse“ (Röm 7,15.16). Sollte dies die „wirkliche Freiheit“ sein, die den Menschen zu geben Jesus gekommen war (Joh 8,36)? Freiheit von der Strafe durch Generalamnestie, jedoch keine Freiheit von der Straftat? Ganz sicher nicht. Paulus nennt diese Art Leben „elend“ (Röm 7,24), und genauso ist es, denn es ist nach wie vor ein Leben unter Fremdbestimmung, ein Leben „in Ägypten“, ein Leben bestimmt vom „Gesetz der Sünde“ (V. 23) – und ja, ein „fleischliches“ Leben (V. 14), das in dieser Form mit dem zweiten Tod enden muss,

Röm 8,13 denn wenn ihr nach dem Fleisch lebt, so werdet ihr sterben …

Lebst du in dem Glauben, dass es Sünden in deinem Leben gibt, die du selbst als Christ unmöglich aufgeben oder überwinden kannst? Dann müssen dich folgende Aussagen sehr befremden:

Jak 2,10 Wer das ganze Gesetz hält, aber in einem strauchelt, ist aller Gebote schuldig geworden.

Brief 216, 1906 Die Bedingungen, unter denen ewiges Leben erlangt werden kann, sind im Neuen Bund dieselben wie im Alten. Die Grundlage der Bedingungen ist – und ist immer gewesen – vollkommener Gehorsam.

6BC 1072f. Warum können Menschen, die sich für bibeltreu halten, nicht verstehen, dass Gott unter der Gnade denselben Anspruch stellt wie im Garten Eden, nämlich vollkommenen Gehorsam gegenüber seinen Geboten?

Ich möchte dich von Herzen einladen, in der anstößig und drastisch klingenden Feststellung, dass es für KEINE unserer zahlreichen Sünden eine Entschuldigung gibt, die gute Nachricht zu entdecken, dass JEDE unserer zahlreichen Sünden durch die Gnade unseres Erlösers überwindbar geworden ist. Wir können vollständig frei werden! Halten wir uns in dem kindlichen Glauben einer Maria und dem unnachgiebigen Glauben eines Jakob an der tiefen Wahrheit und Verheißung fest, die in den folgenden Zitaten – nur wenige von unzähligen im inspirierten Wort – ausgedrückt ist:

COL 314 Satan hatte behauptet, es sei dem [gefallenen!] Menschen unmöglich, Gottes Geboten zu gehorchen, und aus eigener Kraft können wir ihnen tatsächlich nicht gehorchen. Aber Christus kam in menschlicher Gestalt und bewies durch seinen vollkommenen Gehorsam, dass Menschliches und Göttliches vereint jede einzelne Vorschrift Gottes einhalten können. „Allen denen aber, die ihn aufnahmen, gab er Vollmacht, Gottes Kinder zu werden, denen, die an seinen Namen glauben.“ (Joh 1,12; Schlachter 1951) Diese Macht kommt nicht aus dem Menschen. Es ist die Macht Gottes. Wenn ein Mensch Christus empfängt, empfängt er Macht, das Leben Christi zu leben.

COL 312 Durch seinen vollkommenen Gehorsam hat er es jedem Menschen möglich gemacht, Gottes Geboten zu gehorchen.

1Joh 3,6 Jeder, der in ihm [Christus] bleibt, sündigt nicht

Es ist unmöglich, Taten zu bereuen, die ich – bewusst oder unbewusst, mehr oder weniger – vor mir selbst mit der Überzeugung rechtfertige, ich hätte sie gar nicht verhindern können. Selbstrechtfertigung ist das Gegenteil von Schuldbekenntnis. Sie ist der erklärte Feind der Vergebung, weil sie die notwendige Reue verhindert. Diese Selbstrechtfertigung ist ein wesentlicher Grund für Laodizeas geistliche Schwachheit und mangelnden Sieg über sündige Neigungen. Beachten wir sorgfältig, wie der Geist der Weissagung diese Situation beschreibt:

COL 315 Der Mann, der ohne Hochzeitskleid zum Fest kam, stellt den Zustand vieler in unserer heutigen Welt dar. Sie nennen sich Christen und beanspruchen die Segnungen und Vorrechte des Evangeliums, verspüren aber keine Notwendigkeit, dass ihr Charakter verwandelt wird. Sie haben niemals echte Reue über die Sünde gefühlt. Ihnen ist nicht bewusst, dass sie Christus brauchen, und sie praktizieren keinen Glauben an ihn. Sie haben ihre ererbten und selber gepflegten Neigungen zu falschem Verhalten nicht überwunden.

„Ihnen ist nicht bewusst, dass sie Christus brauchen.“ Wie ist es möglich, dass Christen nicht bewusst ist, dass sie Christus brauchen?! Diese Aussage kann sich unmöglich auf die Tatsache beziehen, dass jeder Mensch Vergebung durch Christus braucht, denn in dieser Frage herrscht im Christentum Einmütigkeit. Die Aussage bezieht sich vielmehr auf die Frage der Heiligung und des Gehorsams durch Christus: Ihnen ist nicht bewusst, dass sie vollkommenen Gehorsam brauchen, daher betrachten sie es auch als müßig zu glauben, dass Christus ihnen vollkommenen Gehorsam schenken kann und will, und ebenso empfinden sie keine „echte Reue“ über ihre Unvollkommenheiten, weil sie in ihren Augen für ihre Beziehung mit Jesus und ihre Erlösung letztlich belanglos sind.

