95. Wollen wir andere davon überzeugen, dass ein kleines Detail im Gesetz wie „Sabbat oder Sonntag“ Gottes gerechten Zorn heraufbeschwört (Off 14,9-11), müssen wir selbst gelernt haben, Gottes Gebote im Detail zu halten, weil wir sonst unter dasselbe Urteil fallen.

„Sabbat oder Sonntag“ ist für die Menschheit die endzeitliche Wiederholung der ersten Prüfung „Baum des Lebens oder Baum der Erkenntnis“. So wie Sabbat und Sonntag Nachbartage sind, standen auch der Baum des Lebens und der Baum der Erkenntnis beide in der Mitte des Gartens. Die örtliche Entfernung zwischen beiden war nicht groß, ihre Wirkung jedoch lag so weit auseinander wie der Westen vom Osten und der Tag von der Nacht.

Es ist kein Zufall, dass die letzte Prüfung der Menschheit ein äußerlich unbedeutendes, logisch auch nicht nachvollziehbares Detail wie „Sabbat oder Sonntag“ sein wird. Es gibt keinen sinnlich wahrnehmbaren oder rational erkennbaren Grund, warum der eine Tag heilig sein sollte und der andere nicht. Der Unterschied entzieht sich dem menschlichen Urteil – er besteht allein im Wort Gottes und kann nur im Glauben akzeptiert oder im Unglauben abgelehnt werden. Doch so minimal der Unterschied in unseren Augen sein mag, entscheidet er doch über ewiges Leben oder ewigen Tod.

Und das ist die „Moral der Geschichte“ von 6 000 Jahren menschlichen Leidens unter den Folgen einer Banalität, deren einziges Problem darin bestand, dass Gott sie verboten hatte. 6 000 Jahre unerbittliche Lebensschule. Haben wir die Lektion gelernt? Verstehen wir, dass ein minimaler Unterschied über Leben und Tod entscheiden kann, und zwar absolut zu Recht? Haben wir erkannt, dass es ein Beweis sowohl Seiner Gerechtigkeit als auch Seiner grenzenlosen Liebe ist, dass Gott nichts weniger als sittliche Vollkommenheit in den Himmel einlässt und nur ihr wieder Zugang zum Lebensbaum gewährt?

Meine Hoffnung und mein Gebet sind, dass die Zeit kommt und schon da ist, dass wir die Lektion verstehen und in festem Glauben und Vertrauen die Verheißung ergreifen, dass, wenn unser himmlischer Vater heilig, vollkommen und rein ist, es ein geistliches Naturgesetz ist, dass Seine Kinder dieselben Eigenschaften von Ihm erben.

1Pe 1,16 Seid heilig, denn ich bin heilig.

Mt 5,48 Ihr nun sollt vollkommen sein, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist.

1Joh 3,3 Jeder, der diese Hoffnung auf ihn hat, reinigt sich selbst, wie er rein ist.

MYP 144 Selbst die längste Reise besteht aus einzelnen Schritten. Ein Schritt nach dem anderen bringt uns an das Ende der Straße. Auch die längste Kette ist aus einzelnen Gliedern zusammengesetzt. Ein einziges mangelhaftes Glied macht die ganze Kette wertlos. So ist es auch mit dem Charakter. Ein wohlausgewogener Charakter entsteht durch einzelne, gut ausgeführte Taten. Ein einziger Fehler, dem man nachgibt, statt ihn zu überwinden, macht den Menschen unvollkommen und verschließt ihm die Tore der Heiligen Stadt. Wer den Himmel betritt, muss einen Charakter ohne Flecken oder Runzel oder dergleichen besitzen. Nichts Unreines kann je dort hineinkommen. In der gesamten Schar der Erlösten wird nicht ein Mangel zu sehen sein. (vgl. RJ 90)

YI, 18.8.1886 Es wird keine halbgewaschenen Gewänder geben – alle werden rein und fleckenlos sein.

1Thess 5,23 Er selbst aber, der Gott des Friedens, heilige euch völlig; und vollständig möge euer Geist und Seele und Leib untadelig bewahrt werden bei der Ankunft unseres Herrn Jesus Christus!

24 Treu ist, der euch beruft; er wird es auch tun.


Der HERR segne dich und einen jeden von uns auf unserer herausfordernden und gleichzeitig wunderbaren und hoffnungsfrohen Pilgerreise in die Ewigkeit!

88. Die Frucht wahrer Rechtfertigung ist wachsende Übereinstimmung mit Gottes Geboten, die Frucht falscher Rechtfertigung wachsende Freizügigkeit gegenüber Gottes Geboten.

Jes 8,20 „Zum Gesetz und zum Zeugnis!“ – wenn sie nicht so sprechen, gibt es für sie kein Morgenrot.

Ps 119,97 Wie habe ich dein Gesetz so lieb! Ich sinne darüber nach den ganzen Tag.

FW 52 Wahrer Glaube verlässt sich ganz auf Christus, was die Erlösung angeht, doch führt er auch zu vollkommener Übereinstimmung mit Gottes Gesetz. (vgl. GW 50)

RH, 22.4.1902 Wer das Evangelium annimmt, … erhält Anteil an der göttlichen Natur und wächst mehr und mehr zu einem Abbild seines Heilands. Schritt für Schritt geht er in Übereinstimmung mit Gottes Willen voran, bis er Vollkommenheit erreicht.

Jesu zusammenfassende Worte bei der Bergpredigt werden in ihrem wahren Gewicht oft nicht erkannt:

Mt 7,24 Jeder nun, der diese meine Worte hört und sie tut, den werde ich mit einem klugen Mann vergleichen, der sein Haus auf den Felsen baute;

25 und der Platzregen fiel herab, und die Ströme kamen, und die Winde wehten und stürmten gegen jenes Haus; und es fiel nicht, denn es war auf den Felsen gegründet.

26 Und jeder, der diese meine Worte hört und sie nicht tut, der wird mit einem törichten Mann zu vergleichen sein, der sein Haus auf den Sand baute;

27 und der Platzregen fiel herab, und die Ströme kamen, und die Winde wehten und stießen an jenes Haus; und es fiel, und sein Fall war groß.

Der „Fall“ des törichten Mannes ist deshalb „groß“, weil er unerwartet kommt und dennoch endgültig ist. Dieses Bild beschreibt die endzeitliche Sichtung unserer Gemeinde. Der törichte Mann hat allem Anschein nach alles, was einen Christen ausmacht – das ganze Gebäude ist vorhanden, nicht anders als beim klugen Mann. Der einzige, aber entscheidende Unterschied ist das im Erdboden verborgene und für menschliche Augen unsichtbare Fundament.

Der törichte Mann ist ein Scheinchrist oder Scheinadventist, der sich auf eine Glaubenslehre und ein „Evangelium“ verlassen hat, das auch ohne „ein Leben beständigen Gehorsams“ (LJ 666) auskommt. Er hat nie verstanden, dass Gott „vollkommene Übereinstimmung mit Gottes Gesetz“ von uns erwartet und dass Christus genau dies in uns bewirkt, wenn wir uns in „wahrem Glauben ganz auf Ihn verlassen“ (FW 52). Diese sittliche Vollkommenheit wiederherzustellen, ist das lebenslange Werk unserer Heiligung. Und sie geschieht nicht in der Selbstbeobachtung, sondern im Hinschauen auf unseren wunderbaren Erlöser; nicht aus eigener Kraft, sondern aus der Tote auferweckenden Kraft des Heiligen Geistes.