Dies ist weitgehend unsere Situation heute in der Adventgemeinde. Wundert es uns da, dass Christus noch nicht wiedergekommen ist? Wir sind vor dem Maßstab „vollständigen Gehorsams“ und „vollkommener Gerechtigkeit“, wie Christus sie gelebt hat, tatsächlich nackt. Es ist uns nur, wie im Gleichnis dem Mann ohne Hochzeitskleid, „nicht bewusst“. Dieser Mann verkörpert unsdie laue Gemeinde.

6BC 1072f. Das Evangelium des Neuen Testaments hat die Maßstäbe des Alten Testaments nicht heruntergeschraubt, etwa um dem Sünder entgegenzukommen und ihn in seinen Sünden zu retten. Gott erwartet von allen seinen Untertanen Gehorsam, vollständigen Gehorsam gegenüber allen seinen Geboten. Wie eh und je verlangt er vollkommene Gerechtigkeit – sie allein verschafft uns Eintritt in den Himmel. Christus ist unsere Hoffnung und unsere Zuflucht. Seine Gerechtigkeit wird nur dem Gehorsamen zugerechnet. Nehmen wir sie im Glauben an! Dann wird der Vater keine Sünde in uns finden.

Uns muss bewusst werden, dass Gott vollkommenen Gehorsam von uns erwarten darf, weil Er in Christus vollkommenen Gehorsam ermöglicht hat, und dass Gott vollkommenen Gehorsam erwarten muss, weil er das einzig mögliche Fundament Seiner ewigen Herrschaft ist. Das Glück des gesamten Alls hängt davon ab, dass dieser Maßstab auch in der furchtbaren Krise von Sünde und Rebellion aufrechterhalten wird!

Es gibt nur eine einzige Möglichkeit, wie wir uns in dieser gewaltigen Streitfrage auf Gottes Seite stellen können: indem wir anerkennen, dass alle Forderungen Gottes – von den ganz kleinen bis zu den ganz großen – „heilig, gerecht und gut“ sind (Röm 7,12) sowie absolut essenziell für das Fortbestehen Seiner vollkommenen Herrschaft im Himmel und auf der Erde. Alles andere ist effektiv ein Votum für die kosmische Rebellenfraktion. Wenn wir das übersehen, übersehen wir das Herz des großen Kampfes.

41. Die Neigung, seine Sünden und Charakterfehler zu entschuldigen, führt zu weiteren Sünden und Charakterfehlern.

Auch diese These ist fast wörtlich dem Leben Jesu entnommen (ebenso S. 300). Charakterfehler sind verfestigte Sünden. Sie entstehen durch sündiges Verhalten und vertiefen sich, je häufiger und länger das Verhalten wiederholt wird. Und je ausgeprägter ein Charakterfehler ist, desto leichter fällt es, die Sünde zu wiederholen, die ihn hervorgebracht hat. Es ist eine Wechselwirkung und ein Kreislauf – in diesem Zusammenhang wortwörtlich ein „Teufelskreis“, den wir aus eigener Kraft nicht verlassen können, selbst wenn wir es (wie der „elende Mensch“ in Römer 7) wollen.

Hier setzt das Evangelium an. Christus kam und nahm unsere Schuld auf sich, um uns freizusprechen und aus dem Klammergriff der Wiederholungssünden zu lösen. Aus der negativen Wechselwirkung macht Er eine positive und beginnt einen neuen Kreislauf mit einem neugeschaffenen Herzen, das Gehorsam lebt, woraus gute Charakterzüge entstehen, die wiederum den Gehorsam erleichtern und verfestigen. Das Geheimnis dabei ist die göttliche Gegenwart und erneuernde Kraft des Heiligen Geistes im Gläubigen:

LJ 670 Christus hat seinen Geist als eine göttliche Kraft gegeben, um alle ererbten und anerzogenen Neigungen zum Bösen zu überwinden und seiner Gemeinde sein Wesen aufzuprägen.

Der kritische Punkt ist nun, dass dieser neue Kreislauf nur in Gang gesetzt werden kann, wenn der Mensch sich zuvor schuldig bekennt. Solange er sich aber entschuldigt, bleibt der alte Teufelskreis ungemindert erhalten und setzt sich unweigerlich in immer weiteren Sünden und Charakterfehlern fort.

Das Beste, was uns in dieser deprimierenden Situation passieren kann, ist eine liebevolle Konfrontation mit der Wahrheit (Jesus tut das mit Seinem Brief an Laodizea). Das Schlimmste, was uns passieren kann, sind gutmeinende Gefährten, die Verständnis für unsere Entschuldigungen zeigen und versichern, vollständiger Gehorsam sei sowieso illusorisch, weswegen Gott ihn auch nicht von uns erwarte. Diese Haltung verhindert echte Bekehrung! Damit bleibt das Leben ohne wahre Herzenserneuerung, ohne praktischen Glauben an Christus und ohne die Erfüllung mit dem Heiligen Geist. Diese Art „christlicher Nachfolge“ ist nicht mehr als eine unerkannte Form von Selbstgerechtigkeit, übertünchte Gesetzlichkeit, „tote Werke“, die Gott niemals akzeptieren kann, weil sie menschlich produziert sind – statt göttlich vorbereitet und durch die Verdienste Jesu geheiligt.