Dieses ewige und einzige Evangelium – Vollkommenheit durch Christus – wird überall in der Bibel beschrieben, aber wir haben offensichtlich gelernt, es systematisch zu übersehen oder als bloße „Zurechnung“ wirkungslos zu machen. Ein paar Beispiele aus dem Neuen Testament:

Eph 4,11 Und er hat die einen als Apostel gegeben und andere als Propheten, andere als Evangelisten, andere als Hirten und Lehrer,

12 zur Ausrüstung der Heiligen für das Werk des Dienstes, für die Erbauung des Leibes Christi,

13 bis wir alle hingelangen zur Einheit des Glaubens und der Erkenntnis des Sohnes Gottes, zur vollen Mannesreife, zum Vollmaß des Wuchses der Fülle Christi.

Phil 1,9 Um dieses bete ich, dass eure Liebe noch mehr und mehr überreich werde in Erkenntnis und aller Einsicht,

10 damit ihr prüft, worauf es ankommt, damit ihr lauter und unanstößig seid auf den Tag Christi,

11 erfüllt mit der Frucht der Gerechtigkeit, die durch Jesus Christus gewirkt wird, zur Herrlichkeit und zum Lobpreis Gottes.

Kol 4,12 Es grüßt euch Epaphras, der einer der Euren ist, ein Knecht des Christus, der allezeit in den Gebeten für euch kämpft, damit ihr fest steht, vollkommen und zur Fülle gebracht in allem, was der Wille Gottes ist.

Jak 1,2 Meine Brüder, achtet es für lauter Freude, wenn ihr in mancherlei Anfechtungen geratet,

3 da ihr ja wisst, dass die Bewährung eures Glaubens standhaftes Ausharren bewirkt.

4 Das standhafte Ausharren aber soll ein vollkommenes Werk haben, damit ihr vollkommen und vollständig seid und es euch an nichts mangelt.

So oft hören wir (und so viele glauben es), vollständiger Gehorsam sei unmöglich, solange wir unsere gefallene Natur besitzen. Dabei wird auch gerne auf die berühmte Generalkonferenz von Minneapolis verwiesen, wo nach heutigem Verständnis erfolglose Versuche, das Gesetz zu halten („Gesetzlichkeit“), von der „Gnade“ der Vergebung und dem „Glauben“ an Jesu stellvertretenden Gehorsam abgelöst wurden. Nun waren Gnade und Glaube tatsächlich zentrale Themen von Jones und Waggoner, allerdings in einem ganz anderen Sinn, als sie heute definiert werden. Um einen kleinen Einblick zu geben, was auf dieser Generalkonferenz wirklich gepredigt wurde, gebe ich hier einen Ausschnitt aus einer Ansprache wieder, die Ellen White dort am 20. Oktober 1888 hielt:

1888M 122 Worüber ich sprechen möchte, ist, wie man im Glaubensleben Fortschritte machen kann. Ich höre viele Ausflüchte: „Ich kann dies und jenes nicht ausleben.“ Was meinst du mit „dies und jenes“? Willst du sagen, das auf Golgatha für die gefallene Menschheit gebrachte Opfer sei unvollkommen gewesen, und uns sei nicht ausreichend Gnade und Kraft zur Verfügung gestellt worden, um entgegen unseren natürlichen Mängeln und Neigungen zu handeln – dass uns ein unvollständiger Erlöser gegeben worden sei? Willst du Gott die Schuld geben?

„Nun“, erwiderst du, „es war Adams Sünde.“ Du sagst: „Es war nicht meine Schuld; ich bin für seine Schuld und seinen Fall nicht verantwortlich. Jetzt sind all diese natürlichen Neigungen in mir, und ich kann nichts dafür, wenn ich diese natürlichen Neigungen auslebe.“ Wer dann? Gott vielleicht? „Warum hat Gott zugelassen, dass Satan so viel Macht über die menschliche Natur bekam?“

Dies sind Anklagen gegen den Gott des Himmels, und wenn du willst, wird er dir am Ende Gelegenheit geben, deine Anklagen gegen ihn vorzubringen. Wenn du dann vor seinem Gericht stehst, wird er seine Anklagen gegen dich vorbringen. Wie kommt es, dass sein Plädoyer lautet: „Ich kenne all die Übel und Versuchungen, die euch bedrängen, und ich habe meinen Sohn Jesus Christus in eure Welt gesandt, um euch meine Macht, meine Stärke zu offenbaren; um euch zu zeigen, dass ich Gott bin und euch helfe, damit ihr aus dem Machtbereich des Feindes herausgenommen werdet und die Möglichkeit erhaltet, das sittliche Bild Gottes zurückzugewinnen.“

Beachten wir, was Ellen White hier (und generell) unter einem „vollkommenen Opfer“ und „vollständigen Erlöser“ versteht: dass wir durch Jesu Verdienste und Vermittlung sowohl völlige Vergebung als auch völlige sittliche Wiederherstellung (= Vervollkommnung) erfahren, allen natürlichen Neigungen zum Trotz. Die Vollkommenheit des Erlösungsplanes beweist sich in unserem vollständigen Gehorsam – dass alles, was Gott von uns erwartet, wir in Seiner Kraft und durch die lebendige Verbindung mit Christus auch erfüllen können.

Dass uns dies oft nicht so gelingt, wie wir es wünschen, soll uns nicht entmutigen! Dazu sind wir in Christi Schule: um von Ihm zu lernen, wie wir durch Seine Gnadengaben den Sieg erringen können. Die großartigen Verheißungen unserer Vervollkommnung sind nicht als „Druck“ gedacht, sondern als starke Zusicherung, dass wir nicht einem Phantom nachjagen, wenn wir uns in diesen Glaubenskampf begeben. Die Gewissheit, dass der Herr Sein Wort unbedingt an uns erfüllen wird, wenn wir nur im Vertrauen an Ihm festhalten, soll uns die innere Stärke verleihen, auch in schwierigen Situationen nicht den Mut zu verlieren, sondern mit Paulus zu sagen:

Phil 3,12 Nicht, dass ich es schon ergriffen habe oder schon vollendet bin; ich jage ihm aber nach, ob ich es auch ergreifen möge, weil ich auch von Christus Jesus ergriffen bin.

13 Brüder, ich denke von mir selbst nicht, es ergriffen zu haben; eines aber tue ich: Ich vergesse, was dahinten, strecke mich aber aus nach dem, was vorn ist,

14 und jage auf das Ziel zu, hin zu dem Kampfpreis der Berufung Gottes nach oben in Christus Jesus.

Der Geist der Weissagung bringt uns immer wieder viel Ermutigung in dieser Hinsicht:

Mar 227 Tag für Tag soll unsere geistliche Liebenswürdigkeit wachsen. Unsere Bemühungen, das göttliche Vorbild nachzuahmen, werden oft nicht gelingen. Wir werden uns oft beugen müssen und zu Jesu Füßen weinen wegen unseres Zukurzkommens und unserer Fehler. Aber wir sollen nicht den Mut verlieren, sondern noch inniger beten, fester glauben und noch entschiedener erneut versuchen, in das Bild des Herrn zu wachsen. Wenn wir unserer eigenen Kraft misstrauen, werden wir der Macht unseres Erlösers vertrauen.

1TT 441f. Gott ist heute noch genauso mächtig, von Sünde zu retten, wie zur Zeit der Patriarchen, Davids, der Propheten und Apostel. Die unzähligen Begebenheiten der heiligen Geschichte, wo Gott sein Volk von ihren eigenen Bosheiten erlöste, sollten heutige Christen inspirieren, göttliche Weisung anzunehmen und fleißig einen Charakter zu vervollkommnen, der die gründliche Untersuchung vor Gericht bestehen wird.

Die biblische Geschichte stärkt das verzagte Herz mit der Hoffnung auf Gottes Erbarmen. Wir brauchen nicht zu verzweifeln, denn wir sehen, wie andere sich durch ähnliche Entmutigungen gekämpft haben, wie sie ebenso in Versuchungen gefallen sind wie wir und trotzdem den verlorenen Boden wiedergutgemacht haben und von Gott gesegnet worden sind. Die inspirierten Worte trösten und ermuntern die irrende Seele.

Obgleich die Patriarchen und Apostel auch nur schwache Menschen waren, erhielten sie durch den Glauben doch ein gutes Zeugnis, schlugen ihre Schlachten in der Stärke des Herrn und siegten glänzend. Wir dürfen deshalb der Kraft des sühnenden Opfers vertrauen und im Namen Jesu Überwinder sein. (vgl. 1Sch 404)

76. Die oft gestellte Frage „Hast du Heilsgewissheit?“ offenbart ein mangelhaftes Verständnis vom Evangelium.

Ich denke mittlerweile, dass diese These zu pauschal formuliert ist – sollte ich jemanden dadurch verletzt haben, möchte ich mich herzlich entschuldigen. Bitte verstehe diese These so, als wäre hinter „offenbart“ ein „nicht selten“ eingefügt. Das zumindest ist meine Beobachtung: Es gibt so viele unterschiedliche Vorstellungen davon, was „Heil“ und was „Gewissheit“ ist, sowohl bei den Rednern als auch den Zuhörern! Ein so missverständlich oder subjektiv gebrauchter Begriff kann eigentlich nur Verwirrung stiften oder für peinliche Situationen bei den Gefragten sorgen – wer möchte sich schon öffentlich in eine Lage bugsiert sehen, wo er offenbar „keine Heilgewissheit“ hat …?!

Ein ehrwürdiger adventistischer Seelsorger zum Beispiel „erklärte“ mir als jungem Mann mit seiner ganzen eminenten Autorität, die Frage nach meiner Heilsgewissheit müsse ich genauso spontan und unzweifelhaft beantworten können wie die Frage, ob ich heute gefrühstückt hätte. Ein anderer Prediger, den ich sehr für seine Treue schätze, sagte von der Kanzel, wir dürften „Heilsgewissheit“ haben, aber nicht „Heilssicherheit“. Ein dritter, von mir nicht minder respektierter Redner erklärte, „Heilsgewissheit“ würde immer nur „für heute“ gelten. Hinter solchen Aussagen steckt für mich so etwas wie die Quadratur des Kreises: der Versuch, den Geschwistern etwas sicher zuzusprechen (Heil), was andererseits doch noch nicht endgültig ist, weil wir als Adventisten nicht an „Einmal gerettet, immer gerettet“ glauben – von diesem Extrem wollen wir uns abgrenzen, aber trotzdem an der „Gewissheit“ festhalten, was zu unterschiedlichen Erklärungen führt.

Nun möchte ich deutlich sagen, dass ich die gute und seelsorgerliche Motivation hinter solcherart Zuspruch an die Geschwister verstehe und voll anerkenne. Ich möchte auch niemandem einen Vorwurf machen und keinerlei Urteil über Personen aussprechen. Es geht mir um die Sache selbst und um unsere Gemeinden, denn ich sehe das große Problem, dass diese Art Trost der eigentlichen Not nicht abhilft – weil es nicht der Weg ist, auf dem Gott tröstet und festigt.

Seien wir mal so „kühn“ und schauen der Wahrheit ins Auge: Wir sind noch nicht endgültig errettet, und deswegen ist unser Heil auch noch nicht „gewiss“. Diese Feststellung hat aber rein gar nichts mit der Vorstellung zu tun, wir müssten nun den Rest unserer Tage in „Furcht und Zittern“ verbringen! Hier existiert einfach eine gesunde Spannung zwischen „schon jetzt“ und „noch nicht“. Unser Leben ist voll von solchen gesunden Spannungen, von scheinbaren Gegensätzen, die sich zu etwas Gutem ergänzen. Und im Erlösungsplan ist es nicht anders. Unsere Errettung hat einen Anfangs- und einen Endpunkt, und dazwischen liegt ein Prozess. Dies ist eine gesunde, gottgewollte Spannung, und wir brauchen weder zu versuchen, sie zu beseitigen, noch uns dafür vor anderen zu entschuldigen. Die Bibel veranschaulicht diese drei Elemente (Anfang, Prozess, Ende) in zahlreichen Bildern, z. B.

  • vom Weizenkorn, das (1) keimt, (2) wächst und (3) eine volle Ähre hervorbringt;
  • vom Menschen, der (1) geboren wird, (2) wächst und (3) eines Tages ausgewachsen ist;
  • vom Mehl, das (1) Sauerteig aufnimmt und (2) allmählich gesäuert wird, bis (3) alles durchsäuert ist;
  • vom Wettlauf, der aus (1) dem Start, (2) dem eigentlichen Lauf und (3) der Zielüberquerung besteht;
  • vom Tempel der Gemeinde, der (1) Fundament und Eckstein bekommt, (2) dann aufgebaut wird und (3) am Ende den Schlussstein erhält;
  • und auch die drei Abteile (1) Vorhof, (2) Heiliges und (3) Allerheiligstes im Heiligtum repräsentieren diesen Prozess.

Ich werde gleich noch genauer auf biblische „Heilsgewissheit“ (wenn man es so nennen möchte) eingehen. Aber an dieser Stelle möchte ich den obigen Satz ergänzen und eine Art Gleichgewicht herstellen: Wir sind noch nicht endgültig errettet, aber Gott hat die besten aller nur denkbaren Voraussetzungen dafür geschaffen, dass es einmal so sein wird. Diese „besten aller nur denkbaren Voraussetzungen“ sind in einer Person fokussiert: Immanuel („Gott ist mit uns“), Jesus („Retter von Sünde“), Christus in uns (der Grund für unsere „Hoffnung auf die ewige Herrlichkeit“).

57. Allein der Glaube an das nackte Wort Gottes, selbst gegen alle Erfahrung, verschafft dem Menschen Eingang ins Himmelreich. Das war der Glaube von Abraham, Jesus und Luther, und dies wird auch der Glaube „der Übrigen“ sein, „welche die Gebote Gottes halten“ (Off 12,17).

Es ist schon rätselhaft, dass wir so unbeirrt lieber unsere eigene Erfahrung rechtfertigen, statt Gottes Rechtfertigung zu erfahren. Das ist „empirische Theologie“ in direktem Gegensatz zum Glaubensvorbild Abrahams und die Essenz des „Menschen der Sünde“ (2Thess 2,3), der, statt sich selbst zu ändern, lieber Gottes Maßstab für Gerechtigkeit (= das Gesetz) ändert. In gewisser Hinsicht ist das Papsttum weit weg in Rom, was es leicht macht, Vorträge über Daniel 7 und 8 zu halten und etwa die katholische Veränderung der Zehn Gebote aufzudecken. Bei genauerer Betrachtung aber steckt in jedem von uns die gleiche Mentalität der Eigengesetzlichkeit, weil sie Teil unserer gefallenen Natur ist, die Gott und Seinen Ordnungen feindlich gegenübersteht. Die Frage ist daher: Rechtfertigen wir wirklich Gott und Sein Gesetz, oder rechtfertigen wir womöglich uns und unsere Gesetzlosigkeit?

In einem Lektionsgespräch stellte eine liebe Teilnehmerin mit Nachdruck fest, wir würden unser Leben lang Sünder bleiben. Als ich nachfragte, ob sie diese Überzeugung aus ihrer Erfahrung gewonnen habe oder aus dem Wort Gottes, wich sie aus. Das überraschte mich nicht, denn die Bibel lehrt gerade das Gegenteil: Befreiung aus der Macht der Sünde und Beherrschung aller zerstörerischen Neigungen durch ein Leben im Heiligen Geist.

Es ist zwar keine angenehme Schlussfolgerung, aber tatsächlich ist eine Theologie, die die eigene Erfahrung zum Maßstab für das Bibelverständnis macht, prinzipiell nicht besser als die sinnesbetonten Erlebnisse eines Charismatikers oder des Besuchers einer katholischen Messe. Sie alle setzen ihr eigenes Erleben höher an als das klare Wort Gottes. Beachten wir dagegen die Qualität des Glaubens Abrahams – gegen alle Erfahrung und menschliche Vernunft:

Röm 4,17 (Schlachter) … vor Gott, dem er [Abraham] glaubte, der die Toten lebendig macht und dem ruft, was nicht ist, als wäre es da.

18 Er hat da, wo nichts zu hoffen war, auf Hoffnung hin geglaubt, dass er ein Vater vieler Völker werde, gemäß der Zusage: “So soll dein Same sein!”

19 Und er wurde nicht schwach im Glauben und zog nicht seinen Leib in Betracht, der schon erstorben war, weil er fast hundertjährig war; auch nicht den erstorbenen Mutterleib der Sara.

20 Er zweifelte nicht an der Verheißung Gottes durch Unglauben, sondern wurde stark durch den Glauben, indem er Gott die Ehre gab

21 und völlig überzeugt war, dass Er das, was Er verheißen hat, auch zu tun vermag.

22 Darum wurde es ihm auch als Gerechtigkeit angerechnet.

Dieser Abschnitt ist so tief und deutlich, dass er allein schon das ewige Evangelium verständlich macht. Abrahams Glaube bestand darin, Gott alles zuzutrauen, was Er versprochen hatte, vollkommen unabhängig von äußeren Umständen und inneren Unmöglichkeiten. Es war bedingungsloses Vertrauen. Diese Art Glaube war die Grundlage seiner „angerechneten Gerechtigkeit“ (V. 22). Und die Bibel beschreibt Abrahams Glauben deshalb so ausführlich, weil er zeigt, von welcher Qualität unser Glaube sein muss, wenn uns die gleiche Gerechtigkeit angerechnet werden soll:

Röm 4,23 Es steht aber nicht allein um seinetwillen geschrieben, dass es ihm angerechnet worden ist,

24 sondern auch um unsertwillen, denen es angerechnet werden soll, wenn wir an den glauben, der unseren Herrn Jesus aus den Toten auferweckt hat …

Dieser Glaube anerkennt, dass Gott nichts unmöglich ist, weil Er sogar in der Lage ist, Tote aufzuerwecken und aus dem Nichts zu schaffen (V. 17.24). Das Thema der Totenauferweckung ist auch in anderen Bibelabschnitten zentral, weil sie Gottes unbegrenzte Macht demonstriert, alles in uns hervorzubringen, was Ihm gefällt, völlig unabhängig von der „Qualität des Ausgangsmaterials“ (unserem sündigen Wesen)!

Kol 2,11 In ihm seid ihr auch beschnitten worden mit einer Beschneidung, die nicht mit Händen geschehen ist, sondern im Ausziehen des fleischlichen Leibes, in der Beschneidung des Christus,

12 mit ihm begraben in der Taufe, in ihm auch mit auferweckt durch den Glauben an die wirksame Kraft Gottes, der ihn aus den Toten auferweckt hat.

13 Und euch, die ihr tot wart in den Vergehungen und in der Unbeschnittenheit eures Fleisches, hat er mit lebendig gemacht mit ihm, indem er uns alle Vergehungen vergeben hat.

Eph 1,18 Er erleuchte die Augen eures Herzens, damit ihr wisst, was die Hoffnung seiner Berufung, was der Reichtum der Herrlichkeit seines Erbes in den Heiligen

19 und was die überragende Größe seiner Kraft an uns, den Glaubenden, ist, nach der Wirksamkeit der Macht seiner Stärke.

20 Die hat er in Christus wirksam werden lassen, indem er ihn aus den Toten auferweckt und zu seiner Rechten in der Himmelswelt gesetzt hat …

Der Wunsch von Paulus nach „Erleuchtung“ für die Epheser in Vers 18 und 19 ist ungemein wichtig für uns heute – eine Gemeinde, die Jesus „blind“ nennt: Gott muss unsere inneren Augen erleuchten, damit wir erkennen, zu was für einer überreichen Hoffnung wir eigentlich berufen sind (zu einem vollkommenen, christusähnlichen Charakter = das weiße Kleid) und wie „überragend groß die Kraft“ ist, die in uns zum Wirken kommt, wenn wir glauben (= von Jesus Gold kaufen – den festen Glauben an Gottes unbegrenzte Möglichkeiten zu unserem Heil). Dies ist „der Glaube Jesu“, und er führt zum vollständigen „Halten der Gebote Gottes“ (Off 14,12). Erst wenn wir zu diesem Glauben finden, indem wir ihn von Christus empfangen, können wir die uns zugewiesene Rolle als Endzeitgemeinde einnehmen und das „ewige Evangelium“ um die ganze Welt tragen.

Ellen White schrieb 1893 sehnsüchtig klagend:

1888M 1099 O, warum erhebt sich Christi Gemeinde nicht und legt ihre wunderschönen Gewänder an? Warum leuchtet sie nicht? Der wesentliche Grund für so ein schwaches Christentum ist, dass diejenigen, die angeblich die Wahrheit glauben, Christus so wenig kennen und eine so geringe Vorstellung davon haben, was Er für sie sein möchte und was sie durch Ihn sein können. Wir haben die feierlichsten, bedeutsamsten Wahrheiten, die je Sterblichen anvertraut worden sind. Wären unsere Worte, unsere Gedanken, unsere Taten reiner und erhabener, mehr in Übereinstimmung mit dem heiligen Glauben, den wir bekennen, dann würden wir unsere Verantwortung in einem ganz anderen Licht sehen. Wie feierlich, wie heilig würde sie erscheinen! Wir hätten ein tieferes Bewusstsein unserer Pflichten und würden es zu unserem beständigen Ziel machen, die Heiligkeit in der Furcht Gottes zu vollenden.

23. Die erste grundlegende Einsicht auf dem Weg zum Heil ist die der eigenen Verlorenheit. Sie wird offenkundig in der totalen Unmöglichkeit für den natürlichen Menschen, Gottes heiliges Gesetz zu halten (Röm 8,7).

Röm 8,7 Die Gesinnung des Fleisches ist Feindschaft gegen Gott, denn sie ist dem Gesetz Gottes nicht untertan, denn sie kann das auch nicht.

Paulus beschreibt die Erfahrung seiner persönlichen Bekehrung so:

Röm 7,9 Ich aber lebte einst ohne Gesetz; als aber das Gebot kam, lebte die Sünde auf;

10 ich aber starb …

21 Ich finde also das Gesetz, dass bei mir, der ich das Gute tun will, nur das Böse vorhanden ist … 24 Ich elender Mensch! Wer wird mich retten von diesem Leibe des Todes?

Gal 3,24 Also ist das Gesetz unser Zuchtmeister auf Christus hin geworden, damit wir aus Glauben gerechtfertigt würden.

Im Spiegel des göttlichen Gesetzes, erleuchtet vom Heiligen Geist, erkannte der Apostel seinen wahren, todgeweihten Zustand und rief nach einem Erlöser.

Ein mit sich zufriedener, selbstgerechter Mensch hat weder das Bedürfnis nach Erlösung noch Wertschätzung dafür, was Christus ihm sein möchte. Der Einzige, der uns in dieser Situation zu Einsicht und Buße führen kann, ist Gott selbst. An uns liegt es dann, auf Sein Wirken zu reagieren:

1SM 390 Muss der Sünder warten, bis er Gewissensbisse wegen seiner Sünden spürt, bevor er zu Christus kommen kann? Der allererste Schritt auf Christus kommt durch das Ziehen des Geistes Gottes zustande. Antwortet der Mensch auf dieses Ziehen, nähert er sich Christus, um zur Reue zu finden. (vgl. 1FG 411)